Ein Bomber des Typs Lancaster III stürzte am 26. Februar 1944 in Stetten ab. Foto: Wikipedia (Balcer/Royal Air Force)

Arnd Sakautzky entdeckt mutmaßliche Bombe im Gewann Hörnle. Experten nehmen Entschärfung vor.

Zimmern-Stetten - Vor Stetten liegt ein außergewöhnlicher Tag: Heute will der Kampfmittelbeseitigungsdienst die Bombe entschärfen, die er in einem Waldstück in der Nähe des Friedhofs vermutet. Entdeckt hat sie der Stettener Arnd Sakautzky.

Die entscheidende Nacht war vom 25. auf den 26. Februar 1944, die Lancaster III, ein Bomber der australischen Luftwaffe, seit gut drei Stunden in der Luft. Von England aus lautete das Ziel Augsburg. Der Auftrag: Die Bombardierung der dortigen MAN- und Messerschmittwerke. So weit allerdings sollte es nicht kommen. Um 0.27 Uhr, in 4000 Metern Höhe, schoss ein deutscher Jäger auf den Bomber. Das war zwischen Horgen und Flözlingen, zum Absturz der beschädigten Lancaster kam es in der Nähe des Stettener Friedhofs.

Schon sein Großvater hatte ihm von diesem Absturz erzählt, berichtet Arnd Sakautzky. Auch andere alte Stettener wussten davon. Doch erst im vergangenen November stolperte der Ortschafts- und Gemeinderat wieder über das Thema: Auf einem Oldtimermarkt in Herrenberg kam er ins Gespräch mit einem Standbetreiber, der sich für solche Absturzstellen interessiert. All zu viel konnte der Stettener seinem Gesprächspartner nicht sagen. Gut ein Jahr später sähe das anders aus: Sakautzky hat begonnen, im Internet zu recherchieren. Er habe relativ schnell viele Informationen gefunden. "Abends mit dem Tablet auf dem Sofa", erzählt er schmunzelnd. Die Recherche sei wie Puzzeln. "Du findest immer wieder ein Stückchen mehr."

Irgendwann wusste der Familienvater, dass sieben Mann an Bord der abgestürzten Maschine waren, kannte ihren Dienstgrad und ihre Herkunft. Sogar auf ein Foto ist er gestoßen. Alle sieben kamen ums Leben und wurden zunächst auf dem örtlichen Friedhof bestattet – am 1. März von sieben Kriegsgefangenen aus dem Lager Rottenmünster. "Die Bestattung erfolgte mit militärischen Ehren", hat sich Arnd Sakautzky notiert. Diese Information stammt aus der 75-seitigen Absturzakte im australischen Nationalarchiv.

Gespräche mit Zeitzeugen und Bücher beispielsweise über den Angriff auf Augsburg lieferten ihm weitere Details. Dazu kommen Kontakte mit Nachfahren der Bomberbesatzung oder dem australischen Veteranenverband.

Irgendwann stieß der 46-Jährige auf die Ladungsliste der Lancaster III und wusste: An Bord waren eine Luftmine mit 4000 englischen Pfund Gewicht, fünf Sprengbomben mit 1000 und eine mit 500 Pfund. Die Luftmine war offenbar bereits beim Absturz explodiert. Das legen Schäden beispielsweise auf dem Dach des "Löwen" nahe. Auch auf dem Friedhof war eine Bombe explodiert. Mit der Kamera machte sich Arnd Sakautzky auf in den Wald und fand dort vier weitere Krater. In einem habe er ein bisschen gescharrt "und nach ein paar Zentimetern das gefunden, was ich nicht finden wollte", berichtet er. Das war vor gut zwei Wochen.

Sein erster Anruf nach der Entdeckung galt dem Kindergarten: Weil immer wieder Gruppen in dem Waldstück spielen. "Gar nicht auszudenken, wenn 20 Kinder in dem Krater sitzen und an der Bombe scharren würden". Der zweite ging nach Stuttgart, zum Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD).

Er schickte alle seine Unterlagen dorthin, eine Woche später kam KMBD-Mitarbeiter Christoph Rottner nach Stetten. Die beiden haben sich den Krater gemeinsam angeschaut und, so sagte Rottner im Gespräch mit unserer Zeitung, "angegraben". "Es ist schon mal kein Blecheimer, so viel steht fest", erklärt Sakautzky. Der Experte geht davon aus, dass es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um eine 500-Pfund-Bombe handelt. Gewissheit gibt es heute Morgen. Dann legen Rottner und seine Kollegen die mutmaßliche Bombe frei. Bestätigt sich ihr Verdacht, folgt die Entschärfung. Die Gemeinde Zimmern evakuiert zur Sicherheit einen Bereich mit einem Radius von bis zu 500 Metern um den Fundort (wir berichteten).

Etwa 230 Stettener müssen ihr Zuhause verlassen. Ein Kraftakt für die Gemeinde, eine ungewöhnliche Situation für die Anwohner. Dennoch sagt der Entdecker der Bombe, er habe noch keine negativen Reaktionen zu hören bekommen – weder von Mitbürgern noch von der Verwaltung. Und Arnd Sakautzky würde wieder so entscheiden: Zumal in etwa anderthalb Metern von der Fundstelle entfernt ein Waldweg verläuft, auf dem auch Vollernter unterwegs sind. Was, wenn der Blindgänger irgendwann einfach hochginge?

Am Montag war Sakautzky erneut mit Christoph Rottner im Wald, um nach einer weiteren Bombe zu suchen, die seinen Recherchen nach noch fehlt. Gefunden haben sie nichts. "Das war ein ungutes Gefühl", sagt er dennoch.

Bis 9.30 Uhr müssen die Anwohner im gesperrten Bereich am heutigen Donnerstag ihre Wohnungen verlassen haben. Die Feuerwehr wird dies überprüfen. Kindergarten und Schule bleiben geschlossen. Für Anwohner, die für die Zeit der Evakuierung eine Unterkunft benötigen, ist ab 8.30 Uhr die Turnhalle Horgen geöffnet. Für zwei ältere Stettener hat die Gemeinde die Unterbringung in Seniorenheimen organisiert. Die Straßensperrungen werden nach der Entschärfung der Bombe – sollte es sich wie erwartet um eine handeln – wieder aufgehoben, vermutlich gegen 14 Uhr. Stettener Bushaltestellen werden heute nicht angefahren. Der "Krisenstab" sitzt im Mannschaftsraum der Feuerwehr in Flözlingen.

Weitere Informationen: Infotelefon der Gemeinde am heutigen Donnerstag: 0172/7 25 29 24