Viagra kann bei Errektionsstörungen helfen. Aber eine Pille schlucken und alle Probleme sind gelöst? So einfach ist das nicht.
Als „Blaues Wunder“ kam Viagra vor 25 Jahren in Deutschland auf den Markt. Am 1. Oktober 1998 wurde die Potenzpille erstmals in hiesigen Apotheken verkauft. Das Mittel entwickelte sich schnell zum Lifestylemedikament.
Als erste Potenzpille der Welt brachte Viagra wieder Schwung in viele Schlafzimmer und holte zugleich das Thema männliche Erektionsstörungen ein Stück weit aus der Tabuzone.
Die leidige Sache mit der Erektilen Dysfunktion
Es gibt Themen, über die Mann nicht gerne spricht. Erektile Dysfunktion (ED) – besser bekannt als Impotenz – ist so ein Thema, dass viele Männer umtreibt. Wenn es sexuell nicht so läuft, wie es sollte, und die eigenen Ansprüche oder die der Partnerin an ein erfülltes Sexualleben unerfüllt bleiben, wird es für den lendenlahmen Mann schnell existenziell.
„Für Männer war die Pille (Red.: gemeint ist Viagra) eine sexuelle Revolution“, sagt Frank Sommer, der erste Professor für Männergesundheit in Deutschland und Chefarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zuvor habe es kein orales Medikament gegeben, das eine Erektion hervorrufen konnte – nur Spritzen, Vakuumpumpen und Implantate.
Zufällige Entdeckung
Im Jahr 1998 brachte der US-Pharmakonzern Pfizer Viagra auf den Markt. Ursprünglich suchten die Forscher des Pfizer Central Research nach einem Medikament gegen Herzerkrankungen, speziell Angina pectoris. Der von ihnen entwickelte Wirkstoff Sildenafil floppte zwar im Brustbereich, dafür aber hatte er ungeahnte Folgen in der maskulinen Lendengegend.
Denn die gefäßerweiternde Substanz aus der Gruppe der sogenannten PDE-5-Hemmer brachte völlig überraschend für die Pharma-Tester die Manneskraft wieder zum Schwellen. Sie verbesserte die Potenz und wirkte schlagartig bei Erektionsstörungen.
Pfizer änderte daraufhin seinen Pillen-Kurs und konzentrierte sich auf die Erforschung männlicher Impotenz. Bis dahin gab es nur wenige, meist erfolglose und eher unangenehme Behandlungsmöglichkeiten für Erektionsstörungen, etwa in die Harnröhre eingeführte Minizäpfchen oder Injektionen in den Penis.
Viagra-Wirkstoff Sildenafil
Sildenafil ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der sogenannten Phosphodiesterasehemmer – auch PDE-5-Hemmer genannt. Sie sind die am meisten eingesetzten Medikamente bei erektiler Dysfunktion, – also Erektionsstörungen.
Seit der Patentschutz für die Potenzpille Viagra von Pfizer in Deutschland im Jahr 2013 auslief, ist eine Reihe günstigerer Nachahmerpräparate auf dem Markt. Die bekanntesten Wirkstoffe neben Sildenafil sind Tadalafil, Vardenafil und Avanafil, die alle oral als Tablette verabreicht werden.
Der Hype ist abgeklungen, die Wirkung ist geblieben
Der Viagra-Hype ist mittlerweile abgeklungen, doch die Wirkung des blauen Wundermittels ist geblieben. Einfach eine Pille einwerfen – und schon ist man(n) für ein paar Stunden leistungsfähig. Sildenafil verhilft 70 Prozent der Männer mit akuten Problemen zur Erektion. Vorausgesetzt, die männliche Libido wird stimuliert. Ohne Lust funktioniert auch Viagra nicht.
„Man kann nicht eine Pille schlucken und hat dann eine Erektion“, erklärt der Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement. „Deshalb scheitern auch solche Männer mit Viagra, die sich von ihrer Partnerin sexuell zurückziehen und nur eine Ausrede suchen.“ Auf die Vorzüge von Viagra und die Nachahmerpräparate lässt der Heidelberger Psychologe dennoch nichts kommen. „Diese Medikamente sind ein Segen. Sie haben kaum Nebenwirkungen und funktionieren gut.“
Erektionsstörungen treten immer früher auf
In Deutschland sind schätzungsweise fünf Millionen Männer – ältere mehr als jüngere – von Erektionsstörungen betroffen. Mittlerweile treten Urologe Sommer zufolge schon bei 30- bis 35-Jährigen immer häufiger organisch bedingte Erektionsstörungen auf. „Das liegt vor allem am ungesunden Lebensstil. Wir bewegen uns weniger, ernähren uns schlechter, haben mehr Stress.“
Kaum ein Geheimnis wird von den Herren der Schöpfung so streng gehütet wie eine Potenzstörung. Sie verstummen, wenn sie nicht mehr können. Ein paarmal gescheitert, schon gerät man(n) in eine Impotenz-Abwärtsspirale. Ein Teufelskreis, in dem die Libido schwindet, Psyche und Partnerschaft leiden.
Seit es aber Viagra gibt, stellen sich Betroffene sehr viel früher ihrer „mangelnden Standfestigkeit“, wie Männergesundheit-Mediziner Sommer berichtet. „Früher haben Männer im Durchschnitt zehn bis 20 Jahre gewartet, bis sie wegen Potenzstörungen zum Arzt gegangen sind. Heute warten die meisten nicht länger als ein Jahr.“
Pille schlucken, alle Probleme gelöst? So einfach ist das nicht!
Wer an Impotenz leidet, sollte nicht nur an den Symptomen herumdoktern und eine Potenzpille schlucken. Die Lösung des Problems sei in vielen Fällen so einfach, betont Chefarzt Dr. Sommer. „Wir versuchen in unserer Klinik die Ursache herauszufinden und das Defizit zu reparieren, damit der Patient weniger Viagra braucht oder ganz davon wegkommt.“
Viagra kann jedoch nur wirken, wenn die Nerven im Penis intakt sind. Auch darf die Potenzmuskulatur nicht zu schwach oder defekt sein. Wenn es allerdings nur darum geht, dass die Durchblutung des männlichen Glieds mangelhaft ist, hilft das Mittel in den meisten Fällen.
Starthelfer für verunsicherte Männer
Frank Sommer sieht in Viagra einen Starthelfer, der verunsicherten Männern das befriedigende Gefühl vermitteln kann, dass wieder was geht. Der Teufelskreis aus Versagensängsten, Dysfunktion und Depression werde durchbrochen. „Kleiner Aufwand, große Wirkung.“
Achten Sie auf ihren Penis, rät Dr. Sommer
Der Gang zum Arzt ist indes nur der erste Schritt. „Das Ausstellen eines Rezepts führt in der Regel nicht zu einer Heilung und verhilft bei Weitem nicht jedem Mann zu einer Erektion“, erklärt der Hamburger Experte.
Potenzprobleme könnten auch ein Hinweis auf andere, schwerwiegende Erkrankungen sein. Da die Gefäße im Penis vom Durchmesser her die kleinsten im Körper sind (ein bis zwei Millimeter), bemerkt der Facharzt Gefäßverengungen beim Mann oft zuerst am Geschlechtsorgan. „Ich kann jedem Mann nur raten: Achten Sie auf Ihren Penis. Der Penis ist die Wünschelrute des Herzens.“
Wer nun glaubt, mit einer Potenzpille täglich topfit zu sein, irrt. „So einfach ist das nicht. Für guten Sex muss man trainieren“, rät Frank Sommer. Gesunde Ernährung, viel Bewegung und weniger Stress würden gegen Gefäßverengungen effektiv helfen und Potenzstörungen vorbeugen. Auch eine Paartherapie könne Hemmnisse aus dem Weg räumen.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Seit gut einem Vierteljahrhundert gibt es Erkenntnisse über die Wirkung von Viagra & Co. – und auch über Nebenwirkungen. Dazu gehören insbesondere Kopf- und Magenschmerzen, Gesichtsrötungen, eine verstopfte Nase und Sehstörungen.
Der Berufsverband Deutscher Internisten weist zudem darauf hin, dass die Substanzen bei schweren Herzkreislauferkrankungen, direkt nach einem Herzinfarkt oder einem weniger als sechs Monate zurückliegendem Schlaganfall sowie starken Leberfunktionsstörungen nicht eingenommen werden dürfen. Das gilt ebenso bei Einnahme von Nitraten, einem Notfallmedikament bei Angina pectoris, und bestimmten anderen blutdrucksenkenden Substanzen.
Außerdem ist eine Reihe von Erkrankungen bekannt, bei denen die Anwendung Beschränkungen unterliegt. Hierzu gehören schwere Nierenfunktionsstörungen, Blutgerinnungsstörungen sowie einige Peniserkrankungen und -fehlbildungen.
Info: Viagra
Viagra & Co. nicht ohne Rezept
Wie Viagra sind auch die sogenannten Generika in Deutschland verschreibungspflichtig. Nötig ist zwingend ein Rezept vom Arzt. Nicht mehr verschreibungspflichtig ist Sildenafil inzwischen unter anderem in Großbritannien, Polen, Norwegen und Neuseeland, teils ist eine Beratung durch den Apotheker Voraussetzung. Auch in Deutschland wurde zweimal der Vorstoß unternommen, die Verschreibungspflicht zu kippen. Ein Sachverständigenausschuss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte jedoch zuletzt im Juli 2023 entsprechende Anträge ab. Damit bleibt ein Rezept vom Arzt zwingend nötig. Die Kosten für das Präparat müssen die Patienten aus eigener Tasche zahlen.
Nur selten erstattungsfähig
Nur in sehr wenigen Fällen sind Sildenafil und das ähnlich wirkende Tadalafil erstattungsfähig. Nach Daten des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung wurden im Jahr 2022 insgesamt rund 132 600 Packungen mit diesen Wirkstoffen von den Kassen bezahlt – bei gutartiger Prostatavergrößerung und der pulmonal-arteriellen Hypertonie, einer seltenen Krankheit, die unter anderem zu Lungenhochdruck führt. Grundsätzlich gelten Viagra und Co. aber als Lifestylepräparate und werden nicht erstattet.
Fälschungen und kriminelle Machenschaften
Viagra ist eines der am meisten gefälschten Arzneimittel. Schon kurz nach der Markteinführung tauchten gefälschte Viagra-Pillen auf, meist werden sie online angeboten. Allerdings sind die falschen Arzneien oft nicht richtig dosiert oder – im besten Fall – wirkungslos. Die Gewinnspanne bei der Arzneimittelkriminalität ist sehr groß. Der Schwarzmarktpreis von Viagra liegt weit über dem von illegalen Drogen. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass sich mit einem Kilogramm Viagra auf dem Schwarzmarkt bis zu hunderttausend Euro erzielen lassen.