Nagold und sein Bahnhof etwa um das Jahr 1880. Foto: Archiv Reule

150 Jahre ist es her, da erreichte die Eisenbahn auch Nagold. Für die Entwicklung der gesamten Region war das ein epochales Ereignis.

Nagold - Nach 1850 regte sich im Nagoldtal die Sehnsucht, nicht nur über Flusswasser und frische Luft mit der übrigen Welt verbunden zu werden. Da aus Calw im württembergischen Königreich wesentliche wirtschaftliche und geistliche Impulse hervorgegangen waren, sollten diese auch in andere Bahnen – Eisenbahnen – gelenkt werden. So empfahl sich von dort unter anderem der sehr agile Industrielle und Bankier Kommerzienrat J. G. Dörtenbach, Abgeordneter im württembergischen Landtag als Fürsprecher einer Bahnverbindung von Stuttgart über Calw und Nagold in Richtung Süden über den Schwarzwald in die Schweiz, weil diese über die Täler geführte Version die wenigsten Kosten erwarten ließe.

 

Als Gegenspieler profilierten sich für das Gäu der Böblinger Abgeordnete und Zeitungsredakteur des einflussreichen Schwäbischen Merkurs Otto Elben und der Schultheiß und Landwirt Conrad Ludwig Hiller aus Bondorf. Sie waren für eine Direktverbindung von Stuttgart über Böblingen, Herrenberg, nach Horb südwärts.

Die Milchstraße

Der württembergische Minister für Äußeres und Verkehr Karl von Varnbühler war jedoch in Hemmingen bei Ditzingen mit einem Milchhofdomänengut zur Versorgung Stuttgarts ansässig und hatte von Amts wegen mit zu entscheiden. So kam es dann 1865 im Landtag zur Gesetzesabstimmung, die mit einem Votum von 44 zu 42 Stimmen gegen die Gäubahn und für die südwestlich geführte württembergische Schwarzwaldbahn endete. Die neue Schienenverbindung bekam deshalb im Volksmund auch den Titel "Milchstraße", und der Verkehrsminister konnte fortan seine Pferde daheim im Stall lassen und im 1. Klasse-Abteil zügig talwärts ins Büro nach Stuttgart eilen.

Für Calw und Nagold war das ein großer Gewinn. Der Bau der Württembergischen Schwarzwaldbahn wurde 1865 verkündet und 1868 von Zuffenhausen nach Ditzingen eröffnet, 1869 über Leonberg nach Weil der Stadt weitergeführt und am 20. Juni 1872 in Calw und Nagold in Betrieb genommen. Im Fokus stand dabei, die Holztransporte vom Floß ganzjährig auf die Schiene zu bekommen und indirekt den generationenweiten Calwer Gewerbefleiß zu honorieren – mit der Folge, dass für ein Jahrzehnt internationaler Zugreiseverkehr auch Nagold erreichte.

Ein prominenter Gast

Doch bereits am 17. Juni 1872 gab es zur Einweihung den ganz "großen Bahnhof" im Nagoldtal. Prominentester Gast des Premierenzuges aus Stuttgart war Seine Majestät König Karl von Württemberg, der pünktlich um 1 Uhr mittags auf dem "gesinnig und geschmackvoll" dekorierten Nagolder Bahnhof dem - von der elegant gebauten Schnellzuglok Straßburg gezogenen - ersten Waggon entstieg und von der Stadtspitze und der gesamten Einwohnerschaft mit einem "vielstimmigen Hoch" begrüßt wurde. Glocken läuteten und "vom alten Thurme" wurde die Königshymne vom Posaunenchor intonisiert. Auf dem mit Kastanien umsäumten Nagolder Stadtacker beim Amtsgericht spielte die Ludwigsburger Militärmusik.

Da gleichzeitig die Visitation des Oberamtes stattfand, wurde der Rohbau der vom württembergischen Staat finanzierten neuen Stadtkirche zusammen mit Baumeister Schuster und Dekan Freihofer besichtigt, wobei die Lage und der Baustil als prächtig apostrophiert wurden. Die Schuljugend und die Feuerwehr standen auf dem ganzen Weg der Bahnhofstraße Spalier. Zur Stadtbesichtigung reichte es allerdings nicht mehr, aber der Bahnhof und seine Lage fanden Bewunderung, bevor ein donnerndes Hoch als Scheidegruß den Landesherrn per Dampfzug nach Wildberg brachte – zum Festmenü mit 90 Gedecken für geladene Gäste.

Festzug in Calw

Danach erfolgte in Calw unter Feuerwehreskortierung ein Festzug mit Salon- Empfang des Königs, wo ihm warmer Dank für das bisher gezeigte königliche Wohlwollen entgegenwehte und mit Begeisterung von Hochrufen auf Seine Majestät durch eine festlich bekleidete Menschenmenge gipfelte. Nach fahnengeschmückter und tannengezierter Besichtigungstour von Stadt, Nikolauskapelle, Teppichfabrik, Bachkorrektur-Kunstbauten und Bahnanlagen wurde er nach "huldvollem Ausdruck allergnädigsten Dankes" auf dem neuen Calwer Bahnhof zur Rückreise verabschiedet.

Der offizielle Eröffnungstag

Die offizielle Eröffnung am 20. Juni 1872 wurde im "Gesellschafter" als Tag der Freude wie er noch selten erlebt wurde begeistert tituliert. Dazu rief das Nagolder Festcomite dazu auf, die Häuser festlich zu bekränzen und zu beflaggen und bat um zahlreiche Beteiligung am Festzuge gemäß dem Festprogramm. Dieses begann um 5 Uhr mit Böllerschüssen, denen sich um 6 Uhr die Tagwache anschloss, um dann um 9 Uhr auf dem Postplatz (Vorstadtplatz) sich für den Festzug zu sammeln, welcher um 9 ¾ Uhr den Bahnzug mit Böllern, Musik und Reden empfing, wobei um 11 Uhr die Festgäste wieder mit dem Zug verabschiedet wurden. Nach dem Festessen auf der Post gab es ab 4 Uhr Musik auf dem Stadtacker und um 8 Uhr begann der Festball im Gasthof Rössle. Entlang der Bahnstrecke waren in Wildberg und Calw ähnliche Programme abgelaufen.

Nur zwei Jahre danach, am 1. Juni 1874, erfolgte die Fortsetzung der Bahnstrecke nach Horb und Pforzheim, und 20 Jahre später wurde schmalspurig dann auch Altensteig angebunden.

Die Macht der Böblinger Presse jedoch ist danach im württembergischen Landtag nicht klanglos verhallt und 1879 – sieben Jahre später – wurde eine "Gebirgsbahn" durch den Stuttgarter Kriegs- und Hasenberg nach Vaihingen, Böblingen, Horb und Freudenstadt gebaut und eröffnet, so dass bis heute dort noch D-Züge beziehungsweise Intercitys bis Zürich verkehren können.

75 Kilometer bis Stuttgart

Ab 1872 konnten die Nagolder über 75 Kilometer auf der schwäbischen Eisenbahn via Calw und ab 1879 sogar kürzer auf 72 Kilometer über Eutingen Stuttgart erreichen, wobei das letztere auch heute noch möglich ist. In den 150 Jahren ist viel Wasser auch ohne Holz die Nagold hinabgeflossen, und vieles auf der Schiene bewegt worden; Personenzüge, Eilzüge, D-Züge, Güter- und Eilgüterzüge mit Dampf- und Dieselloks, aber auch Regionalbahnen mit Dieseltriebwagen.

Die beiden ersten Bauabschnitte der württembergischen Schwarzwaldbahn wurden 1939 elektrifiziert und von Zuffenhausen nach Weil der Stadt in den Elektrotriebwagen-Vorortverkehr von Stuttgart aufgenommen, während der Restast nach Calw 1983 abgehängt wurde, um derzeit in der Reanimierung mit Elektro-Batterietechnik wiederbelebt zu werden.

Auf dem Ast der württembergischen Schwarzwaldbahn Nagold – Calw verkehren heute Regioshuttle-Diesel-Einzeltriebwagen, zum Teil im Halbstundentakt und täglich von Böblingen nach Nagold ein Übergabegüterzug für die Verlader und das Nagolder Containerterminal.