Gefragte Dienstleistung: der Stuttgarter Mieterverein berät auch immer mehr Mieter aufgrund von Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen. Foto: Mierendorf

Durch die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt in Stuttgart suchen immer mehr Menschen Rat beim Stuttgarter Mieterverein.

Dem Mieterverein Stuttgart schließen sich angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt immer mehr Mieter an. 'Wir haben im zurückliegenden Jahr 2500 neue Mitglieder gewinnen können', freut sich Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Stuttgarter Mietervereins. Zwar hat der rund 30 000 Mitglieder starke Verein im gleichen Zeitraum auch rund 2000 Austritte verzeichnen müssen, doch das sei normal. Einige treten wieder aus dem Mieterverein aus, wenn sie aktuell keinen Beratungsbedarf mehr haben, erklärt der Vorsitzende die Fluktuation seines Vereins. 'Im Vergleich zu anderen Mietervereinen haben wir in Stuttgart aber eine relativ große Treuequote.' Viele der Mitglieder seien zehn Jahre und länger dabei, freut er sich.

So positiv die Mitgliederentwicklung für den Stuttgarter Verein auch ist: die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt der Landeshauptstadt bereitet den Experten Sorgen. 'Wir sehen das besonders deutlich an unserer Beratungsstatistik', sagt Gaßmann. Spitzenreiter seien mit rund einem Viertel zwar nach wie vor Fragen rund um die Nebenkostenabrechnung. In den letzten zwei Jahren hätten aber auch Hilfestellungen rund um Mieterhöhungen bei dem Stuttgarter Verein stark zugenommen. Bei jedem siebten Gespräch im zurückliegenden Jahr ging es um dieses Thema. Das lag auch daran, dass viele Vermieter die Chance genutzt hätten, vor der Einführung der 15-prozentigen Kappungsgrenze die Miete noch einmal 'kräftig' anzuheben, damit die Rendite stimmt, vermutet der Vorsitzende.

Bei Studenten wird eher ein Wohnungswechsel in Betracht gezogen

'Bei uns landen in der Regel nur die Fälle, in denen die Mieterhöhung grenzwertig ist und die Leute an ihre Belastungsgrenze kommen', relativiert Angelika Brautmeier, Geschäftsführerin des Vereins. Betroffen seien vor allem junge Familien mit Kindern und Rentner mit niedrigen Renten. Wer hingegen für eine 70-Quadratmeter-Wohnung 400 Euro zahle und künftig 50 Euro mehr zahlen soll, werde eine Mieterhöhung vermutlich leichter schlucken. Bei den unter 25-Jährigen und insbesondere bei Studenten würde eher ein Wohnungswechsel in Betracht gezogen, als sich auf einen Disput mit dem Vermieter einzulassen, so die Einschätzung der Geschäftsführerin. Wer allerdings nicht so flexibel ist, nimmt längst, was er bekommt. 'In Anbetracht von bis zu 300 Bewerbungen um eine preisgünstige Wohnung in Stuttgart kann mancher Mieter nicht wählerisch sein', so Rolf Gaßmann. Diese Entwicklung betrifft längst nicht nur Großstädte wie die Landeshauptstadt.

Die Knappheit an preisgünstigen Wohnungen drängt viele Mieter an die Stadtränder. In einigen Städten der Region sei die Entwicklung auf dem preisgünstigen Wohnungsmarkt mittlerweile nicht viel anders als in Stuttgart, so der Mieterverein. Wie schwierig es in vielen Städten Baden-Württembergs für einkommensschwache Familien ist, geeignete Wohnungen zu finden, zeigt sich auch in einer Studie der Empirica AG im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zum 'Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten'. Die hat im vergangenen Jahr bundesweit 100 der einwohnerstärksten Städte hinsichtlich ihres Wohnungsangebotes für arme Familien analysiert.

Das Ergebnis ist dabei wenig schmeichelhaft für die Landeshauptstadt: Nur drei Prozent der Mietwohnungen in Stuttgart seien danach für arme Familien überhaupt bezahlbar. Schlechter ist das Angebot nur noch in Freiburg (ein Prozent). Die Studie kommt zu dem Schluss, dass arme Familien, die über weniger als 60 Prozent des ortsüblichen Äquivalenzeinkommens verfügten, nahezu keine Chance hätten, eine familiengeeignete Wohnung zu finden. Selbst für Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen seien nur 28 Prozent aller Wohnangebote bezahlbar.

"Wir führen jedes Jahr im Schnitt rund 40 Prozesse wegen Eigenbedarfskündigungen"

Die Enge auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt bringt derzeit auch vermehrt Kündigungen wegen Eigenbedarfs mit sich, beklagt der Mieterverein in Stuttgart. 'Wir führen jedes Jahr im Schnitt rund 40 Prozesse wegen Eigenbedarfskündigungen, obwohl wir wissen, dass wir diese Verfahren oft nicht gewinnen können', stellt der Vorsitzende resigniert fest. Allerdings bringe so ein Räumungsvergleich den Mietern wenigstens noch zwei, drei Monate Aufschub, um vielleicht doch noch eine bezahlbare Wohnung in der Landeshauptstadt zu finden. Rolf Gaßmann bezweifelt manchmal, ob der Politik im Stuttgarter Rathaus wirklich an der Lösung des Wohnungsproblems für arme Familien gelegen sei. 'Die Sensibilität beim neuen Stuttgarter Oberbürgermeister für dieses Thema ist deutlich höher als bei seinem Vorgänger', stellt er zunächst anerkennend fest. 'Für die Umsetzung würde ich ihm aber derzeit nur eine Vier minus geben.'

Das liegt vor allem daran, dass aus Sicht des Mietervereins die Stadt weitaus mehr tun müsste als einen Lenkungskreis Wohnungsbau einzurichten. Gaßmann ärgert sich schon seit Jahren über 'die Halbherzigkeit', mit der in der Landeshauptstadt mit dem Thema umgegangen wird. 'Bei einem städtischen 3-Milliarden-Haushalt sind zehn Millionen Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau lächerlich', ereifert er sich und fordert die Stadt auf, über ihre städtische Wohnungsbaugesellschaft mehr preisgünstigen Wohnraum zu schaffen. 'Es gibt weitaus sozialer aufgestellte kommunale Wohnbaugesellschaften, die nicht immer nur versuchen, das Maximale aus dem Markt herauszuholen.'

Funktionieren könne der dringend nötige Neubau bezahlbarer Wohnungen nur mit einem Wohnpakt, bei dem alle Beteiligten - Kommunen wie Wohnungs- und Immobilienwirtschaft - an einem Strang ziehen. Mit einer Bürgermeisterrunde allein werde das nicht zu schaffen sein, glaubt Gaßmann.