Nurhan Sidal zeigt mit ihren Bildern, was Flucht bedeutet. Foto: Schwarzwälder-Bote

Vernissage: Nurhan Sidal ermutigt, "aufzustehen und die Stimme zu erheben" / Bilderausstellung im K3

Winterlingen. Die Besucher der Kleinkunstbühne K3 sind durchweg beeindruckt: Sie sehen Bilder, die berühren und die Fluchtgeschichten nachvollziehbar machen. Sie provozieren Mitgefühl und Verständnis für Flucht und geflohene Menschen: Auftaktveranstaltung für die Aufführungen "Schule der Sehnsüchte" ist die Vernissage mit Bildern von Nurhan Sidal unter dem Thema "Auf der Flucht... wohin?".

Die Künstlerin will mit ihren Bildern wach rütteln, klar machen, dass nur wenige Menschen grundlos ihre Heimat verlassen und nur aus großer Not. Traumatische Ereignisse erleben sie nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch auf ihrer Flucht, zu spüren im Bild "Sie wollten nach Europa – ihr letztes Hemd war der Tod": eine Metapher. In hoffnungsvollem Blau, der Farbe der Treue, der Mystik, des Himmels und der Freiheit zeigt das Bild die Wirren, den Sog des Meeres, den Tumult der Wellen.

Jeffrey Döring, freier Regisseur am Landestheater Tübingen, verweist auf die Konturen des gekenterten Bootsrumpfs. In schäumenden Wassermassen sind fragmentarisch Gesichter zu erkennen, die verschwinden, untergehen. Viele der Werke Nurhan Sidals sind aus der Vogelperspektive gezeichnet. Von oben sind keine Grenzen zwischen Ländern sichtbar, keine Mauern, keine Stacheldrähte; es ist ein Land für alle.

Sprachlos vor Angst

Ein weiteres Gemälde ist grau, aus vielen Gesichtern komponiert. Ein Turm zu Babel, sprachlos aus Angst. Das Schweigen kann schon eine einzelne Stimme, die sich erhebt, brechen. Titel ihrer Gemälde sind "Unterwegs nirgendwohin", "Kinder im Krieg", "Aleppo, was wird aus uns?", "Der letzte Blick zur Heimat", "Schutzsuchend", "Widerstand", "Gefangen".

Seit ihrem 15. Lebensjahr malt Sidal, damit inspirierte sie ihren Vater, der auch begann zu malen. Als er sterbenskrank war, brachte sie ihm Acrylfarbe, weil die schnell trocknet. Sie malte ihm einen tanzenden Derwisch. Das gefiel ihm so sehr, dass er ihr nahelegte, auf diese Art weiter zu malen.

Die Künstlerin, die eine chronische Bluterkrankung hat, zeigt in ihren Bildern extreme Dynamik vor dem Hintergrund großer Geschwindigkeit. Der Betrachter hingegen sollte sich sehr viel Zeit nehmen, um Details zu entdecken. Seit 2010 malt sie Bilder zu diesem Thema. Hintergrund: ihre eigene Geschichte. Die Familie der Zahnmedizinerin wohnt an der südostanatolischen Grenze. Für sie ist klar, dass hinter allen Kriegen nur Habgier und Ausbeutung stehen. In ihren Einsätzen im Entwicklungsdienst hat sie erfahren, dass Geld allein nicht ausreicht. Die Menschen müssten so unterstützt werden, dass sie in ihren Ländern blieben. Dazu bedürfe es der Bildung, Gesundheitsaufklärung und dass Ernährungswissen vermittelt werde.

Döring zitiert den iranischen Autor Said, der in seinen Psalmen von Demut spricht, aus der gegenseitige Liebe erwächst, und endet mit den Worten: "Und schenke uns die Einfältigkeit der Margeriten, die sich auf jeden Frühling freuen, ohne an den Herbst zu denken und seine raffgierigen Finger."

Abidin Karahan, der seit 44 Jahren in Winterlingen lebt, setzt den Schlusspunkt mit seinem Spiel auf der Saz und mit Liedern, die von Liebe, Glück und Freude erzählen. Sabine Froemel vom Asylkreis lobt die Veranstaltung als "das" Wort zum Sonntag, Ulrich Rossman aus Betzingen bezeichnet die Künstlerin als "Frau mit Feuer im Bauch", die sich schon immer sehr intensiv für menschliche Schicksale eingesetzt habe.

 Die Ausstellung ist bis Juni zu den Vorstellungszeiten der Kleinkunstbühne K3 zu besichtigen.