Boris Palmer will weiterhin Oberbügermeister von Tübingen bleiben. Foto: dpa

Tübingen hat die Wahl: Es geht um den Chefsessel im Rathaus, vor allem aber um die Frage - weiter mit oder ohne OB Boris Palmer? Der prominente Grüne ist im Wahlkampf mit teils unverblümten Äußerungen angeeckt. Trotzdem will er die Entscheidung im ersten Wahlgang.

Tübingen - Ein Chefsessel im Rathaus, vier Kandidaten, zwei Favoriten. Nicht ungewöhnlich für eine Oberbürgermeisterwahl. Und doch interessiert die Entscheidung der Tübinger über die Grenzen der Unistadt hinaus. Amtsinhaber Boris Palmer galt als Hoffnungsträger der Grünen, wurde immer wieder für führende Posten in Landes- und Bundespolitik gehandelt. Im Kampf um seine Wiederwahl in der Provinz schwebt nun die Frage mit: Was wird aus dem prominenten Politiker?

Das Problem sei, dass die Leute hier nicht über den grünen Politiker abstimmen wollen, sondern über den OB, sagt Palmer. Punkten wollte er mit Themen, mit inhaltlichen Aussagen auf den Wahlplakaten, bei denen das Wort „Weiter“ die Richtung vorgab. Erfolge wie ein ausgeglichener Haushalt oder der verringerte CO2-Ausstoß sollten für sich sprechen.

Allerdings wird die Wahl am Sonntag nach Einschätzung des Tübinger Politikwissenschaftlers Hans-Georg Wehling eine Persönlichkeitswahl. Palmer sei ein Grüner mit landesweiter Bedeutung, der nach wie vor auch für andere Jobs infrage komme. So war der 42-Jährige als Rathauschef in Stuttgart im Gespräch, als Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) oder als führender Kopf in einer möglichen schwarz-grünen Bundesregierung. In Tübingen erhielt Palmer vor acht Jahren 50,4 Prozent der Stimmen, wurde zum ersten grünen OB der Unistadt. Seitdem habe er politisch viel erreicht, normalerweise wäre die Wahl ein „gemähtes Wiesle“, sagt Wehling. Wären da nicht Palmers Ecken und Kanten.

Konflikten ausweichen ist nicht Palmers Sache

Mit seiner kompromisslosen Art, seinen wirtschaftsfreundlichen Positionen und seinem Ruf als Ultra-Realo ist Palmer in den vergangenen Jahren nicht nur in der eigenen Partei angeeckt, 2012 flog er aus dem Parteirat. Palmer könne schnell denken und sei ein Mensch mit hoher Intelligenz, was er andere manchmal spüren lasse, sagt Wehling. Das sei die „Achillesferse“, ein Verhalten, mit dem der OB einige Leute in der Unistadt verärgert habe.

Konflikten ausweichen ist dennoch nicht Palmers Sache. Der 42-Jährige verteidigte den umstrittenen Asylkompromiss, zog in der Debatte um Affenversuche am Tübinger Max-Planck-Institut den Ärger der Tierschützer auf sich. Und auf Facebook sorgen die oftmals unverblümten Einträge des Rathauschefs immer wieder für Kritik - wie im August, als aus einem Streit um eine verwehrte Apfelschorle auf einer Albhütte ein kleiner Skandal wurde. „Ich halte es für eine Unart der deutschen Politik, dass man den Leuten keinen reinen Wein einschenkt, und ich will dabei auch nicht mitmachen“, sagt Palmer. Das er mit dieser Art die Wahl verlieren könne, glaube er nicht.

Andere schon. Nach Facebook-Debatten und anderen Diskussionen habe sich in den vergangenen Wochen eine Wechselstimmung entwickelt, sagt Herausforderin Beatrice Soltys (parteilos). Die gelernte Maurerin und Baubürgermeisterin aus Fellbach (Rems-Murr-Kreis) setzt unter anderem auf die Unterstützung der konservativen Parteien. Sie will das autofeindliche Image der Stadt verbessern und für Parkplätze sorgen.

Viele Tübinger seien mit Palmers Art der Amtsführung nicht einverstanden, sagt Soltys. Mit der Bevormundung, der Erziehung. Die 48-Jährige selbst wurde jüngst in ihrem Büro von Palmer überrascht und gerügt, weil sie ihr Auto ins Halteverbot an einer Bushaltestelle gestellt hatte. Ein Journalist der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wurde Zeuge und schrieb die Geschichte auf.

Chris Kühn glaubt an Boris Palmer

Aus Sicht des Tübinger Bundestagsabgeordneten und Ex-Landeschefs der Grünen, Chris Kühn, muss Palmer jedoch nicht um die Wiederwahl fürchten. Was im Wahlkampf als Fettnäpfchen angesehen wurde, werde am Ende nicht relevant. Er gehe von einem Sieg im ersten Wahlgang aus.

Schützenhilfe bekam Palmer im Wahlkampf schließlich nicht nur von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der extra nach Tübingen reiste. Auch eine Wählerinitiative unabhängiger Bürger unterstützt den amtierenden Rathauschef. Und die SPD in Tübingen sprach - wenngleich nach kontroverser Diskussion - eine Wahlempfehlung für Palmer aus. Schafft er es also doch, der grüne OB?

Entscheiden werden das rund 66 000 Wahlberechtigte. Neben Soltys und Palmer treten der Philosoph und Musiker Markus Vogt sowie der Lagerist Hermann Johannes Saßmannshausen an. Nicht repräsentative Umfragen im Internet zeigen bisher ein offenes Rennen.

Was aber passiert, wenn Tübingen Nein sagt zu Palmer? Einen Plan B gebe es nicht, beteuert der 42-Jährige. Einen zweiten Wahlsonntag für ihn aber auch nicht: „Wenn Frau Soltys vorne liegt, dann ist das der Wunsch nach dem Wechsel. Und das würde ich dann auch akzeptieren.“