Raziye Diyana Mohammedi kam mit neun Jahren von Afghanistan nach Deutschland und sprach kein Wort Deutsch. In wenigen Jahren will sie ihr Abitur machen. Foto: Kuster

53 Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Land sind 2021 ins Programm "Talent im Land", kurz "TiL", aufgenommen worden – Raziye Diyana Mohammedi vom Progymnasium Tailfingen ist eine von ihnen.

Albstadt-Tailfingen - Raziye Diyana Mohammedi stammt aus Afghanistan; als sie 2015 mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Deutschland kam, war sie neun und sprach kein Wort Deutsch. Mittlerweile ist sie 15, besucht das Progymnasium Tailfingen und strebt das Abitur an. Dabei will "Talent im Land" Hilfestellung leisten: Das gemeinsame Stipendienprogramm der Baden-Württemberg-Stiftung, der Josef-Wund-Stiftung und der Menold-Bezler-Stiftung unterstützt Schülerinnen und Schüler, die begabt, fleißig und engagiert sind, aber auf dem Weg zum Abitur oder der Fachhochschulreife besondere Hürden überwinden müssen – etwa, weil sie aus sozial schwachen Familien kommen oder mit den Handicaps zurechtkommen müssen, die sich aus einem Migrationshintergrund ergeben.

Auch Raziye musste Hindernisse überwinden – nach Ende der Grundschulzeit ans Gymnasium zu wechseln, erforderte einigen Mut. Sie hat es trotzdem gewagt und nicht bereut: Wie eine "zweite Familie" seien Mitschüler und Lehrer für sie. "Sie waren immer solidarisch und haben mich unterstützt. Hier wird keiner wird ausgeschlossen."

Förderung von Kindern mit Talent und Potenzial

Begabung und Courage bleiben nicht verborgen – irgendwann kommt eine Lehrerin auf Raziye und ihre Schwester zu und fraget die beiden, ob sie schon mal von "Talent im Land" gehört" haben. Das Stipendienprogramm unterstützt sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche ab der siebten Klasse bis zum Schulabschluss mit monatlich 150 Euro, die sie für bildungsrelevante Zwecke ausgeben dürfen – zum Beispiel für Nachhilfe- oder Musikunterricht. Zudem erhalten sie Einladungen zu Seminaren und Workshops im ganzen Land, lernen dort andere "TiLer" kennen und erweitern ihren Horizont. Allerdings genügt es für ein Stipendium nicht, sozial benachteiligt zu sein – ordentliche Noten, Initiative und eine soziale Ader sind auch gefragt. Raziye ist Klassensprecherin und in der Tanz-AG aktiv, sie engagiert sich für Klimaschutz und für Frauenrechte. "Weil ich aus einem Land stamme, in dem Frauen nicht die gleiche Behandlung erfahren wie Männer und ihnen viele Möglichkeiten verschlossen bleiben."

Das alles schreibt Raziye in ihre "TiL"-Bewerbung – und dann wartet sie. Als die E-Mail eintrifft, schlägt ihr das Herz bis zum Hals; sie wagt nicht, sie allein zu öffnen, und wartet, bis sie zu Hause ist. Zusammen mit ihrer Mutter und Herbert Großmann, dem (groß)väterlichen Freund der Familie, öffnet sie die Mail – und liest "Herzlichen Glückwunsch!" Neben ihrer Schwester ist sie nun die zweite Stipendiatin in ihrer Familie.

Eine besondere Stütze für sie und ihre Familie

Worüber sich Herbert Großmann besonders freut. Er hat die neunjährige Raziye seinerzeit im Café Asyl kennengelernt. "Vorlaut, aber couragiert" sei sie gewesen, erzählt er, und gleich auf ihn zugegangen: Ob er ihr bei ihren Hausaufgaben helfen könne. Das tat er – und noch mehr: Im Lauf der Jahre ist er zu ihrem Mentor geworden – und tatsächlich so etwas wie ein Großvater. Sie nenn ihn auch "Opa".

Nach dem Abitur nach Amerika

Wie stellt sich Raziye Diyana Mohammedi ihre Zukunft vor? Nach dem Abitur würde sie gern für einige Zeit nach Amerika zu gehen, um dort zu studieren. Was genau, weiß sie noch nicht – aber eine gewisse Vorstellung hat sie doch: "Ich möchte versuchen, mich für sozial benachteiligte Menschen einzusetzen und ihnen das Leben leichter zu machen."