Beim Brand in einer Werkstatt für Behinderte der Caritas in Titisee-Neustadt (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) kamen vor zehn Jahren 14 Menschen ums Leben. 14 weitere wurden verletzt. Foto: Stefanie Salzer-Deckert

Vor zehn Jahren starben bei einem Feuer in einer Behindertenwerkstatt in Titisee-Neustadt 14 Menschen. Eine Wunde, die nie heilen wird.

Titisee-Neustadt - Es sei keine Frage, ob man als Rettungskraft irgendwann mit einem schweren Katastropheneinsatz konfrontiert werde. Es sei lediglich eine Frage, wann dies geschehen werde. Diesen Satz hat der ehemalige Pressesprecher der Freiburger Polizei, Karl-Heinz Schmid, 2012 im November bei einer Fortbildung für freiwillige Feuerwehrleute im Hochschwarzwald gesagt.

Er hat sich ihm eingebrannt. Nicht etwa, weil es ein besonders kluger Satz gewesen wäre. Sondern weil er sich für Schmid und die Feuerwehren in der Region um Titisee-Neustadt schon wenige Tage später in fürchterlicher Weise bewahrheiten sollte: Bei einem Brand in einer Werkstatt für Behinderte der Caritas in Titisee-Neustadt (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) kamen 14 Menschen ums Leben. 14 weitere wurden verletzt.

Bundesweit sorgte die Katastrophe, ausgelöst durch einen Bedienfehler an einem Gasofen, gleichermaßen für Entsetzen und Mitgefühl. Für die Überlebenden und die Hinterbliebenen der Opfer ist sie bis heute eine Wunde, die nicht verheilen kann. 

Der Schock sitzt bis heute noch sehr tief

Nein, so eine Sprecherin der Caritas, öffentlich äußern werde man sich angesichts des traurigen Jahrestages nicht. Es sei eh schwer genug für die Überlebenden von damals, die Angehörigen der Toten und das Team der Werkstatt in Neustadt. Viele würden den Medienrummel fürchten, der nun drohe. Aber natürlich werde man der Toten gedenken und über sie miteinander sprechen. Wie jedes Jahr seit 2012. Und wie es wohl auch noch in vielen Jahren der Fall sein werde. 

Was wie eine Übung klang, war bitterer ernst

Gotthard Benitz (64) kann diese Gefühlslage nachempfinden. Er war damals Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr in Neustadt. Als der Alarm losging, dachte er mit keinem Gedanken daran, was an diesem Tag auf ihn und seine Kameraden zukommen würde. Rettungseinsätze mit Menschen seien ja nicht die Regel bei der Feuerwehr. Und ein Brandalarm sei ebenfalls nicht außergewöhnlich. "Ich war auf der Rückfahrt von einem Termin in Freiburg und dachte: Ich schau da mal vorbei. Bis dahin sind die Kollegen eh schon fertig." Aber dann hörte er Berichte über eine starke Rauchentwicklung und die Hilferufe der Menschen. "Das klang fast wie eine Übung." Aber es war keine Übung.

„Die ersten Bilder werde ich nie vergessen“

Die erste Person, die Benitz am Brandort sah, war ein Mann im Rollstuhl mit einem vom Ruß geschwärzten Gesicht. "Das werde ich nie vergessen", so der 64-jährige. Als nächstes sah er, wie seine Kameraden leblose Personen über eine Rettungsleiter aus dem Gebäude holten. Und dann sah er die Feuerwehrleute, die das stark verrauchte Gebäude in Schichten betreten und verlassen mussten. "Die rauskamen, lagen sich weinend in den Armen und konnten nicht mehr sprechen", so Benitz. "Es war wie ein Film, man konnte es nicht glauben, dass so etwas geschehen ist." Die ganze Stadt habe unter Schock gestanden, sagte damals der mittlerweile nicht mehr amtierende Bürgermeister Armin Hinterseh. 

Viele der Opfer hatten versucht, sich unter Tischen zu schützen

Viele der Opfer hätten sich unter den Tischen in der Werkstatt versucht vor den Folgen der Gasverpuffung zu verstecken, berichtet Benitz rückblickend. Manche der Toten habe man noch am Tisch vor dem Essen sitzend aufgefunden. Ein Schreckensszenario, auf das niemand vorbereitet sein konnte. Dennoch habe keiner der 150 Retter der eingesetzten Feuerwehren aus dem ganzen Hochschwarzwald nachher sein Ehrenamt an den Nagel gehängt. Das mache ihn froh, sagt Benitz auch zehn später noch. 

Bundespräsident kommt zur Gedenkfeier

Viel Hilfe bei der unmittelbaren Bewältigung der Katastrophe habe die Gedenkfeier mit dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck im Neustädter Münster damals gebracht, erklärt Schmid. Gauck habe mit Rettern und Hinterbliebenen gesprochen, habe Menschen in den Arm genommen und Trost gespendet, wo immer es möglich war. Er habe den Präsidenten da "in der Rolle seines Lebens" wahrgenommen, so Schmid, der sich in der Rückschau an kaum einen Einsatz als Polizist und Pressesprecher erinnern kann, der so tiefe Spuren bei ihm hinterlassen hat: "Ich besuche noch heute jedes Mal die Gedenkstätte in Neustadt, wenn ich im Hochschwarzwald unterwegs bin", so der pensionierte Kriminalhauptkommissar, der in seiner Zeit als Ermittler manchen Mörder überführt hat. "Aber in Neustadt waren die Opfer die schutzbedürftigsten Teile unserer Gesellschaft. Das schmerzte ganz besonders."

Große Betroffenheit war zu spüren

Das habe auch über den Tag hinaus den Eindruck über den Einsatz besonders tief werden lassen. Aber erst mit einiger zeitlicher Verzögerung. Am Brandort sei es nur darum gegangen, professionell zu funktionieren, erklärt der Polizei-Pensionär. "Das geht ja nie weg", sagt auch Benitz. "Und das ist ja auch gut so, das darf so sein." Schlimm sei hingegen gewesen, dass die Angehörigen der Feuerwehr in Neustadt in den ersten Tagen nach der Katastrophe von der Bevölkerung regelrecht gemieden wurden. "Die Leute hatten Angst, sie wussten nicht, was sie zu uns sagen sollten." 

Politiker wirkten wie versteinert

Die große Betroffenheit war damals auch bei der Pressekonferenz am Brandort zu spüren: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) reiste unmittelbar an, Landrätin Dorothea Störr-Ritter (CDU), Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer (parteilos) und selbst der damalige Polizeichef Alfred Oschwald aus Freiburg wirkten wie versteinert, während Schmid auch damit beschäftigt war, allzu aufdringliche Medienvertreter im Zaum zu halten. "Zu 80 Prozent haben sich die Journalisten pietätvoll verhalten" erinnert er sich. Es habe aber auch Journalisten gegeben, die versucht hätten, sich in einer bereitgestellten Firmenhalle an die Angehörigen der Opfer heranzumachen, um diese "zu einem unverschämt frühen Zeitpunkt" zu interviewen, während sie sich dort aufwärmen und sammeln wollten.

Arbeit beim Einsatz glich einem Drahtseilakt

Die Arbeit bei diesem Einsatz glich für Schmid einem Drahtseilakt zwischen Politiker-Briefing und seiner Funktion gegenüber den Medien. Später wurde er für seine Professionalität in der Situation vom Deutschen Feuerwehrverband mit einer Auszeichnung geehrt. Natürlich habe ihn das auch mit Stolz erfüllt. "Aber ich würde die Medaille sofort zurückgeben, wenn es das Geschehen vom 26. November ungeschehen machen würde." Das kann freilich nichts und niemand. Im Gegenteil, es wird immer Katastrophen geben, die Frage ist nicht ob, sondern wann: "Man kann solche Katastrophen nicht verhindern" sagt Benitz im Rückblick.

Sämtliche Anforderungen des Brandschutzes seien in der Caritas-Werkstatt erfüllt gewesen. Trotzdem seien am Abend des 26. November 2012 14 Menschen im Alter zwischen 28 und 68 Jahren tot gewesen, darunter auch die 50 Jahre alte Betreuungsperson, die den Bedienfehler an der Gasflasche verursacht hatte.

Brandalarm am Tag der Wiedereröffnung

Zwei Jahre später wurde in Neustadt ein neues Werkstattgebäude von der Caritas bezogen. 2015 wurde zudem eine Gedenkstätte für die Opfer eingerichtet. Am Tag der Eröffnung der neuen Werkstatt gab es dort einen Brandalarm, erinnert Benitz sich. Ein Fehlalarm, zum Glück. Jedoch auf dem Weg zur Werkstatt habe keiner im Feuerwehrauto auch nur ein Wort gesprochen.