Abt Harduin Bießle (1902-1985) berichtet über seine Salzstetter Jahre von 1942 bis 1945 / Von SS fast erschossen

Von Walter Maier

Waldachtal-Salzstetten. Heute vor 70 Jahren sind die Franzosen in Salzstetten einmarschiert. Und einer, der die Bevölkerung vor Unheil durch die Besatzer bewahren konnte, ist Harduin Bießle (1902-1985).

Der spätere erste Abt (1956 bis 1976) der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede/Sauerland, der in den Kriegsjahren 1942 bis 1945 in Salzstetten ein beliebter Seelsorger war, zeigte Präsenz und handelte mit viel Geschick. Sein Gottvertrauen zahlte sich aus.

Seit den 1970er-Jahren ist die Kolpingsfamilie mit der Benediktinerabtei verbunden. Abt Bießle kam später auch zu Fronleichnamsprozessionen wieder nach Salzstetten und lud die Kolpingmitglieder samt Pfarrer Bernhard Dobler zu einer Exerzitien-Freizeit in seine Abtei ein. Die Kolpingsfamilie unterstützt seit 1971 die Missionsarbeit der Benediktiner in Afrika, anfänglich in Eldoret/Kenia und seit vielen Jahren in Kilimahewa/Tansania. Der im oberbayrischen Gotzing geborene Abt von Königsmünster hatte noch zu Lebzeiten über seine Salzstetter Jahre einen Erlebnisbericht verfasst:

"Meine Arbeit in Salzstetten war im Wesentlichen die gleiche wie die eines jeden Pfarrers und war leicht zu bewältigen, da die Gemeinde kaum tausend Seelen zählte. Eine besonders schwere Aufgabe war es für mich, die Angehörigen der gefallenen Soldaten zu trösten." Dann kamen Stunden, in denen Gottvertrauen auf den Prüfstand gestellt wurde: "Eine neue Aufgabe kam auf mich zu nach dem Einmarsch der Franzosen am 17. April 1945. Es galt, die Einwohner vor Übergriffen der Besatzer-Soldaten zu schützen. Um ein Haar hätten Angehörige der SS am 17. April den Bürgermeister und mich erschossen, weil wir auf dem Kirchturm die weiße Fahne hissen ließen, um das Dorf vor den Bomben der Flieger zu verschonen, die in einem Nachbardorf viele Häuser zerstört hatten, weil es verteidigt worden ist. Zum Glück rückten die Franzosen in Salzstetten ein, noch bevor die SS ihr Vorhaben ausführen konnte, wie sie beim Rückzug in Horb erzählte." Die Zusammenarbeit mit Bürgermeister Gustav Müller, mit dem Kirchenpfleger Xaver Müller und später Leonhard Kreidler war eine harmonische und beruhte auf gegenseitigem Vertrauen.

Bießle erinnerte sich an den Anfang seiner Salzstetter Jahre: "Am 4. Oktober 1942 wurde ich nach Salzstetten versetzt, um dort als Seelsorger zu wirken. Da ich als Mönch keinen Hausrat besaß, richteten mir die Salzstetter im Pfarrhaus ein Arbeits-, Schlaf- und Gastzimmer ein. Alles kostenlos – eine noble Geste. Ein größeres Zimmer im ersten Stock diente für den Religionsunterricht. Die darin vom Vorgänger aufgestellte elektrische Eisenbahn, welche die Kinder sehr ablenkte, wanderte bald auf den Speicher. Die Mahlzeiten durfte ich bei Schwestern einnehmen, die im zweiten Stock des Gemeindehauses wohnten und den Kindergarten und die Kranken in der Gemeinde betreuten und für den Schmuck in der Kirche sorgten. Manche Leute brachten den Schwestern auch für mich Naturalien, sodass ich keine Not litt. Die Pflege meiner Zimmer im Pfarrhaus besorgte in diesen Jahren Johanna Steimle, später eine verheiratete Sadzik."

Die Salzstetter wollten den lieb gewonnen Seelsorger nicht so schnell wieder ziehen lassen. Bießle berichtet: "In der Weihnachtszeit 1943/44 sollte ich einem Priester aus Stuttgart Platz machen. Ich hatte bereits die Mitteilung meiner Versetzung als Kaplan nach Wiblingen für Anfang 1944 erhalten. Da begab sich eine sechsköpfige Abordnung von Frauen und Mädchen zum Generalvikar nach Rottenburg und setzte es durch, dass ich weiter in Salzstetten bleiben konnte." Diesen treuen Seelen sei er sehr dankbar gewesen, dass er vor seiner Rückkehr ins Kloster nicht noch einmal die Stelle wechseln musste.

In seiner Salzstetter Zeit lernte Harduin Bießle auch den Theologie-Studenten von der Steyler Missionsgesellschaft, Paul Zepp, kennen, der nach einer schweren Beinverletzung von der Wehrmacht entlassen worden war. Während der Semesterferien überließ er ihm manche Religionsstunde bei den Kindern. Zeitlebens verband die beiden eine herzliche Freundschaft. Der spätere Theologie-Professor, Ehren-Domherr von Köln und Steyler-Provinzial Paul Zepp (1917-2002) wusste Harduin Bießles Wirken in seiner Heimatgemeinde auch sehr zu schätzen: "Pater Harduin intensivierte die Jugendarbeit und gab den Religionsunterricht im Pfarrhaus, als dieser vom NS-Regime aus der Schule verbannt wurde. Durch seine Volksverbundenheit blieb er in lebhafter Erinnerung." Zepp wusste, dass erst die zweite Bittstellung um einen weiteren Verbleib des Benediktiners in Salzstetten bei der Diözese Erfolg hatte.

Ein Mitbruder aus St. Ottlien, Pater Ewald Spöcker, der im benachbarten Altheim Pfarrer Hermann Raible vertrat, der als Divisionspfarrer im Felde stand und den Bießle seit 1915 kannte, erleichterte ihm die Eingewöhnung in Salzstetten. Mit ihren Fahrrädern sind beide jeden Monat gemeinsam zum Conveniat der Geistlichen nach Horb gefahren und gelegentlich halfen sie sich gegenseitig in der Seelsorge aus.

Liebevolle Anteilnahme an Entwicklung der Gemeinde Salzstetten

"Nach einigen Monaten hatte ich mich in Salzstetten eingewöhnt, kannte mit wenigen Ausnahmen alle Leute und vertrug mich gut mit ihnen. Da Not bekanntlich beten lehrt, war der Kirchenbesuch gut", sagte Bießle. "Eine Gruppe von größeren Mädchen versammelte sich regelmäßig zum sogenannten Heimabend im Pfarrhaus und war sehr dankbar für die dabei empfangenen Anregungen und das Zusammensein in froher Runde, das uns die Partei (NSDAP) – Gott sei Dank – nicht verwehrte."

In diese Zeit fiel auch das 50-jährige Jubiläum der Weihe der Pfarrkirche im Jahr 1944. Die St.-Agatha-Kirche hätte dringend eine gründliche Restaurierung gebraucht, aber es fehlten damals sowohl die Materialien als auch die Handwerker und Künstler. Ein kranker Maler, der bald nach dem Krieg starb, strich dankenswerterweise den Sockel der Kirche neu. Links vom Haupteingang ließ der Benediktiner einen Platz herrichten für die Schmerzhafte Gottesmutter-Statue. Darunter wurden die Namen der gefallenen Soldaten verzeichnet. Als während des Krieges die Diözese Rottenburg die Weihe an die Gottesmutter vollzog, wurde neben dem linken Seitenaltar eine entsprechende Gedenktafel angebracht. Anfang 1945 wurde der gebürtige Oberbayer gebeten, in die Abtei Königsmünster zurückzukehren. Bischof Joannes Baptista Sproll trug er die Bitte um seinen Nachfolger vor. "Im Dezember war es dann soweit, dass ich nach einer Abschiedsfeier vor dem Pfarrhaus das mir inzwischen ans Herz gewachsene Salzstetten verlassen und auf einer abenteuerlichen Bahnfahrt vom 6. auf den 7. Dezember nach Meschede zurückkehren konnte. Die folgenden zehn Tage meiner Tätigkeit als Direktor des Gymnasiums und die darauffolgenden 20 Jahre, da ich als Abt das Kloster leiten durfte, waren nicht imstande, die tiefen Eindrücke und Erlebnisse zu verwischen, die ich in Salzstetten in mich aufgenommen habe. Die Entwicklung der Gemeinde habe ich immer mit liebevoller Anteilnahme verfolgt", schrieb Harduin Bießle in seinen Erinnerungen.