Friedrich Lorch aus Winterlingen wird heute 90 Jahre alt / Engagiert auch im Gemeinderat

Von Anne Retter

Winterlingen. Es war 1925, als er in Winterlingen geboren wurde – und er ist seiner Heimat treu geblieben: Friedrich Lorch wird heute 90 Jahre alt. Als ältester von vier Brüdern wuchs er auf, besuchte in Winterlingen die Volksschule und startete l 1940 seine kaufmännische Lehre in der Frotteeweberei des Onkels. Mit Kriegsbeginn wurden alle kleineren Betriebe in die Rüstungsindustrie eingebunden. "Ich begann meine Ausbildung also im Textil und beendete sie im Metall", erinnert er sich.

Kaum ausgelernt, fand er sich im Arbeitsdienst am Westwall wieder, wo er Schützengräben aushob. "Die haben da einen sehr sandigen Boden, das war gut zu machen", sagt Lorch schmunzelnd, der einige Jahre später zum Zweck des Häuslebauens im eher harten Boden der Alb eigenhändig zu graben hatte.

Anfang 1943 wurde er von der Wehrmacht eingezogen und zum Funker und Peiler ausgebildet. Erst bei Kassel stationiert, verschlug es ihn mit seiner Einheit nach Masuren in Ostpreußen, von dort weiter nach Polen, dann nach Wermelskirchen bei Remscheid. Der Ort wurde 1944 bombardiert; Friedrich Lorch saß im Keller fest. Die Schule, in der er eigentlich seine Schicht hätte antreten sollen, wurde vollkommen zerstört – keiner seiner Kameraden überlebte. Beim Versuch, die Rettung Eingeschlossener aus brennenden Gebäuden zu unterstützen, geriet der junge Soldat in eine Explosion. Mit einer Unzahl winziger Splitter im Gesicht und zeitweise blind erreichte Lorch das Krankenhaus in Remscheid, um noch am selben Abend im Rohbau eines Bunkers unterzuschlüpfen.

Nach drei Wochen erst wagten sich die Menschen wieder hinaus, und der Soldat wurde in ein Augenlazarett bei Hagen verlegt, wo er ein Vierteljahr verblieb. Nach einem kurzen Genesungsurlaub wurde er zu seiner Einheit zurückbefohlen, ohne zu wissen, wo sich diese befand. Über Eschwegen, wo er einem weiteren Bombardement durch pures Glück entging, führte sein Weg nach Zupfen in den Niederlanden. Dann war der Krieg zu Ende, und Lorch kam in Gefangenschaft in der Nähe von Flensburg.

Bis 1998 führte der Jubilar den Betrieb "Frottee-Beck"

Nach und nach wurden die Gefangenen nach Hause entlassen – da Winterlingen aber von den Franzosen besetzt war, hätte der Schwabe keine Chance gehabt, gehen zu dürfen. Er gab also an, Winterlingen befinde sich "bei Stuttgart". In Heilbronn sprang er auf einen Kohlenzug auf und fuhr in die Freiheit. Bis Bitz schafft er es zu Fuß; dort beherbergte ihn der Pfarrer für eine Nacht, und so war Friedrich Lorch Ende Juli zurück in der Heimat.

1946 nahm die Wilhelm Beck Maschinenfabrik den Betrieb wieder auf und stellte ihn als Kaufmann ein. Zwei Jahre später heiratete Lorch seine erste Frau Ruth Rösch, eine Stuttgarterin, die er aus jungen Jahren durch die Ausflüge mit seiner christlichen Gemeinde kannte. 1951 errichtete er mühsam sein Haus – selbst eine Schubkarre musste er eigenhändig zimmern. Im darauffolgenden Jahr wurde Tochter Karin geboren. Die zweite Tochter verlor das Ehepaar Lorch bei der Geburt 1954, aber vier Jahre später bekam Karin dann eine kleine Schwester, Anita.

Der "Frottee-Beck" startete 1957 wieder den Betrieb, und Lorch wurde die kaufmännische Leitung anvertraut. Nach dem Tod seines Onkels 1986 übernahm er das Unternehmen und führte es, bis er sich 1998 als 73-Jähriger gezwungen sah, den Betrieb einzustellen: "Wir haben mit den Preisen der Konkurrenz, die billig im Ausland produziert hat, einfach nicht mehr mithalten können."

Bis 2013 kümmerte er sich um die Vermietung der Immobilie, dann schenkte er sie einer seiner Enkelinnen. Davon hat er drei, außerdem einen Enkelsohn. Seit dem 3. Mai gibt es einen Urenkelsohn mit Namen Sepp. Seine Ehefrau Ruth und Tochter Karin hat er durch schwere Erkrankungen verloren, und auch die zweite Ehefrau, Gisela von Moers, die er Mitte der 1980er Jahre heiratete, starb vor zwei Jahren. Seitdem lebt er allein.

Seinen Geburtstag feiert der rüstige 90-Jährige mit zahlreichen Gratulanten in einem Gasthaus, denn, so sagt Lorch, man müsse die Sippe zusammenhalten, das sei wichtig. Bis heute bedeutet ihm das Engagement für die Süddeutsche Gemeinschaft viel. Die Siedler und Kleingärtner hat er einst mitbegründet, und auch im Gemeinderat war Lorch engagiert. Den Wunsch, zu Reisen, hat sich der heimatverbundene Winterlinger aber nicht erfüllen können – doch in Gedanken war er schon fast überall: Eine riesige Sammlung von DVDs und Videos über Länder in der ganzen Welt und mehrere Atlanten zeugen davon. "Man muss ja auch ein bisschen mitreden können", sagt er und lacht.