Michael Heß (Startnummer 975) beim Marathon des Sables Foto: red

Michael Heß liebt körperliche wie mentale Herausforderungen. Der 37-Jährige ist beim Marathon des Sables 250 Kilometer durch die marokkanische Sahara gelaufen.

Verirrt in der Sandwüste. Mauro Prosperi taumelte nach einem Sandsturm orientierungslos durch die Sahara, nach neun Tagen und um 15 Kilogramm abgemagert, wurde der Italiener in Algerien von Nomaden gefunden. 200 Kilometer von seiner ursprünglichen Route entfernt. Der Marathon des Sables ist nichts für Strandspaziergänger. Doch Michael Heß hat die Geschichte, die sich vor 28 Jahren ereignet hat, nicht davor abgeschreckt, sich Ende März auf die siebentägige Tortur durch die marokkanische Sahara zu begeben und knapp 250 Kilometer zu Fuß über Sand, Fels und Geröll zu marschieren. „Ich verlasse gern meine Komfortzone und suche Herausforderungen“, sagt der Mann aus Metzingen, „heute geht aber niemand mehr verloren, weil jeder einen GPS-Tracker trägt. Außerdem ist die Strecke gut markiert.“

 

Neben der digitalen Überlebensversicherung haben die Frauen und Männer beim Gewaltmarsch nur das dabei, was sie selbst tragen, nur Wasser wird täglich gestellt, und Übernachtungszelte sind aufgebaut. Zur Pflichtausrüstung zählen Rucksack, Schlafsack, Messer, Decke, Schlangenbiss-Set, Rettungspfeife, Sicherheitsnadeln (für die Startnummer) sowie eine tägliche Essensration von mindestens 2000 Kalorien. Rund 1000 Euro hat Heß dafür ausgegeben, seine Mahlzeiten hat er eigens vakuumiert, um Verpackungsgewicht zu sparen. „Man spürt jedes Gramm im Rucksack“, sagt der 37-Jährige, der mit etwa 7,5 Kilogramm auf dem Rücken losmarschiert ist. Nicht jeder war ein Minimalist wie er, manche Teilnehmer ließen auf den ersten Etappen Nahrung, ihr Ersatzpaar Schuhe oder Kleidung zurück, um das Gepäck leichter zu machen. „Die akribische Planung hat sich gelohnt“, sagt Heß.

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2000 Kalorien pro Tag sind ein Tropfen Wasser auf einen glühenden Stein bei Märschen zwischen 42 und 86 Kilometern, die meist durch feinen Sand führen, womit sich der Name der Veranstaltung (Marathon im Sand) rechtfertigt und was das Vorwärtskommen für die Extremsportler massiv erschwert. „Man sucht stets den etwas festeren Sand, der noch nicht von Fußspuren durchpflügt ist“, erzählt der gebürtige Starnberger, „und wenn es Dünen hochgeht, die gut 20 Meter hoch sind, geht es zwei Schritte vor und einen zurück.“ Und sobald der Untergrund fester wurde, begann der Metzinger zu laufen, und zwar in einem zügigen Tempo.

Diese Strapazen muss man ertragen wollen, und Michael Heß will sie besiegen. Einst spulte er viele Kilometer auf dem Rad ab, dann lockte ihn der Triathlon über die Langdistanz (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren, 42 km Laufen), wo er sich ziemlich wohlfühlte. In den vergangenen vier Jahren absolvierte er drei Ironman-Wettbewerbe, zuletzt in einem Tempo, mit dem er sich für die legendären Ironman auf Hawaii in diesem Oktober qualifizierte. Und als Corona das Leben lahmlegte, war er als Pilot einer großen Fluglinie zum Nichtstun verdammt – und erinnerte sich an einen Bericht über den Marathon des Sables. Er nahm mit Ultraläuferin Elisabet Barnes Kontakt auf, die diesen Lauf schon 2015 und 2017 gewonnen hatte. Die Schwedin stellte ihm einen Trainingsplan auf, alle weiteren wichtigen Informationen wie etwa den Ernährungsplan besorgte sich Heß aus entsprechenden Büchern. „Neun Monate habe ich mich ausschließlich auf dieses Rennen fokussiert“, verrät er.

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Dabei waren nicht nur die kräftezehrenden Etappen am Tag bei 40 Grad unter der prallen Sonne eine Prüfung, denn in den bis zu fünf Grad Celsius kalten Nächten war an wirkliche Ruhe und Erholung nicht unbedingt zu denken. Man friert. Seine Problemlösung: Alles anziehen, was der Rucksack hergibt, sich bestmöglich zudecken und dann nicht mehr bewegen. „Ich sagte mir: Der Körper wird’s schon überstehen“, erzählt der Sandmarschierer, „man muss die Situation akzeptieren, wie sie ist, sonst ist man fehl am Platz.“ Michael Heß hat Nächte wie Tage überstanden, bekam keine Probleme mit Blasen an den Füßen und ging am vergangenen Montag nach sieben Tagen und 250 Kilometern als 41. von 1068 Teilnehmern über die Ziellinie. „Unter die Top 50 zu kommen“, sagt er, „macht mich stolz.“

Stolz ist das eine, das andere ist eine Erfahrung, die Michael Heß gemacht hat. Es gab keine mentalen Tiefs, wie sie beim Ironman vorkommen und die Leidensfähigkeit auf eine harte Probe gestellt wird. Je mehr Kilometer er zurücklegte, umso mehr lief er sich in einen Flow; er dachte nichts mehr, der Kopf war ausgeschaltet, es war „wie in einer Meditation, in der Zeit keine Rolle spielt“. Es war die sphärische Einsamkeit eines Ultra-Langstreckenläufers in der Wüste.