Fesche Burschen: Die Musterriege des Turnvereins Nagold im Jahr 1927. Foto: Archiv VfL Nagold

Im Jahr 2022 begeht Nagolds größter Verein ein stolzes Jubiläum: Der VfL Nagold wird 175 Jahre alt. Was 1847 als Turnverein begann, wird heute in 16 Abteilungen und einer Kindersportschule fortgeführt.

Nagold - Aller Anfang ist schwer. Das sagt man zumindest so. Und irgendwie gilt das auch für die Quellenlage zur Vereinsgeschichte des VfL Nagold. Viel ist nicht überliefert aus jener Anfangszeit um 1847. Zum Beispiel ist da die Frage nach den Gründungsvätern, nach dem Gründungslokal, und natürlich die Suche nach einem exakten Gründungsdatum. Alles vergebens. Heute, 175 Jahre nach der Gründung des Vorgängervereins des großen VfL Nagold, weiß man schlichtweg nicht mehr, wer da wo und wann genau zusammengekommen ist, um den "Turnverein Nagold" zu gründen. Ein Protokoll jedenfalls sucht man vergebens. Erst 13 Jahre später – bei der Wiederbelebung des Vereins im Jahr 1860 – taucht ein erstes Protokollbuch auf. Und seitdem tun sich die Chronisten auch deutlich leichter damit, das Geschehen im Verein nachzuzeichnen.

Die Gründung 1847

Doch zurück zur Vereinsgründung. Dass der VfL Nagold 2022 sein 175-Jähriges feiert, ist dennoch mit einigen Dokumenten belegt. Zum Beispiel mit Zeitungsberichten im "Gesellschafter", dem Nagolder Vorgänger des Schwarzwälder Boten. Unter anderem wird erörtert, dass sich der Verein schon in seinem Gründungsjahr mit einem Turnfest erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. Und dieses Turnfest war am 27. September 1847. Zudem steht es ja auch auf der ehrwürdigen Vereinsfahne so geschrieben. Die stammt zwar nicht mehr aus den Anfangszeiten des TV Nagold, doch immerhin von 1903. Damals weihte der TV mit riesigem Fest seine neue Fahne ein – und auf der steht das Jahr 1847 als Gründungsjahr.

Verwirrungen gibt es rund um das Gründungsjahr dennoch einige im Laufe der Vereinsgeschichte. So feierte man zum Beispiel 1910 ganz groß das 50-jährige Bestehen des TV Nagold – und merkte erst im Nachhinein, dass der Verein ja eigentlich glatt 13 Jahre älter ist. Und auch aus dem Jahr 1961 ist eine Feier zum 115-Jährigen überliefert – aus heutiger Quellenlage wäre 1962 das richtige Jahr gewesen.

Kletterbaum auf dem Stadtacker

Wie dem auch sei, so richtig falsch lag man auch 1961 nicht. Denn sicher wurde bereits vor der offiziellen Vereinsgründung in Nagold geturnt. Zum Beispiel in den Schulen. Einen Kletterbaum auf dem Turnplatz hat es jedenfalls schon vor 1847 gegeben. Und 1844 beschloss der Nagolder Gemeinderat, weitere Turngeräte für "angemessene körperliche Übungen" aufzubauen. Im Jahr 1845 berichtete der Gesellschafter zudem: "Seit etwa einem Jahr besteht auch bei uns eine Turnschule..."

Geturnt wird in jenen Anfangsjahren im Freien. Und zwar auf dem so genannten Stadtacker – auf dem Gelände steht heute die Agentur für Arbeit. Und nicht von ungefähr direkt daneben die Alte Seminarturnhalle: Diese entstand zusammen mit dem Lehrerseminar (später ABG) und diente ab 1881 als Turn- und Festhalle. Auch Nagolds Turnverein durfte die Halle mitnutzen.

Die Damen-Riege

Die Anfänge des Vereinssports lagen natürlich auch in Nagold in der deutschlandweiten Turnbewegung – Stichwort "Turnvater Jahn". Und auch in Nagold galt es wehrhafte starke Männer zu formen. Doch ab 1903 nicht mehr nur Männer. Dem allgemeinen Trend, auch für Frauen Turnangebote im Verein zu schaffen, konnte sich kurz nach der Jahrhundertwende auch der TV Nagold nicht verschließen. 1903 gründete man eine Damen-Turnerriege und im Protokoll wird berichtet, dass durchschnittlich zwölf Frauen am wöchentlichen Turntraining teilnahmen.

Konkurrenz durch den "Bubensport"

In jener Zeit erwuchs der Turnbewegung aber starke Konkurrenz. Auch in Nagold fingen die Jungs an, Fußball zu spielen. Auf der Wiese, wo heute das Schwimmbad steht, soll kurz nach der Jahrhundertwende (ab 1901) ein Lehrer den Nagolder Buben das Siel beigebracht haben. Fußball – gerne auch als "Bubensport" verunglimpft – wurde von der Turnerschar sehr kritisch, und wohl auch eifersüchtig beobachtet. Und so fand die heute so beliebte Sportart auch keinen Platz unter dem Dach des Turnvereins.

Also kam es 1911 zur Gründung des Fußballclubs Nagold – entgegen manchem Widerstand in der Stadt. Doch der Fußball konnte in seinem Erfolg nicht mehr gestoppt werden. Nach erfolglosen Versuchen der Fußballer, in den Turnverein aufgenommen zu werden (1921) taufte sich der FC Nagold 1922 um in "Sportverein Nagold". Das machte auch durchaus Sinn. Denn zum Fußball gesellte sich in jenem Jahr auch die Leichtathletik dazu. Und so kommt es, dass auch Nagolds Leichtathleten heuer ein Jubiläum feiern können, sogar das 100-Jährige!

Eine andere Mannschaftssportart, die heute noch im VfL betrieben wird, entwickelte sich aber aus dem Turnverein heraus: Handball. Mit der Inbetriebnahme des ersten vereinseigenen Sportgeländes – perfekt gelegen mitten im Kleb – kam es 1927 zur Gründung der Handball-Mannschaft. Gespielt und trainiert wurde damals noch im Freien. Und beim Feldhandball fielen oft nur eine Hand voll Tore. Fußballspielen war auf dem Sportgelände des TV Nagold im Kleb übrigens in jener Zeit streng verboten.

Erzwungener Zusammenschluss

1934 kam es dann doch zum Zusammenschluss der Vereine – nun unter Zwang, von den Nationalsozialisten seit 1933 im Rahmen der Gleichschaltung vorbereitet und vorangetrieben. Sportverein und Turnverein gingen im "Verein für Leibesübungen Nagold" auf. Andere in der Stadt existierende Sportvereine wurden ganz verboten, der Arbeitersportverein zum Beispiel und auch der Velo-Club Nagold.

Nach dem Krieg dachte dann niemand mehr ernsthaft wieder an eine Trennung der Vereine. Im Gegenteil: Man hatte andere Probleme und war froh, im Dezember 1946 immerhin eine "Spielvereinigung Nagold" gründen zu dürfen. 1950 benannte sich der Verein dann wieder um in VfL Nagold.

Rasante Erfolgsgeschichte

In der Nachkriegszeit legte der VfL Nagold eine rasante Erfolgsgeschichte hin. Zahlreiche Abteilungen fanden in den nun folgenden Jahrzehnten eine sportliche Heimat im VfL. Einige gibt es heute nicht mehr: Zum Beispiel die sehr aktive Radsportabteilung, die aus dem einstigen Velo-Club heraus entstanden war. Oder die Versehrtensportler, die Faustballer, die Volleyballer und die Sparte Rollsport. Dafür stießen neue Abteilungen dazu, auch von ungewöhnlichen Sportarten: Schwertkampf zum Beispiel, die japanische Bogensportart Kyudo und als jüngstes Kind die Sparte Linedance. 16 Abteilungen zählt der VfL Nagold heute, hinzu kommt eine sehr rege Kindersportschule – die es sogar schon seit 1991 gibt.

Der Erfolg der Nachkriegsjahre ist auch deutlich an den Mitgliederzahlen abzulesen: 1955 hatte der Verein 500 Mitglieder, 20 Jahre später waren es bereits mehr als 1200, und in den 1980er- und 1990er-Jahren lag die Mitgliederzahl gar über der 2000er-Marke. Die rund 200 Kiss-Kinder mitgezählt hat der VfL Nagold aktuell rund 1750 Mitglieder, hinzu kommen zahlreiche Sportler, die nicht Mitglied des Vereins sind, sondern Kurse oder nur einzelne Fitnessangebote wahrnehmen.

Info: Serie Zeitsprünge

Im Jubiläumsjahr des VfL Nagold wird der Schwarzwälder Bote in der Serie "Zeitsprünge" anhand alter Bilder aus den Archiven auf wichtige Nagolder Sportgeschichte(n) blicken. Die Serie startet nächste Woche.