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Vier minderjährige Jugendliche finden eine sichere Unterkunft in Winterlinger Wohngruppe.

Winterlingen - Eine lange Flucht liegt hinter den vier Jugendlichen aus Burkina Faso, Gambia und Somalia. Alleine, von keinem Erwachsenen begleitet, haben sie sich auf den Weg nach Deutschland gemacht und sind in der Wohngruppe in Winterlingen angekommen.

Sieben bis acht Monate ist Ebrima unterwegs gewesen, auf der Flucht vor der Diktatur in Gambia, vor Unfreiheit und Zukunftslosigkeit: "Das war eine schreckliche Zeit", über die der 16-Jährige nicht reden will. Seit sechs Monaten ist der Jugendliche in Deutschland, das seine neue Heimat werden soll. Im Januar fängt er in Sigmaringen mit einem Praktikum für Altenpflege an: "Ich will mit Menschen reden und ihnen helfen." Der Traum des Stürmers ist aber, Profifußballer zu werden.

"Grundgedanke ist, dass die Jugendlichen einen weiteren Schritt machen, selbstständig zu werden", erläutert Martin Ludwig. In der Winterlinger Wohngruppe, welche die Sigmaringer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Haus Nazareth seit Oktober installiert hat, geht es deshalb um Haushaltsführung, Umgang mit Finanzen und den Eintritt ins Berufsleben. So haben die Jugendlichen mit ihren Betreuerinnen – vier Mitarbeiterinnen des Hauses, Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen, die sich auf den zwei Stellen tageweise abwechseln – einen Stundenplan erstellt, anhand dessen sie die Arbeiten verteilen: putzen und sauber halten von Küche, Ess- und Wohnzimmer, Flur, Toilette und Badezimmer, Müll leeren und Kehrwoche.

"Die Wohngruppe soll eine dauerhafte Institution sein", betont Referatsleiter Martin Ludwig, der im Haus Nazareth für den Bereich stationäre Wohngruppe und speziell für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständig ist.

Massourou fühlt sich in der Wohngruppe gut aufgehoben und wohl. Der 18-Jährige aus Burkina Faso, der seit einem Jahr in Deutschland ist, sucht einen Praktikumsplatz als Industriemechaniker und geht zurzeit in Sigmaringen in die Berufsschule. Über Libyen und Italien – dort lebte er fast drei Jahre – ist er nach Winterlingen gekommen: "Ich will nicht mehr zurück." Mit 14 Jahren floh er aus seiner Heimat und möchte in Deutschland jetzt eine Berufsausbildung absolvieren.

Die Hilfe steht im Vordergrund – nicht die Erziehung

Ursprünglich war der Plan gewesen, immer zwei Flüchtlinge, um sie zu integrieren, zusammen mit deutschen Kindern bei insgesamt acht Regelplätzen in einer Wohngruppe unterzubringen. "Das hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, weil die Flüchtlinge keinen klassischen erzieherischen Bedarf haben, sondern es da vorrangig um Hilfen geht, sich in Deutschland zurechtzufinden – etwa bei Behördengängen", erläutert Ludwig.

So beobachteten die Verantwortlichen im Haus Nazareth, welche geflohenen Jugendlichen miteinander harmonieren, und haben diese in der Wohngruppe zusammengeführt. Die vier Minderjährigen in Winterlingen sind "sehr selbstständig, verstehen sich gut untereinander und stehen in einem ähnlichen Lebensabschnitt kurz vor dem Übertritt in den Beruf", betont Ludwig.

Maler möchte der 17-jährige Bafanding aus Gambia werden. Neun Monate war er auf der Flucht, hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis er nach Europa kam. In Gambia hatte er kein Zuhause mehr, als sein Vater gestorben war. Das bietet ihm nun die Jugendwohngemeinschaft, in der die Jugendlichen von 13 bis 22 Uhr vor Ort von den Mitarbeiterinnen betreut sind.

Ansonsten haben sie alles alleine zu bewältigen, den Haushalt zu führen, zu kochen, zu putzen, einzukaufen. Jeder hat dafür ein monatliches Budget, ein Taschengeld, das die gleiche Höhe hat wie bei den deutschen Jugendlichen und mit dem Lebensmittel, Kleidung, Handykosten zu bezahlen sind.

Die vier Jugendlichen besuchen die Schule und lernen vor allem Deutsch. Wenn sie eigenständig in einer eigenen Wohnung leben können, verlassen sie die WG.

Abshir ist froh um diese Chance. Der 16-Jährige ist vor dem Bürgerkrieg in Somalia geflohen. Ein Freund von ihm wurde auf der Straße erschossen. Seit zwei Monaten hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Nach Somalia will er nie mehr zurückkehren, stattdessen in Deutschland den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernen, hier ansässig werden.

Wenn manche auch etwas komisch schauen, "die Menschen in Winterlingen sind nett", sagen die vier Muslime, die alle Fußball spielen und bei einem türkischen Nachbarn diesen Sport im Fernsehen anschauen dürfen. Ebrima wünscht sich aber, dass die Deutschen keine Furcht vor Flüchtlingen haben: Als er einer älteren Frau beim Tragen ihrer schweren Taschen helfen wollte, wehrte die entsetzt ab.

Haus Nazareth sucht nach Mitarbeitern

Derweil sucht das Haus Nazareth nach fachlich qualifizierten Mitarbeitern für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Jugendlicher und nach räumlich entsprechend zugeschnittenen Wohnungen, wo die Jugendlichen zur Ruhe kommen. Die benötigen sie, um das Erlebte zu verarbeiten. Der psychologische Fachdienst und Therapeuten helfen ihnen dabei, Traumata, die aufbrechen und zu Tage treten, aufzuarbeiten.