Walter Momper (SPD). Foto: Fuchs

Walter Momper, Regierender Bürgermeister von West-Berlin während Mauerfall und Wiedervereinigung, blickt

Oberndorf - Walter Momper, Regierender Bürgermeister von West-Berlin während Mauerfall und Wiedervereinigung, blickt im Redaktionsgespräch auf 30 Jahre Mauerfall zurück. Und auf das Rennen um den Vorsitz seiner SPD voraus

Begrüßung mit hochgezogenen Augenbrauen: Beim Eintreffen von Walter Momper (SPD), Regierender Bürgermeister von West-Berlin während des Mauerfalls und der Wiedervereinigung, zum Redaktionsgespräch bei unserer Zeitung in Oberndorf (Kreis Rottweil) drängt sich gleich zu Beginn eine Frage auf. "Wo ist der rote Schal?" – das Markenzeichen des SPD-Politikers. Er beschwichtigt sofort: "Den habe ich im Auto gelassen." as Original habe er einst anlässlich der rot-grünen Siegesfeier bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im April 1989 geschenkt bekommen – "ich habe es immer noch."

Momper ist in diesen Tagen ein gefragter Mann – viele Interviewtermine und Auftritte hat er anlässlich des Jahrestags zu 30 Jahre Mauerfall. Schließlich ist der 74-Jährige einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die damals mitten im politischen Geschehen waren. Auch das Redaktionsgespräch in Oberndorf ist einer von mehreren Terminen an diesem Tag. Am Abend spricht er in Schramberg (Kreis Rottweil). Thema: der Mauerfall – was sonst.

In den drei Jahrzehnten seit dem historischen Ereignis am 9. November 1989 ist viel passiert. Dennoch kommt es dem SPD-Politiker so vor, als sei manches in jenen schicksalhaften Tagen der deutschen Geschichte "erst gestern gewesen". Ganz unerwartet treffen den damaligen Regierenden Bürgermeister von West-Berlin die Ereignisse nicht. Bei einem Gespräch am 29. Oktober erwähnt Günter Schabowski, Funktionär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), zum Ende hin, dass in der DDR die Reisefreiheit eingeführt werden solle – und das noch vor Weihnachten.

Arbeitsgruppen bereiten sich auf Tag X vor

Daraufhin setzt Momper in West-Berlin Arbeitsgruppen ein, um sich auf diesen Tag vorzubereiten. Sie beschäftigen sich etwa mit der Frage, wie das Begrüßungsgeld – "100 Mark pro Nase" – ausgezahlt werden soll und wie die Besucher – "gerechnet hatten wir mit 500.000, es wurden eine Million" – transportiert werden sollen.

Außerdem wird ein Heft erarbeitet, in dem praktische Hinweise für die Besucher aus der DDR aufgelistet sind, unter anderem die ersten und letzten Fahrzeiten der U- und S-Bahn, die Öffnungszeiten der Museen oder was zu tun ist, wenn man sein Kind im Trubel verliert. Die Broschüre geht, punktgenau, in der Nacht zum 10. November in den Druck.

Dennoch: Von August 1989 an, "war mein Lebensgefühl von Angst und Sorge über das was passiert" geprägt, verrät Momper. Es sei klar gewesen: "Eines Tages kommt der Sturm von hinten über die Mauer." In den damaligen Vorstellungen Mompers geht dieser mit einem "furchtbaren Blutbad" einher. "Das war meine Sorge bis an den 9. November heran", bekennt er. Doch es kommt anders.

70 .000 DDR-Bürger gehen auf die Straßen

Als "entscheidenden Tag" auf dem Weg zum Mauerfall bezeichnet Walter Momper die Montagsdemonstration am 9. Oktober in Leipzig, bei der 70 .000 DDR-Bürger auf die Straße gehen und die belastet ist durch die Drohung des Staates, er wolle zuschlagen. Nur zwei Tage vorher, am 7. Oktober in Berlin, "haben sie noch versucht, die Oppositionsbewegung niederzuknüppeln", erinnert sich Momper.

In Leipzig hingegen bleibt es friedlich – auch, weil die Nationale Volksarmee (NVA) und die Bereitschaftspolizei den Staatsoberen nicht mehr blind folgen. So hätten die Polizisten die Annahme scharfer Munition an diesem Tag verweigert und klargemacht: Wir schießen nicht auf die eigenen Leute, blickt der 74-Jährige zurück. Von der Weigerung der bewaffneten Mächte habe man im Westen damals ebenso wenig gewusst wie etwa vom Befehl Erich Honeckers, Erster Sekretär des SED-Zentralkomitees, nicht zu schießen.

Auch der 9. November, an dem nach der denkwürdigen Pressekonferenz des SED-Zentralkomitees Tausende DDR-Bürger in den Westen strömen, "lief ganz gut ab", erinnert sich Momper. "Das war schon mal die halbe Miete", sagt er heute. Von da an habe West-Berlin "auch einiges dazu beigetragen, dass es friedlich im Lande blieb".

Zur Kundgebung am 10. November vor dem Schöneberger Rathaus sind sie dann alle da: Ex-Kanzler Willy Brandt (SPD), der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Letzterer kam mit Verspätung aus Warschau – und weil er nach seiner Rede gleich weiterzog zur CDU-Kundgebung an anderer Stelle, "konnte ich nicht mit ihm reden", erzählt Momper.

Für die Bundesregierung um Kohl und Genscher und ihren Weg zur deutschen Einheit findet Momper lobende Worte: "Das war schon ziemlich genial, wie die ›Bonner‹ das gemacht haben." Heute ist Berlin für Momper eine "tolle Stadt" mit gutem Lebensgefühl. Ein Ost und West gebe es nicht mehr – auch deshalb, weil die Bürger aus beiden Landesteilen nach der Wiedervereinigung "schnell aufeinandergekracht sind" – etwa bei der Arbeit. Das habe das Kennenlernen und das Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert. Die Berliner Politik damals sei aber vor Herausforderungen gestanden: Innerhalb kürzester Zeit hatten sich schließlich das Stadtgebiet und auch die Bevölkerungszahl erheblich vergrößert.

Die "umwerfenden Probleme" konnten dank finanzieller Hilfe aus Bonn angegangen werden: So habe die Bundesregierung während Mompers Amtszeit jeweils zehn Milliarden Mark für den öffentlichen Nahverkehr, für die Telefon-Infrastruktur und für den Verkehrswegebau bewilligt.

"Hinhorchen in den deutschen Osten"

Momper bewertet die diesjährigen Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags des Mauerfalls als "sehr gut" – gerade die Diskussionen 30 Jahre danach und auch das "Hinhorchen in den deutschen Osten". Dort gebe es immer noch Enttäuschungen und die Kritik an Nachteilen, die "ich nicht so voll akzeptieren kann", sagt Momper. Immerhin habe der deutsche Osten mit Angela Merkel (CDU) eine Bundeskanzlerin, die aus den neuen Bundesländern stammt.

Das "Jammern" über die Rente sei für ihn "am wenigsten berechtigt". Und auch für die Kritik am Gefälle der Gehälter zwischen Ost und West bringt Momper wenig Verständnis auf – für Verdienste brauche es "einigermaßen gut organisierte Gewerkschaften, wenigstens so wie im Westen", für die man kämpfen müsse. "Gleiche Löhne gewährt einem keiner auf dem Silbertablett". Auch sei die Produktivität im Osten immer noch nicht auf Westniveau, bedauert er.

Dennoch äußert Momper Verständnis für all jene Ostdeutschen, bei denen das Leben nach der Wende "schwer zugeschlagen" habe. Für viele damals 30- bis 40-Jährigen sei oftmals plötzlich die Karriere zu Ende gewesen und das gesicherte Leben weggebrochen – etwa für Mitarbeiter des DDR-Sicherheitsapparats oder auch in der Industrie Beschäftigte.

"Wir sind immer noch ein glückliches Volk", meint Momper. Er nimmt damit auf seinen bekannten Satz kurz nach dem Mauerfall Bezug, in dem er die Deutschen als "das glücklichste Volk der Welt" bezeichnet hatte. Kein anderes Volk habe seine Einheit und Freiheit jemals so friedlich bekommen wie die Deutschen: "Das ist doch was."

Und auch zur aktuellen Politik seiner Partei, in der er zwar nicht mehr aktiv mitmische, aber in die er immer noch Drähte habe, hat Momper eine klare Meinung: Er spricht sich für das Duo Olaf Scholz/Klara Geywitz als neue SPD-Vorsitzende aus. "Du musst Nerven haben und ein starkes Gemüt." Und hofft, dass ein Aufschwung kommt.

Dann geht es weiter nach Schramberg – mit dem roten Schal im Gepäck.