Christoph Rottner vom Kampfmittelbeseitigungsdienst hat den Zünder der Fliegerbombe in Stetten entfernt. Foto: Schickle

Kampfmittelbeseitigungsdienst macht Fliegerbombe in Stetten unschädlich. Jährlich bis zu 20 Einsätze im Südwesten.

Zimmern ob Rottweil - Christoph Rottner hat Routine. 70 bis 80 Bomben hat der Feuerwerker bereits für den baden-württembergischem Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) entschärft. In der Regel sind fünf Minuten dafür genug, manchmal sind es 20. An diesem Morgen in Stetten (Landkreis Rottweil) allerdings ist alles ein bisschen anders. Schon nach dem Freilegen der Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg wissen die vier Experten aus Stuttgart: Das könnte brenzlig werden. Der Zünder des Sprengkörpers, der es auf 500 englische Pfund (rund 227 Kilogramm) bringt, ist beschädigt, es fehlt ein Stück.

Die kleine Emilia, nicht einmal 500 Meter Luftlinie entfernt, hat zur selben Zeit ganz andere Sorgen: Das Pferd muss in Sicherheit gebracht werden. "Rain" steht neben der Couch und wartet auf seinen Abtransport, genau wie Eule Eulalia und die anderen, flauschigen Gesellen, die auf dem Sofa sitzen. "Ich bring’ meine Kuscheltiere in den Keller", erklärt die Siebenjährige. Schließlich soll ihnen nichts passieren an diesem Tag, an dem alles anders ist in dem Teilort von Zimmern ob Rottweil. Nicht nur Emilia und ihre Tiere, auch rund 230 Bürger aus der kleinen Gemeinde im Eschachtal müssen sich gestern in Sicherheit bringen, während der KMBD versuchen will, die Bombe zu entschärfen.

Was, wenn’s nicht gut geht? Was ist dann mit dem Haus?

Seit gut einer Woche wissen die Stettener davon, fast genauso lange ist bekannt, dass das Gebiet in einem 500-Meter-Radius um den Fundort im Wald nahe des Friedhofs evakuiert werden muss. Um 9.30 Uhr müssen alle Betroffnen ihre Häuser verlassen haben. Viel wollen sie nicht mitnehmen, erzählt Nadja Höchster, Emilias Tante, die nebenan wohnt. Eigentlich wollten sie, ihre Schwester Marion Knapp und die fünf Mädchen einen Ausflug machen. Schule und Kindergarten bleiben gestern ohnehin geschlossen. Dann allerdings wird Sina, mit vier Jahren die jüngste in der Familie, krank. Und plötzlich stellt sich die Frage: Wohin? Am Ende kommen sie bei Knapps Schwiegermutter in Rottweil-Göllsdorf unter.

Die beiden Familien verlassen ihre Häuser mit wenig Gepäck, dafür mit einem unguten Gefühl. Eine Woche lang, sagt Marion Knapp, hätten sie alle gelacht über den Bombenfund. Nur die Kinder machten sich allerlei Gedanken: über die Sicherheit der Tiere im Wald und über die der Männer, die die Bombe unschädlich machen müssen. "Ich bin schon ein bisschen aufgeregt", sagt auch die 39-Jährige am Morgen. Was, wenn die Entschärfung nicht gut geht? Was ist dann mit dem Haus? "Mein Herz klopft ganz arg, ich hab grad hingefasst", fügt ihre Tochter Emilia hinzu.

Da haben die vier Männer vom baden-württembergischen Kampfmittelbeseitigungsdienst die Bombe bereits ausgebaggert. Was bisher eine Vermutung war, hat sich bestätigt. Sie stammt von einem Flieger der australischen Luftwaffe, der in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 von einem deutschen Jäger abgeschossen wurde und neben dem Friedhof abstürzte. So ist ein Stettener Bürger der Bombe auch auf die Spur gekommen.

Der 46-jährige Arnd Sakautzy hatte schon als Kind von seinem Opa von dem Absturz erfahren, bei seinen Recherchen stieß er unter anderem auf die Ladungsliste und stellte fest: Zwei Bomben muss es noch irgendwo geben. Von der einen fehlt noch immer jede Spur, auch die Suche des KMBD bleibt erfolglos. Von der anderen entdeckte Sakautzky einen Krater und begann, zu graben. Nach wenigen Zentimetern stieß er auf das, was er eigentlich nicht entdecken wollte: die mutmaßliche Bombe. Sakautzky informierte umgehend die Stuttgarter Experten.

Die Stettener ist die 16. Bombe in Baden-Württemberg in diesem Jahr, die der KMBD unschädlich machen muss. Sie ist kein einfacher Fall. Als die Nachricht vom beschädigten Zünder den Krisenstab mit Gemeindeverwaltung, Landratsamt, Feuerwehr und Polizei erreicht, steht die Frage im Raum: Ist der Zünder abnehmbar oder nicht? Falls nein, müsste die Bombe gesprengt werden. Dann müsste ganz Stetten, womöglich noch ein Teil des Nachbarorts evakuiert werden. Jetzt schon sind fast 90 Rettungskräfte im Einsatz.

Rottner braucht 45 Minuten, um den Zünder auszubauen

Die erlösende Nachricht erreicht das Einsatzzentrum um kurz vor 11.27 Uhr: Christoph Rottner hat die Bombe entschärft. 45 Minuten lang hat er gebraucht, um den mechanischen Zünder auszubauen. "Relativ lange", sagt der Feuerwerker für Kampfmittelbeseitigung später. Die Entschärfung ist problematisch, bestätigt sein Kollege Mathias Peterle. Anders als bei Routine-Entschärfungen habe Rottner alle Kollegen weggeschickt, während er sich an der Bombe zu schaffen machte. "Weil’s so riskant war", erklärt Peterle. "Respekt", sagt ein Mitarbeiter des Landratsamts deshalb zu den Männern, als er sich die freigelegte Bombe im Wald anschaut.

Wenn die Entschärfung nicht geklappt hätte, hätten die vier die Bombe mit dem Bagger ein Stück vom Dorf weg transportiert, auf die Höhe. Dort hätte sie – mit einem Wassersack mit 20 000 Litern Inhalt bedeckt, um den schlimmsten Splitterflug zu verhindern – gesprengt werden müssen. Selbst solch eine kontrollierte Sprengung ist riskant: In München-Schwabing gerieten bei einem ähnlichen Fall im August 2012 mehrere Dachstühle in Brand.

Nicht nur deshalb hat der KMBD einen brenzligen Job. "Es gibt immer mal wieder Unfälle", sagt Ralf Vendel, der Leiter des baden-württembergischen Dienstes. In Göttingen kamen vor gut vier Jahren drei Spezialisten ums Leben, als ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg detonierte, bevor sie mit der Entschärfung überhaupt beginnen konnten. Auch Baden-Württemberg hat 13 tödliche Unfälle seit 1945 zu beklagen.

Glimpflich gingen in den vergangenen Jahren Entschärfungen beispielsweise in Villingen-Schwenningen über die Bühne. Im Sommer 2008 wurden bei Bauarbeiten für die Landesgartenschau zwei Fliegerbomben entdeckt, auch in diesem Fall machten die Experten aus Stuttgart sie unschädlich. Im September 2011 wurde in Schramberg (Kreis Rottweil) ein Blindgänger von 1945 entschärft. Die Überreste sind inzwischen im dortigen Stadtarchiv zu sehen.

Auf 5 bis 20 Bomben kommen Ralf Vendel und seine Mitarbeiter jedes Jahr im Südwesten, daneben vernichten sie 60 bis 130 Tonnen Munition. Auch Handgranaten und alles Weitere, was bis 1945 an Munition zum Einsatz kam. Einer muss den Job machen, stellt Vendel nüchtern fest. Trotz aller Gefahren ist es für ihn einer der schönsten, den es gibt. Er und sein Team beseitigen die Altlasten der Weltkriege und helfen so, "die Welt ein bisschen sicherer zu machen".

Wie hatte Emilia (7) noch zu ihrer Mutter gesagt? "Ich würde nie so einen Mann heiraten, der so was macht." Sonst müsste sie sich nämlich immer Sorgen um ihn machen. Um Christoph Rottner und seine drei Kollegen musste die kleine Stettenerin gestern keine Angst haben. Auch wenn es kein unproblematischer Einsatz war: Die vier haben es geschafft – und das Eschachtal wieder ein bisschen sicherer gemacht.