Einen solchen Zettel haben viele Meßstetter in den vergangenen Tagen im Briefkasten gefunden. Dem Aufruf folgten am Montagabend 150 Spaziergänger. Foto: Hornberger

In den vergangenen Tagen lagen in einigen Briefkästen in Meßstetten und Umgebung Zettel, die zu einem Spaziergang aufrufen, um damit "etwas gegen die Corona-Maßnahmen und gegen die angezeigte Impfpflicht zu unternehmen".

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Meßstetten - "Wir machen nicht mehr mit – Meßstetten zeigt Gesicht", unter dieser Überschrift riefen die unbekannten Verfasser des Flugblatts zu Spaziergängen unabhängig von Impfstatus, Religion und Alter auf, um ein Zeichen gegen die Corona-Maßnahmen und eine mögliche Impfpflicht zu setzen. Ort und Zeit: Jeden Montag um 19 Uhr mit Treffpunkt am Meßstetter Rathaus.

"Gesicht zeigen" gefordert

Doch gerade dieses Motto stößt in der Bevölkerung auf Irritation, wie Bürgermeister Frank Schroft von einigen Meßstettern vernommen hat. Erstens sei das keine Veranstaltung der Stadt, zweitens würden diese "Spaziergänge" in keiner Weise mehrheitlich von den Bürgern getragen und drittens sei die Tatsache, dass keine namentlichen Kontaktdaten der Initiatoren oder der Organisatoren auf dem Flugblatt ersichtlich sind, ein krasser Widerspruch zum Motto. Wer "Gesicht zeigen" fordert, müsse dann selber auch sein Gesicht zeigen – ansonsten werde alles unglaubwürdig.

Laut Flugblattverfasser, der oder die eben nicht namentlich in Erscheinung treten, ist jeder herzlich willkommen, "der die Maßnahmen für unverhältnismäßig, absurd und despotisch ansieht und sich nicht einer experimentellen Impfung sei es die Erstimpfung oder eine/mehrere sogenannte Booster-Impfungen im Rahmen der von der Regierung angestrebten Impfpflicht unterziehen will". Dabei geben die Verfasser zu bedenken, dass die Impfpflicht ihrer Erwartung nach nicht nur Erwachsene betreffen wird, sondern "mit Sicherheit auch Ihre Kinder und/oder Ihre Enkel mit einbezogen werden".

Keine Demonstration

Die unbekannten Veranstalter weisen in ihrem Schreiben darauf hin, dass es sich nicht um eine Demonstration mit Bannern, Schildern und Parolen handle, sondern um einen absolut friedlichen Spaziergang, der keiner Anmeldung bedürfe. Es gehe lediglich darum, Präsenz zu zeigen, "um der Argumentation mancher Regierungsmitglieder, es handle sich um eine kleine ›Minderheit‹, entgegenzutreten‹". Mit der Deklaration eines zwanglosen Spaziergangs versucht die Gruppierung, die Anmeldepflicht eine Versammlung oder Demonstration und die damit verbundenen Auflagen zu umgehen.

Es gibt keinen Ansprechpartner

Während die Spaziergänge am 20. und 27. Dezember wenig Anhänger gefunden haben und auch der am 3. Januar kaum auf Resonanz gestoßen ist, schien das Flugblatt seine Wirkung nicht verfehlt zu haben: Laut einem Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen trafen sich am Montagabend rund 150 Menschen vor dem Meßstetter Rathaus, am Friedhof stießen weitere 30 hinzu. Die Polizei beobachtete das Geschehen, aber da es weder Verkehrsbehinderungen noch besondere Vorkommnisse gab, mussten sie nicht einschreiten. Jedoch sei es schwierig, eine solch unangemeldete Veranstaltung, die den Anschein wahren will, dass die Teilnehmer rein zufällig zusammen durch die Stadt spazieren, zu kontrollieren. Es gebe keinen Ansprechpartner und es sei nicht einfach zu identifizieren, wer zu der Gruppe gehört und wer nicht.

In vielen Städten und Gemeinden finden seit Wochen an jedem Montagabend sogenannte "Corona-Spaziergänge" statt; meist unangemeldete Veranstaltungen mit Demonstrationscharakter, deren Teilnehmer spazierend und meist friedlich ihrem Protest gegen die Corona-Maßnahmen und die Impfpolitik Ausdruck verleihen. Alleine im Gebiet des Polizeipräsidiums Reutlingen, im Zollernalbkreis und den Landkreisen Tübingen und Reutlingen haben in 39 Städten und Gemeinden am Montagabend solche Spaziergänge stattgefunden. In Balingen haben sich laut Polizeiangaben rund 800 Menschen zu einem Spaziergang auf dem Marktplatz getroffen.

Kein Verständnis für Faktenleugnen

Bürgermeister Frank Schroft, vor dessen Rathaustür der Treffpunkt zu den Spaziergängen ist, zeigt derweil grundsätzlich Verständnis für Veranstaltungsformen wie die "Spaziergänge" – schließlich lebe man in einem Rechtsstaat. Diese müssten daher insbesondere dann möglich sein, wenn sie friedlich verlaufen und die Teilnehmer sich selbst und andere nicht gefährden. "Ich verstehe durchaus die Menschen, die aus Gründen der gesundheitlichen oder persönlichen Zweifel die Corona-Maßnahmen in Frage stellen und dies auch öffentlich zum Ausdruck bringen wollen", meint Schroft.

Kein Verständnis hingegen hat er für Verschwörungsmythiker oder bewusstes Faktenleugnen. "Für mich gehört zu einer sachlichen Auseinandersetzung, dass sie auf dem Boden der Realität stattfindet. Das erfordert auch die Wertschätzung gegenüber den Personen, mit denen eine solche Diskussion stattfindet." Nach Meinung des Bürgermeisters sollte grundsätzlich auf solche Formen des Protestes gelassen reagiert werden. Sie gehörten schließlich zum im Grundgesetz enthaltenen Recht der freien Meinungsäußerung.