Friedemann Kissling steht vor der Pflanze "Puya Raimondii", die nur auf der Altiplano-Hochebene zwischen Peru und Bolivien wächst. Foto: Schwarzwälder-Bote

Friedemann Kissling: Vier Jahre lebt der Winterlinger in Peru bei den Indianern / Viel vom Leben erfahren

Vier Jahre hat er die Alb ausgetauscht gegen ein Leben in Peru bei den Indianern: Friedemann Kissling hat eine aufregende und prägende Zeit hinter sich.

Winterlingen. Bisher war Friedemann Kissling hauptsächlich im Schwabenland unterwegs, doch vor mehr als vier Jahren zog es den 30-jährigen Winterlinger in ein Ausbildungszentrum von Indicamino in Cashibo im peruanischen Amazonastiefland: "Man kann so etwas nicht planen. Man muss es erleben. Man muss einfach den Mut aufbringen und ins kalte Wasser springen."

Das Leben im feucht-heißen Klima und die Isolation seien eine gewaltige Umstellung gewesen. "Man kann nicht viel machen, die Missionsstation, in der ich gearbeitet habe, liegt in der Nähe der Dschungelstadt Pucallpa mit ihren 300 000 Einwohnern, und darum herum gibt es nur Dschungel." Ein so großes kaum zivilisiertes Gebiet sei für deutsche Verhältnisse undenkbar: "Keine Bars, keine Kinos, kein Theater, keine Museen – nur Dschungel."

Während seiner vier Jahre in Südamerika hat Kissling neben Peru auch Bolivien, Brasilien und Chile gesehen. Zunächst ging es für ein halbes Jahr in die Sprachschule nach Arequipa in Südperu, danach für dreieinhalb Jahre nach Cashibo. "Indicamino" bietet dort theologische und technische Ausbildungen für die indigene Bevölkerung an: "Die Indianer kommen aus ihren Stämmen im peruanischen Amazonastiefland und bewerben sich für die Ausbildungsstellen." Viele wollten die theologische Ausbildung absolvieren, um Pastoren zu werden und bei ihrer Rückkehr eine Kirche in ihrem Heimatstamm zu betreuen, andere möchten sich zum Mechaniker, Schreiner oder Kleintierzüchter ausbilden lassen oder an Brunnenbauprojekten und Hygienekursen teilnehmen.

Kissling selbst befasste sich als gelernter Diplom-Finanzwirt mit Buchhaltung, Steuererklärungen und Jahresabschlüssen. "Ich wollte meine Fähigkeiten für etwas einbringen, das den Menschen einen Mehrwert bringt."

Privatspenden und die Kirchengemeinden tragen das Projekt

"Indicamino" wird vorwiegend von Privatspendern und Kirchengemeinden aus Deutschland und der Schweiz getragen. "Das Ziel ist eine ganzheitliche Unterstützung für die Indianer als technische, gesundheitliche und geistliche Hilfe zur Selbsthilfe durch Ausbildungsmöglichkeiten, die sie sonst nicht hätten." Die Indianer seien zwangsläufig mit dem Christentum konfrontiert und bräuchten deshalb eine theologische Basis, auch um den zahlreichen Sekten und ihren Lehren etwas entgegenzusetzen. Die technischen Ausbildungen hingegen dienten dazu, den Lebensstandard zu erhöhen und die Indianer in die peruanische Gesellschaft zu integrieren.

Kissling, der sein Schwäbisch nicht verlernt hat, blickt auf eine Zeit zurück, in der er viele Freundschaften geknüpft und Lebenserfahrung gesammelt hat: "Bei den Indianern kann man lernen, nicht hektisch zu sein, das Leistungsdenken abzulegen und sich gegenseitig zu helfen. Am stärksten beeindruckt wird man jedoch von ihrem einfachen Leben und der Fähigkeit, mit wenig auszukommen." Hingegen fehle oft die Motivation, etwas erreichen zu wollen. Daher ist Kisslings Gesamtfazit über die Indianer gemischt: Sie seien einerseits gastfreundlich und teilten alles miteinander, aber sobald einer mehr habe als der andere, werde er geächtet und schlecht behandelt. Durch die Pflicht in ihren Familienclans, anderen zu helfen, entstünden Zwänge.

"Wir können alle voneinander lernen: sie von uns und wir von ihnen", bilanziert der Winterlinger. Ein großes Problem, so Kissling, sei das Ausbreiten der Mehrheitsgesellschaft und das Vordringen der Konzerne ins peruanische Tiefland, um Rohstoffe wie Holz und Öl zu gewinnen. Damit werde die Heimat der Indianer zunehmend gefährdet. Die westliche Welt und die Indianer stünden einander gegenüber wie David und Goliath.