Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zum 160. Geburtstag seiner Partei im Willy-Brandt-Haus gesprochen. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die SPD hat ihren 160. Geburtstag gefeiert. Bundeskanzler Olaf Scholz bekennt sich dabei zum Pragmatismus von Helmut Schmidt. Eine Einschränkung macht er allerdings.

Olaf Scholz rechnet vor. In 160 Jahren habe die Sozialdemokratie in Deutschland nur ein knappes Vierteljahrhundert den Regierungschef gestellt: gute drei Jahre in 13 Jahren Weimarer Republik und gute 20 Jahre in bisher 74 Jahren Bundesrepublik. Eineinhalb davon sind jetzt die Jahre des Kanzlers Scholz.

Der Einfluss der SPD sei aber stets groß gewesen, sagt der Kanzler bei der Feier zum 160. Geburtstag der Partei im Willy-Brandt-Haus. Aus Furcht vor der wachsenden Sozialdemokratie habe Reichskanzler Otto von Bismarck im Kaiserreich die Grundlagen des deutschen Systems der Sozialversicherungen gelegt: Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung.

Olaf Scholz und die „Gesellschaft des Respekts“

Am 23. Mai 1863 hat Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gegründet. Er war der erste Vorläufer der heutigen SPD. Scholz fasst am 23. Mai 2023 in ein Bild, worin er die Hauptaufgabe seiner Partei sieht: den Menschen in Zeiten der Veränderung ein Geländer zu verschaffen, an dem sie sich festhalten können. Das ist für ihn ein wichtiger Teil dessen, was die von ihm geforderte „Gesellschaft des Respekts“ ausmacht.

„Ohne Geländer – ohne Sicherheit im Wandel – werden sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht darauf einlassen, den Weg der Transformation zu gehen“, sagt er in seiner etwas technokratischen Art. Scholz betont, der Kampf gegen den Klimawandel sei nicht nur Thema einer ganz bestimmten Partei. Er könnte jetzt erwähnen, dass die von ihm geführte Ampelkoalition gerade heftig über das Gebäudeenergiegesetz streitet. Genau darüber also, wie schnell wie viel Veränderung notwendig ist – und wie das Geländer zur Absicherung beschaffen sein soll. Das tut er aber nicht, sondern bleibt im Allgemeinen.

Die SPD führt zu ihrem 160. Geburtstag mit der Ampelkoalition ein Dreierbündnis, bei dem der Streit als Dauerkomponente eingebaut ist. Wenn Machtworte nur gelten, wenn sie von allen Partnern vorab gewünscht sind, sieht die größte Partei oft unentschieden aus. Womöglich hat die SPD deshalb Umfragewerte ungefähr so schlecht wie vor Scholz‘ Kanzlerschaft.

Die erstaunliche Gelassenheit

Die SPD geht damit bislang erstaunlich gelassen um. Sie bleibt geschlossen. Das mag daran liegen, dass viele in der vor kurzem noch totgesagten Partei Scholz noch immer dankbar sind für den unerwarteten Wahlsieg. Der innerparteiliche Frieden hat aber auch damit zu tun, dass der frühere Hamburger Bürgermeister Scholz zwar wie einst Helmut Schmidt ein radikaler Pragmatiker ist, dies aber weniger offensiv rauskehrt, als es der Ex-Kanzler zeitlebens getan hat.

Helmut Schmidt habe, so formuliert es Olaf Scholz, Recht mit seinem Hinweis gehabt: „Politik ist nicht nur Denksport, Politik ist auch Handeln.“ Aber Schmidt habe, ergänzt Scholz, nicht ganz richtig mit seiner berühmten – auf Willy Brandt gemünzten – Spitze gelegen, wer Visionen habe, der solle doch besser zum Arzt gehen. Schmidt habe sich später selber von dieser Aussage distanziert. „Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage“, habe Schmidt dazu gesagt. Zufriedenes Gelächter im Willy-Brandt-Haus.

Ein Gast sorgt für Aufsehen

Die Sozialdemokraten präsentieren bei der Feier, wie ihre Arbeitsteilung ausschaut. Scholz spricht zuerst. Der Kanzler setzt neben seiner innenpolitischen Botschaft zur sozialen Sicherheit im Wandel die allfälligen außenpolitischem Worte zur Ukraine: „Diesen Krieg darf und wird Russland nicht gewinnen.“ Den Satz „Die Ukraine muss gewinnen“ sagt er nicht. Scholz eben.

SPD-Chef Lars Klingbeil lobt, wie Scholz mit seiner Zuwendung zum globalen Süden die Nord-Süd-Politik Willy Brandts fortsetze. Co-Parteichefin Saskia Esken trommelt für Bildungsinvestitionen. Große Harmonie.

Da ist es erfrischend, dass die SPD mit der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, noch einen Gast von außen eingeladen hat. Sie bringt viel Sympathie für die Idee des sozialen Ausgleichs mit, sagt aber auch, dass sie sich wahnsinnig geärgert habe über das Energiegeld, das auf ihrem Konto gelandet sei. „Ich brauche solche Unterstützung nicht“, sagt die Professorin. Dass sie trotzdem Hilfe bekomme, sei nicht gerecht, sagt Buyx. Und erhält Applaus. Auch das ist die SPD: Nach 160 Jahren ist sie noch immer bereit zur Selbstkritik.