Marsch zur Wellendinger Festhalle: Exil-Kambodschaner demonstrieren für die Freilassung eines Oppositionspolitikers und demokratische Grundrechte, die sie in ihrem Land vermissen. Foto: Riedlinger

50 Exil-Kambodschaner demonstrieren in Wellendingen. Adressaten nach Wehingen verschwunden. Mit Kommentar

Wellendingen - Das war neu in Wellendingen am Samstagabend: eine friedliche Demonstration von Exil-Kombodschanern vom Rathaus bis kurz vor die Neuwieshalle. Die fand jedoch nach etwa einer Stunde eine unerwartete Wendung.

Grund für die angemeldete und genehmigte Demonstration war eine Benefizgala in der Neuwieshalle, zu der ein Sohn des kambodschanischen Ministerpräsidenten Hun Sen als besonderer Gast erwartet wurde.

Insgesamt rund 50 Personen nahmen an der Demonstration teil und sammelten sich in einem mit der Polizei unter Rottweils Revierleiter Michael Schlüssler vereinbarten Sicherheitsabstand zur Halle, die Polizei war mit rund 30 Beamten vor Ort.

Dort warben die Demonstranten mit einer Vielzahl von Schildern und Transparenten für die Freilassung des verhafteten Oppositionsführers Kem Sokha sowie für faire und gerechte Wahlen im kommenden Jahr 2018. Mit Kundgebungen in kambodschanischer und in deutscher Sprache wurden hier auf Missstände hingewiesen: Die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit werden unterdrückt, hieß es da.

Eine Sprecherin warf dem Ministerpräsidenten vor, die Demokratie werde wie eine Maske getragen. Seine Handlungsweise aber stehe für Diktatur und Kommunismus. "Wir heißen ihn hier nicht willkommen, wir brauchen hier keinen Kommunismus. In Zukunft wünschen wir seine Politik nicht mehr."

Zudem hatten die Demonstranten eine Erklärung des Deutschen Auswärtigen Amtes in Phnom Penh vom 4. September als vergrößertes Poster dabei, in dem die Bundesregierung "mit großer Sorge die Verhaftung des Oppositionsführers Kem Sokha trotz seiner parlamentarischen Immunität in Kambodscha zur Kenntnis nimmt. Die jüngsten Ereignisse in Kambodscha wie die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Organisationen oder das Vorgehen gegen Medien sowie die jetzt erfolgte Verhaftung bedeuten eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit und damit des demokratischen Prozesses im Land. Die im Juli 2018 bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung verlieren ohne eine glaubwürdige Opposition, ohne demokratische Kontrolle, freie Medien und eine aktive Zivilgesellschaft ihre Glaubwürdigkeit".

"Was der Ministerpräsident macht, ist reiner Betrug an denen, die im Asyl leben", sagte ein Demonstrant, der bereits seit 40 Jahren in Deutschland lebt. Ursprünglich waren viele seiner Asyl suchenden Landsleute in die ehemalige DDR eingereist und hatten, wie er, im Raum Leipzig gewohnt. Nach dem Mauerfall waren sie in den Westen gekommen. Heute leben sie zum Teil auf dem Heuberg und arbeiten in den hiesigen Firmen wie in Wilflingen.

Das heutige Kambodscha vergleicht der Demonstrant mit dem DDR-Regime. Er und seine Landsleute verfolgen Gewalt, Korruption oder die Landverpachtung in ihrem Heimatland an Vietnamesen mit großer Sorge. Vietnam wolle sich Kambodscha wegen seines Landes und der Bodenschätze wie einst Laos einverleiben und arbeite an der Unterwanderung und der Übernahme. "Der Ministerpräsident arbeitet offiziell nicht mit den Vietnamesen zusammen. Aber wir wissen: es ist so!"

Die geplante Übergabe eines Protest-Briefes konnte bei der Demonstration nicht erfolgen, er hatte von den Demonstranten nicht vorbereitet werden können. Indes kam es auch gar nicht zur direkten Konfrontation.

Während draußen die Kundgebung stattfand, war die Halle leer. Einzelne Personen verließen sie durch einen Nebenausgang. Die Benefizgala wurde kurzfristig nach Wehingen verlegt. Schon über einen Rückruf bei der Deutschen Botschaft von Revierleiter Schlüssler war klar geworden, dass der Sohn des Ministerpräsidenten kein Interesse daran hatte, einen Brief entgegenzunehmen und sich den Demonstranten auch nicht zeigen würde.

Diese machten sich dann, nach Kenntnis der Sachlage gegen 19 Uhr, auf den Weg nach Wehingen, wohl wissend, dass sie auch dort wenig würden ausrichten können. Wie die Polizei in Spaichingen auf Nachfrage am anderen Morgen mitteilte, seien ihr von dort keine besonderen Vorkommnisse bekannt.

Kommentar: Kostbares Gut

Von Andreas Pfannes

Es ist erstaunlich, wie unsouverän die Adressaten einer kleinen, friedlichen Demonstration für Meinungsfreiheit, Freilassung des verhafteten Oppositionsführers und für faire Wahlen im kommenden Jahr reagiert haben. Sie sind sinnbildlich durch die Hintertür der Festhalle verschwunden und haben kurzfristig ihre Benefizgala, bei der ein Sohn des Ministerpräsidenten eingeladen war, zwei Orte weiter verlegt. Und dies am Vorabend des 24. Septembers. In Deutschland Tag der Bundestagswahl, in Kambodscha – und es dreht sich in diesem Falle um das südostasiatische Land – Verfassungstag. Diese Vorkommnisse in Wellendingen lassen Rückschlüsse auf das Demokratieverständnis in Kambodscha zu. Aber es zeigt auch, welch’ kostbares Gut Meinungsfreiheit und all die anderen Grundrechte sind, die in Deutschland vielerorts als selbstverständlich und gottgegeben angesehen werden.