Maria Stauss freut sich auf ihren 90. Geburtstag, den sie heute mit der ganzen Familie feiert. Foto: Retter Foto: Schwarzwälder-Bote

Geburtstag: Maria Stauss aus Winterlingen feiert heute ihr 90. Wiegenfest / Spätberufene Künstlerin

Von Anne Retter

Winterlingen. Mit 62 Jahren fand Maria Stauss bei der Entrümpelung des Dachbodens Leinwände und Farben. Seitdem ist sie eine begeisterte Malerin – im Haus Kleebühl, wo die fitte Seniorin seit vier Jahren lebt, hängen viele ihrer Gemälde. Heute wird sie 90 Jahre alt.

Als Maria Stauss 1926 in Winterlingen geboren wurde, ahnte niemand, dass sie mit 16 Jahren in die Großstadt ziehen würde – aber genau das tat sie. Eine Tante hatte ihren Eltern erklärt, dass es eine gute Idee wäre, sie auf die Privathandelsschule in der Landeshauptstadt zu schicken. Ein Abschluss nach einem Jahr, kostengünstige Unterkunft bei der Tante: Die Eltern kamen zum Schluss, dass das eine gute Idee sei. "Stuttgart, das war für mich als junge Frau ein immerwährender Traum", schwärmt die Jubilarin.

Noch vor ihrem Abschluss hatte sie eine Stelle gefunden, und nach fünf Jahren als Sekretärin wechselte sie an die Technische Hochschule Stuttgart. "Mein Chef war ein sehr freundlicher Mann, der sich gut um mich gekümmert hat, aber er hat gleich gesagt, wenn ich auch nur einmal in einem grünen Kleid erscheine, ist es aus und vorbei mit der Stelle!"

Dass Maria Stauss nach vier Jahren doch nach Winterlingen zurückehrte, hatte aber familiäre Gründe. Bei einem Fest des Jahrgangs 1926 lernte sie hier ihren späteren Mann kennen: "Er sah in seiner Marineuniform sehr stattlich aus!" Die Marine wurde in Winterlingen freilich weniger gebraucht, und eigentlich war Helmut Stauss Mienensucher bei den Engländern. Als seine Frau ihm aber von ihrer Schwangerschaft schrieb, kehrte er zurück. 1948 wurde geheiratet.

Nicht begeistert – aber erfolgreich

Die junge Mutter arbeitete in der Seidenfabrik in der Produktion – nicht begeistert, aber erfolgreich. Dass sie mit Mann und Kind bei den Eltern wohnte, gefiel ihr auf die Dauer nicht. Mit Geduld, Beharrlichkeit und Klugheit erkämpfte sie den Bauplatz, auf dem schließlich ihr Haus errichtet wurde. "Ich habe meinen Mann sehr geliebt. Er war ein friedlicher Mensch und sehr anständig. Nicht einmal mit mir hat er gestritten, dabei war das durchaus einfach", sagt die Jubilarin und lacht.

Helmut Stauss war bei August Beck beschäftigt, wollte aber nicht akzeptieren, dass er nicht fest angestellt wurde. Er kündigte und machte sich als Schleifer selbständig. "Die Maschine hat genauso viel gekostet wie unser ganzes Haus", erinnert sich Maria Stauss an den Schreck ihres Lebens. "Ich habe immer gehofft, dass er nicht krank wird, sonst wäre unser Zuhause weg gewesen." Bis zu seinem 74. Lebensjahr taten Mann und Maschine aber zuverlässig ihre Arbeit. "Irgendwann habe ich gesagt: Schau, so viel Zeit hast Du im Leben – und der größte Teil ist vorbei. Willst Du immerzu an der Maschine stehen?" Er ließ sich überzeugen, in den Ruhestand zu gehen. Auch seine Frau war viele Jahre selbständig: Sie hatte im Haus der Eltern mit ihrer Schwester eine Lohnnäherei gegründet und "ein gutes Auskommen", wie sie sagt.

Nach dem Tod ihres Mannes zog Maria Stauss ins Haus Kleebühl. "Mir geht es wirklich gut hier, ich fühle mich rundum sicher und versorgt, kann aber trotzdem selbst bestimmen, was ich tue." Der Blick aus ihrem Zimmer geht hinaus in die Natur, manchmal kann man sogar die Alpen sehen. Dort malt und singt die 90-Jährige oder liest Hermann Hesse. Für ihr Öl-Bild "Kindheitsträume" hat sie im vergangenen Jahr den Ameos-Kunstpreis erhalten.

"Ich bin von lauter Zahnärzten umgeben"

Auf ihre Geburtstagsfeier in einem Gasthaus freut sich Maria Stauss bereits: "Ein Fest muss fröhlich sein!" Als Gäste erwartet sie vor allem die Familie: "Meine Tochter Rita hat mir zwei Enkelkinder geschenkt. Anke ist Zahnärztin, wie ihr Vater, und Jan studiert Zahnmedizin – ich bin von lauter Zahnärzten umgeben!" Sie lacht, denn auch der Vater von Urenkel Niklas, 4, ist Zahnarzt.

Eine Weisheit aus 90 Jahren Erfahrung? "Man muss sich als junger Mensch seinen Weg selbst suchen und gehen. Es ist besser, das Leben spielerisch zu betrachten."