20 Jahre lang fiel niemandem im Kulturministerium auf, dass Lehrerstellen aufgrund einer IT-Panne nicht besetzt wurden. Schulen meldeten den Mangel, wurden aber nicht ernst genommen.
1440 unbesetzte Lehrerstellen – und niemandem fiel es auf. Nicht aber ein Jahr lang oder vielleicht zwei: Ganze 20 Jahre lang wurden in Baden-Württemberg mehr als 1000 Lehrerstellen nicht besetzt, die eigentlich gebraucht wurden. Während viele Schulen durchaus bemerkten, dass nicht genug Personal vorhanden war, fiel der Kultusverwaltung nichts auf – obwohl es anscheinend Hinweise auf Unstimmigkeiten gab. So hatte der Landeschülerbeirat solche 2024 bei den nicht abgerufenen Haushaltsmittel im Kultusministerium bemerkt.
Grund für die unbesetzten Lehrerstellen sollen Programmierfehler im Personal- und Stellenprogramm der Kultusverwaltung im Jahr 2005 gewesen sein, erklärt das Kultusministerium in einer Pressemitteilung. Als das Personalverwaltungssystem ein Update erfuhr, fiel auf, dass derzeit 1440 Lehrerstellen nicht besetzt sind. Die Lehrergewerkschaft GEW bezeichnet den Vorgang als Skandal.
Ähnlich sehen es die Schulleiter der Region. „Diese Meldung bedarf ja keines Kommentars mehr. Sie ist traurigerweise Satire in eigener Sache“, schreibt Mathias Meier-Gerwig, der Leiter des Robert-Gerwig-Gymnasiusm in Hausach. Dass so lange so viele Lehrerstellen unbesetzt geblieben seien, zeige, wie sich Verwaltung, Politik, Schulen, Eltern und leider auch Kinder an Mangel gewöhnt haben. „Die Überlastungsanzeigen und Bedarfsmeldungen wurden offenbar nicht ernstgenommen – es lief ja alles“, ärgert sich Meier-Gerwig. „Und das nur, weil engagierte Lehrer die Arbeit von 1440 nichtexistenten Kollegen mitgemacht haben.“
Er finde es skandalös, dass man jetzt nur den finanziellen Schaden, den es mutmaßlich nicht geben soll, benenne, nicht aber den Schaden, der Kindern durch nicht erteilten Unterricht, fehlende Förderung und zu kurz gekommene Zuwendung in den vergangenen 20 Jahren entstanden ist.
Bei allem Ärger sehe die Besetzung der Stellen am RGG für das kommende Schuljahr gut aus. „Mir fehlen derzeit keine Lehrkräfte, so dass wir guten Mutes in das neue Schuljahr starten können“, so Meier-Gerwig. Vom „Stellenschwund“ seien wohl andere Schularten betroffen. „Für uns als allgemeinbildendes Gymnasium scheint diese Meldung noch nicht die ganz große Relevanz zu haben. Ich will nicht hoffen, dass man sich noch an anderer Stelle verrechnet hat“, erklärt der Schulleiter abschließend.
Christof Terglane als Leiter des Bildungszentrums Haslach, teilt die Einschätzung der Lehrergewerkschaft, dass der Vorgang ein Skandal ist, schreibt er in einer E-Mail. Weiter will sie sich nicht äußern, freut sich aber, dass die Schule für das kommende stellenmäßig „gut versorgt“ sei.
Der Mangel wurde immer wieder zurückgemeldet
Auch die Hausacher Graf-Heinrich-Gemeinschaftsschule kann nicht über zu wenig Lehrer klagen: „Im kommenden Schuljahr sieht es zum Schulstart im September bei uns mit der Versorgung gut aus aufgrund von Elternzeitrückkehrern“, berichtet Leiterin Simone Giesler. In der Vergangenheit habe das aber noch ganz anders ausgesehen. „Dieser äußerte sich überwiegend durch Mehrarbeit und Unterrichtsausfall. Die Schulleitungen waren damit beschäftigt, Ausfälle zu kompensieren bei gleichzeitiger Erhöhung der Aufgabendichte und der Herausforderungen für die Lehrer“, fasst Giesler die damalige Situation zusammen.
Besonders erschreckend sei die Tatsache, dass die Schulen den Mangel jahrelang zurückgemeldet haben, weil er deutlich spürbar gewesen sei. Personalvertretungen, Verbände und Gewerkschaften seien aber nicht erhört worden. „Dieses fehlende Gespür für die Basis finde ich sehr besorgniserregend. Es wäre jetzt an der Zeit, diese Haltung zu überdenken und die Rückmeldungen derer, die Schule leben, ernst zu nehmen“, meint Giesler.
„Wir machen personell vermutlich auch in diesem Jahr stellenmäßig wieder eine Punktlandung. Die letzten Planungen laufen aktuell“, berichtet Frauke Ebert, Leiterin der Kaufmännischen Schulen Hausach. Aufgrund von Pensionierungen im kommenden Schuljahr würden einige Stellen ausgeschrieben; sie sei aber zuversichtlich, sie mit Blick auf das Schuljahr 2026/27 wieder gut besetzen zu können. Dass als Grund für die unbesetzten Lehrerposten in Baden-Württemberg eine IT-Panne angegeben wird, bezeichnet sie als „erstaunlichen Vorgang“. „Eine Aufarbeitung wäre wünschenswert. Die Bewertung überlasse ich anderen“, sagt sie abschließend.
Finanzierung
Für die Finanzierung der unbesetzten Stellen gibt es laut Finanzministerium einen Topf für ungeplante Personalkosten. Die Besetzung der 1440 Stellen wird demnach schätzungsweise jährlich 120 Millionen Euro kosten .