Ob von den Auen der Kinzig im Tal wie zwischen Fischerbach und Hausach, die Menschen im Tal leben in der Natur dieser Schwarzwaldregion. Sie ist geprägt durch viel Wasser, Wald, Steilhänge und wenig flache Flächen für Landwirtschaft und Hausbau. Foto: Schwarzwälder-Bote

Essay über Komplexität des Alltags

Es lebt sich gut im "Kinzigtal, das Tal in dem wir leben". Das haben die beispielhaften Einblicke gezeigt, mit denen der Schwarzwälder Bote mit seiner gleichnamigen Sommerserie hinter einige Kulissen des ganz alltäglichen Lebens geblickt hat – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und auf Generalisierung natürlich.

Die geografische Entstehung der Region und deren Besiedelung waren Themen der Serie, genauso wie der Wald und die Luft zum Atmen, was die Biene für die heimische Landwirtschaft bedeutet und wie die Bauern auf den Schwarzwaldhöfen heute noch ihre Existenz sicherstellen. Statt der heimischen Natur scheint heute vielmehr der Supermarkt mit seinen Gütern Nahrungsquelle zu sein. Dessen Regale füllen sich mit Produkten von nah und fern dank des Schwerlastverkehrs und des Sprits, der wie Blut durch die Leitungen von Lastern fließt. Die transportieren die Waren ins Tal und per Auto bringen die Kunden diese dann nach Hause.

"Wasser ist Leben" heißt es gemeinhin und so hat die Serie auch hinter die Kulissen des Zweckverbands Kleine Kinzig geblickt, wo unser Trinkwasser seinen Ursprung hat. Weil das moderne Leben auch Spuren hinterlässt, beleuchtete der Schwarzwälder Bote Kinzigtal die Prozesse in der heimischen Kläranlage und verfolgte die Spur des Restmülls bis zu dessen fast vollständiger Umwandlung in Wertstoffe. Auch das in der Moderne "lebensnotwendige" Handynetz, die kulturellen Bedürfnisse der Talbevölkerung und die beispielhafte Statistik zu den Einwohnern der Stadt Haslach waren Themen dieser Sommerserie.

Deutlich haben diese Einblicke gezeigt, dass die Normalität des Alltags im Kinzigtal wesentlich komplexer ist und nur dank vielfältiger Prozesse funktioniert. Doch die Moderne scheint auf das Leben im ländlichen Raum auch ihre Schatten zu werfen. "Heute ist der Luxus da", das hat Birgitt Schmider, die Frau des Oberwolfacher Nebenerwerbslandwirt, im Serienteil "Wenn Kühe baden gehen" gesagt. Denn Manfred Schmider überlegt sich, seine letzten drei Kühe wegzugeben. Während für ihn statt "sieben Tage Stall" die "Fünf-Tage-Arbeitswoche" Luxus bedeutet, ist dies für die meisten Kinzigtäler "nur" Normalzustand. Und so könnte sich mit dem schleichenden Höfesterben im mittleren Schwarzwald auch das "Tal, in dem wir leben" verändern. Denn wer hält die Landschaft hier offen, sorgt für Milch und Fleisch, wenn der letzte Bauer das Handtuch geworfen hat?

Über solch schleichende Prozesse täuscht der gut funktionierende Alltag in der arbeitsteiligen Erwerbgesellschaft leicht hinweg. Und sicher würden Milch und Fleisch auch von anderswo antransportiert, so wie es bereits zum Großteil geschieht. Denn insgesamt zeigt sich das Leben im Kinzigtal von seiner wohlhabenden Seite: Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung dank der heimischen Wirtschaftsbetriebe. Im komplex verzahnten System helfen die verschiedenen Beteiligten durch ihre Arbeit, einen Teil des ganz alltäglichen Lebens möglich zu machen. Die Strukturen der klassischen Kleinfamilie mit dem arbeitenden Vater und der teilzeitbeschäftigten Mutter, die somit auch Zeit für die Kinder hat, ist weitestgehend intakt.

Fast allen Kinzigtälern geht es finanziell gut

Nach Abzug aller Ausgaben liegt die ungebundene Kaufkraft beispielsweise in Haslach mit pro Einwohner durchschnittlich 16 726 Euro (Statistik für das Jahr 2009) deutlich über dem Landesdurchschnitt. Auch wenn einzelne durchs Raster fallen, wie die Caritas anmahnt, den meisten Menschen im Kinzigtal mangelt es nicht am universellen Tauschmittel der Moderne: Geld. Dass dieses hier für diverse kulturellen Bedürfnisse des Konsums ausgegeben werden kann, zeigt mit Kino und Co. auch der hohe Freizeitwert, den sich die Region auf die Fahne schreiben kann.

Doch noch hat die multimediale Moderne nicht ganz Einzug in die heimische Natur gehalten. Einzelne schwarze Flecken gibt es noch in der Abdeckung des Mobilfunknetzes, das für die fast vollzählig mit Smartphones ausgestattete Bevölkerung heute wie ein Standortfaktor ist. Fast gleich der Stromversorgung, ohne die auch hier kaum etwas gehen würde.

Komplexe Strukturen stehen hinter solchen Versorgungssystemen, genauso wie hinter den vielen verschiedenen, uns selbstverständlich erscheinenden Dienstleistungen, die von der öffentlichen Hand und auch dank Steuergeldern unser tägliches Leben erleichtern. Dass sich nicht der Müll durchs Kinzigtal türmt und im Zweckverband Abfallbehandlung Kahlenberg der Restmüll dank biologisch-mechanischer Prozesse bis auf 0,8 Prozent wieder zum "Wertstoff" wird, ist eine bewundernswerte Zivilisationsleistung. Die ist nicht nur hier notwendig, denn unter anderen mahnte erst jüngst wieder die Umweltstiftung WWF unter Berufung auf das "Global Footprint Network", dass vor allem die Bewohner westlicher Industrienationen vergleichsweise viele Ressourcen verbrauchen, um ihren Lebensstil zu bewahren. Dieser sogenannte ökologische Fußabdruck erfasst den Verbrauch an Ressourcen wie Wasser, Wälder und Ackerflächen. Um den aktuellen Verbrauch auf der Erde zu decken, würden demnach 1,6 Planeten benötigt.

Umso wichtiger scheint es, die vorhandene Natur und Landwirtschaft hier zu erhalten. Und wenn man sich die Tragweite dieses gut funktionierenden Räderwerks bewusst macht, so geht der Blick schnell auch über das Tal hinaus in die weite Welt, von woher viele Güter zu uns gebracht werden. Alle sind demnach gefordert, diese Strukturen zu erhalten und deren nachhaltige globalen Verbindungen nicht zu vergessen, sondern für alle zu verbessern. Arwen Möller

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