Die vermehrten Kirchenaustritte infolge des neuen Einzugsverfahrens erfüllen Dekane Beatus Widmann (von links) und Anton Bock, die kirchlichen Verwaltungsleiter Wolfgang Staiger und Berthold Stroppel sowie Pfarrer Christof Seisser mit Sorge. Sie wollen vor dem 1. Januar die Christen im Raum Balingen besser informieren. Foto: Schnurr

Missverständnisse bei Umstrukturierung: Dekane sehen Grund in unzureichenden Informationen über Neuregelung der Kirchensteuer.

Zollernalbkreis - Evangelischer Kirchenbezirk und katholisches Dekanat Balingen bemerken einen starken Anstieg bei den Kirchenaustritten. Den Grund sehen die Dekane in unzureichenden Informationen über das neue Einzugsverfahren für Kirchensteuer aus Kapitalerträgen.

Ab 1. Januar behalten Banken automatisch einen Kirchensteueranteil von acht Prozent von allen Erträgen aus Kapitalvermögen ein. An der Höhe der Kirchensteuer ändert sich dadurch nichts. Doch allein die Mitteilung dieser Neuerung hat viele Kirchenmitglieder verunsichert und dazu geführt, dass evangelische sowie katholische Christen auch im Raum Balingen verstärkt austreten – in der Annahme, sie müssten sonst mehr bezahlen.

Der Anstieg ist spürbar. So haben beispielsweise der katholischen Kirchengemeinde St. Elisabeth in Tailfingen im Vorjahr zehn Mitglieder den Rücken gekehrt, berichtet Dekan Anton Bock. 2014 waren es bislang schon 20.

Ähnlich sieht das im evangelischen Bezirk Balingen aus: 378 Austritt zählte Dekan Beatus Widmann 2013, in den ersten drei Quartalen 2014 verließen bereits 464 Mitglieder die Gemeinschaft: "Das hat uns wirklich alarmiert", sagt Widmann.

Die organisatorische Änderung beim Einzug des Kirchensteueranteils aus Kapitalerträgen hat aus Sicht der Kirchen im Bereich Balingen zu unnötigen Austritten geführt. Denn es sei der Eindruck entstanden, es werde eine zusätzliche Steuer eingeführt. Das aber ist falsch. Mehr als drei Viertel der Sparer haben weniger als 100 000 Euro Kapitalvermögen und wären so oder so nicht betroffen.

Laut Anton Bock sind unter den austretenden Mitgliedern eher Geringverdienende: "Um die ist es mir besonders schade." Gerade Menschen in prekären Situationen wolle man nicht verlieren, pflichtet Beatus Widmann dem katholischen Kollegen bei.

Eine Teilschuld an den Austritten sehen die Kirchenvertreter bei sich selbst: Die Kirchen hätten nicht geahnt, welche Verunsicherung diese Neuerung bringen würde, und im Vorfeld ihre Mitglieder nicht ausreichend informiert, sind sich die Dekane, die kirchlichen Verwaltungsleiter Wolfgang Staiger und Berthold Stroppel sowie Pfarrer Christof Seisser einig. "Da ist ein Image-Schaden entstanden, der uns viele Kirchenmitglieder kostet", bedauert Beatus Widmann.

Doch auch die Banken hätten besser informieren können, findet Berthold Stroppel, Leiter des katholischen Verwaltungszentrums in Albstadt. Das Problem war aus Sicht von Dekan Bock, dass ausnahmslos alle Sparer über die Neuerung informiert wurden, "auch wenn sie vielleicht nur 5000 Euro auf dem Sparbuch haben".

Vor Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar wollen Kirchenbezirk und Dekanat daher besser informieren. Sie tun dies über Handzettel, Homepages zum Thema und Info-Telefone.

Und die Kirchenvertreter stellen das in den Vordergrund, was vor Ort mit Geld aus der Kirchensteuer bezahlt wird: neben Verkündigung, Seelsorge und Religionsunterricht beispielsweise soziale, karitative und diakonische Aufgaben. Die Arbeit in den Kirchengemeinden und die Löhne der Hauptamtlichen werden ebenso daraus bestritten wie Lebensberatungen oder Jugendarbeit.

Anders als bei allen anderen Steuern könne jeder Christ selbst bewusst entscheiden, ob er Kirchensteuer bezahlen möchte. Eine Mitgliedschaft bedeutet aus Sicht der Dekane, dass man auch finanziell zur Arbeit der jeweiligen Gemeinde beiträgt. "Das ist eine Möglichkeit, ein freiwilliger Akt, Solidarität auszudrücken", betont Dekan Bock. Dass Menschen, die nicht mehr einer Kirche angehören, keine kirchlichen Amtshandlungen wie Trauungen oder Bestattungen mehr in Anspruch nehmen können, ist die andere Seite.

Nebenbei: Gratis ist der Einzug der Steuer für die Kirchen übrigens nicht. Der Staat lässt sich diese Dienstleistung mit drei Prozent des Kirchensteueraufkommens bezahlen.