Die Schicksalsgöttin weist den Weg: die 13-jährige Steffi und das Team um Regisseur Tobias Rausch (rechts). Fotos: Holbein Foto: Schwarzwälder-Bote

Video-Hike: Landestheater dreht in Winterlingen und entwickelt eine neue Kunstform

Von Christoph Holbein

Es geht um Orte, um Menschen und um Themen des Strukturwandels: Autor und Regisseur Tobias Rausch dreht derzeit für das Landestheater Tübingen kleine Filme an Stationen in und um Winterlingen – für einen Video-Hike zum Spaziergang per Smartphone-App.

Winterlingen. Ein leer stehender Laden, der die Veränderung der Dorfstruktur symbolisiert mit drei Spielerinnen aus der K3-Theatergruppe als Schicksalsgöttinnen, eine leer stehende Tankstelle als Haus der Träume, um die Wünsche der Menschen von Winterlingen zu dokumentieren mit Jugendlichen der K3-Theatergruppe, ein Vormittag im Wald, um dem Strukturwandel bei den Wanderschäfern auf die Spur zu kommen, mit Schülern der Grund- und Werkrealschule Winterlingen und Traktorfahrern, die katholische Kirche in Harthausen als Schauplatz für den Harthauser Vetter und für das Thema Aus- und Einwanderung mit dem Cantus Iuvenis und der Vetterzunft Harthausen und der Bereich Bioenergie beim Landwirt Blickle zum Strukturwandel in der Landwirtschaft mit dem Musikverein Winterlingen und einer Spielerin aus der K3-Theatergruppe: Das Spektrum der Videospaziergänge mit ihren sechs Stationen ist breit gefächert.

Die Schicksalsgöttin weist den Weg

An diesem Tag ist die Automatenstickerei Krause Ort des Geschehens, um das Thema Strukturwandel in der Textilindustrie zu beleuchten. Auch diesmal ist eine Spielerin aus der K3-Theatergruppe als Akteurin mit dabei: die 13-jährige Steffi. Sie mimt, bleich geschminkt und im schneeweißen Kleid, eine Schicksalsgöttin, die ihren Schicksalsfaden entspinnt und den Weg ins Gebäude weist. Derweil fährt der 14-jährige Adrian mit seinem Hoverboard durch das Bild. Er ist als "Runing Gag" in fast allen Filmen zu sehen. Im Innern des Gebäudes macht die Kamera auf der Fabriketage einen Gang einmal rund durch die ehemalige Produktionshalle, schwenkt, bleibt an manchen Stellen haften, um den leeren Raum auf den späteren Betrachter wirken zu lassen, den nur ein Schriftzug auf dem Boden ziert: "Im G’schäft wird g’schafft."

Das Team filmt Fotos an den Wänden, die in der Videoszene mit einer Tonspur unterlegt werden, auf der Ausschnitte aus Interviews mit ehemaligen Textilarbeiterinnen zu hören sind, um dem Spaziergänger, der GPS-gesteuert mit dem Smartphone die sechs Stationen anläuft, via App authentische Informationen zu den Orten zu vermitteln.

Der 14-jährige Adrian, dem der Dreh "Spaß macht", will sich auf jeden Fall den Video-Hike, der ab dem 9. Oktober zu haben ist, herunterladen und den Walk ausprobieren: "Beim Zusehen fand ich das interessant." Dass er mit seinem geländefähigen Hoverboard regelmäßig durch die Szene flitzt, war eine spontane Idee des Regisseurs. Solch einen roten Faden symbolisieren auch die drei Schicksalsgöttinnen aus drei Generationen, die einzeln oder in der Gruppe an jeder Station auftauchen. Für die 13-jährige Steffi ist das Mitwirken eine besondere Erfahrung, die sie mitnehmen möchte in ihr Theaterspiel im K3. Die Videoszenen wird sie durchlaufen, "obwohl ich es nicht mag, mich selbst anzuschauen".