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In der zweitgrößten französischen Stadt tobt ein Bandenkrieg um Drogen und Waffen.

Marseille - Die Schauplätze liegen meist in den Vorort-Ghettos, die Waffen kommen vom Balkan, und niedrige Schwarzmarktpreise machen den Kalaschnikow-Kauf möglich. Marseille, zweitgrößte Stadt Frankreichs, wird von einem Bandenkrieg um Drogen und Waffen erschüttert. Die Täter werden immer jünger.

Er war erst 16. Ein kleines Licht im Drogenhandel von Marseille. Wie immer hatte er auch am vergangenen Freitag im Stadtteil Clos-la-Rose seine kleine Verkaufsbude aufgebaut. Doch an diesem Abend kamen nicht nur Stammkunden, sondern auch seine Mörder.

Gegen halb zehn rollten ein Audi und ein Alfa Romeo vor, und mit mehreren Kalaschnikow-Salven durchsiebten sie den wehrlosen Jugendlichen. Ein unbeteiligter Junge, erst elf Jahre alt, der gerade eine Pizza für seine Tante holte, kam mit schwersten Verletzungen davon. Kugeln trafen ihn am Hals, in der Lunge, an Händen und Füßen. Offenbar sollte der unfreiwillige Zeuge dieser Hinrichtung ebenfalls ausgeschaltet werden.

In Marseille herrscht Krieg

In Marseille herrscht seit Monaten Krieg: ein mörderischer Bandenkrieg um die Vorherrschaft im äußerst lukrativen Geschäft mit Drogen und Waffen. Die Blutspur, die sich durch die zweitgrößte Stadt Frankreichs zieht, wird immer breiter. Allein in diesem Jahr kamen bereits 14 Menschen ums Leben, über ein Dutzend wurden verletzt. Besonders mörderisch war der August mit fünf Toten. Lange Zeit reagierte die Marseiller Polizei auf die Eskalation der Gewalt mit einer Mischung aus Entsetzen und Hilflosigkeit. Entsetzen deshalb, weil Täter und Opfer immer jünger und immer brutaler werden.

Die Zeiten, als die berühmt-berüchtigte "French Connection" den Heroinhandel der südfranzösischen Hafenstadt voll im Griff hatte, sind längst vorbei. Fahnder sprechen inzwischen von der "Baby Connection". "Sie glauben, sie seien Akteure eines Videospiels oder einer amerikanischen Krimiserie", zitiert die Zeitung "Le Monde" Marseilles Kriminaldirektor Christian Lothion.

Kalaschnikow als Statussymbol

Noch vor wenigen Jahren hatten die Drogenbarone die französische Metropole einigermaßen friedlich aufgeteilt, Schusswaffen kamen nur ausnahmsweise zum Einsatz. Heute hingegen rennt die "Baby Connection" mit Kalaschnikows und anderen automatischen Schusswaffen russischer Herkunft, großkalibrigen Revolvern und Pistolen, ja sogar mit Panzerfäusten durch die Gegend. Rechtsanwalt Yann Prévost, der die Familie eines zu Tode geprügelten Jugendlichen vertritt, sagte in einem Interview: "Es scheint, als ob sich die Jungen durch das Verbrechen emanzipieren wollen." Sich mit schweren Waffen aufzurüsten ist in Marseille längst ein Kinderspiel.

Vor allem Kalaschnikows vom Typ AK-47, die meistverkaufte Schusswaffe der Welt, gelangen via Balkan massenhaft an die Mittelmeerküste. Schwarzmarktpreise zwischen 300 und 500 Euro machen dieses martialische Statussymbol selbst für die "Nachwuchs-Soldaten" erschwinglich.

Jahrelang hat die Drogenmafia aufgerüstet

Sozialarbeiter beklagen die schwerwiegenden Versäumnisse der Politik. Jahrelang habe man tatenlos mit angesehen, wie die Drogenmafia aufrüstete. Jetzt offenbart der Bandenkrieg schonungslos das Scheitern der französischen Einwanderungspolitik. Meistens liegen die Schauplätze in der Banlieue: Immigranten-Ghettos, in denen die Gesetze der französischen Republik längst außer Kraft gesetzt sind.

Stattdessen herrschen hier die Prinzipien der Drogenmafia. Wenn Roma-Gangs auf maghrebinische Banden losgehen, geht's nicht nur um Märkte, sondern auch um Blutrache. Diese düsteren Zustände passen überhaupt nicht zum Anspruch der Regierung Sarkozy, die seit 2007 nicht müde wird, dem Volk mehr innere Sicherheit zu versprechen. Deshalb schickte Innenminister Brice Hortefeux als Reaktion auf den Tod des 16-Jährigen mehrere Hundertschaften ins "Kriegsgebiet". Nun jagt eine Razzia die andere. Das signalisiert zwar Entschlossenheit, doch die Ergebnisse sind meistens dürftig.

Auch weil die Fahnder immer wieder auf eine Mauer des Schweigens stoßen.