Was bedeutet dieses Herz? Die Kultur des Nachrichtensendens mit Emojis befindet sich noch in einer Art Wildwestphase, sagt der Autor Christian Schön. Was einzelne Zeichen bedeuten und wie sie verwendet werden können, müssen diejenigen, die sie verwenden, erst miteinander aushandeln. Foto: dpa

Verkehrszeichen, Kleidungsstücke, Emojis: Zeichen sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Ihrer Bedeutung und Geschichte widmet sich der Autor Christian Schön in dem neu erschienen Buch „Die Sprache der Zeichen“ .

Stuttgart – Nur wenn man ihre Regeln kennt, kann man Sprachäußerungen und Symbole richtig deuten. Doch heutzutage werden wir von diesen Zeichen geradezu überflutet. Zu lernen wie man sie richtig interpretiert, sei daher umso wichtiger, sagt der Autor Christian Schön. Ein Gespräch über interkulturelle Kommunikation, Zeichentheorien – und Emojis. - -
Herr Schön, wie wichtig sind Zeichen?
Zeichen nehmen in unserem Alltag einen ganz zentralen Stellenwert ein. Denn wenn man es genau betrachtet, gehen wir in jedem Bereich unseres Lebens mit Zeichen um. Selbst wenn wir nur das Haus verlassen und am Straßenverkehr teilnehmen, müssen wir dessen Text – zum Beispiel Straßenschilder – lesen können, um uns zurechtzufinden.
Ihrer Meinung nach werden wir von Zeichen beinahe schon überflutet. Warum ist das so?
Es gibt inzwischen kaum noch jemanden, der keine Zeichen – Texte, Bilder, Videos, Tweets und so weiter – produziert und veröffentlicht. Insofern ist die Flut der Zeichen natürlich enorm. Was sich tatsächlich aber noch einmal qualitativ verändert hat, ist der Umgang mit Zeichen. Dadurch, dass Bilder zum Beispiel so leicht wie nie zuvor manipulierbar sind oder dass es durch die Menge der Zeichen immer schwieriger wird, sich Orientierung darüber zu verschaffen, welche die „maßgeblichen“ oder „echten“ Zeichen sind, kam es dazu, dass jeder sich seinen eigenen Reim auf die Zeichen und damit auf die Welt macht. Sich über die Interpretation von Zeichen zu verständigen ist also wichtiger denn je.
Wie genau definieren Sie ein Zeichen?
Da werden Sie wahrscheinlich von jedem eine andere Antwort bekommen, je nachdem, was er oder sie für eine Profession hat (lacht). Die einfachste Formel ist zugleich eine der ältesten: Ein Zeichen ist etwas, das auf etwas anderes verweist. Spätestens seit der Moderne würde man Zeichen wahrscheinlich als Vehikel definieren: als ein Mittel, um einen bestimmten Zweck zu erreichen – um mich zu unterhalten, um mir ein Bild von der Welt zu machen, um Befehle weiterzugeben und so weiter. Das ist die Hauptfunktion, die Zeichen übernehmen.

„Hotpants können vieldeutig sein“

Das heißt, sowohl Emojis als auch Hotpants können Zeichen sein?
Genau. Emojis verweisen auf Emotionen, Gegenstände oder Ereignisse. Und Hotpants, oder Mode im Allgemeinen, können, verstanden als Zeichen, durchaus sehr vieldeutig sein. Dazu muss man sich nur die aktuelle Burka-Debatte anschauen.
Wo ziehen Sie dann die Grenze? Was ist ein Zeichen, was ist keines mehr?
Es gab bereits verschiedene Versuche, das abzugrenzen. Weil man tatsächlich irgendwann festgestellt hat, dass fast alles, was wir betrachten, als Zeichen gedeutet werden kann. Interessanterweise hat man gar nicht so viel gefunden, was aus diesem Raster fällt. Das pure Erleben der Gegenwart, also das Sein an sich, im Hier und Jetzt, ist beispielsweise nicht zeichenhaft. Auch der Bereich der Ideen wird nicht als Zeichen angesehen.
Über den Körper – über Gesten, Gesichtsausdrücke, Bewegungen – sendet der Mensch fortwährend auch unbewusst Zeichen. Kann das zum Problem werden?
Mit der Körpersprache verfügen wir sehr direkt über ein großes Repertoire an Zeichen, weil wir über unseren Körper unmittelbar etwas ausdrücken können, was mit Sprache unter Umständen viel länger dauern würde. Allerdings kann es bei der Körpersprache schnell zu Missverständnissen kommen: Als Deutscher deute ich bestimmte Gesten wie den nach oben gehaltenen Daumen anders als ein Italiener, ein Russe oder ein Franzose. Was wir als Zeichen für „Okay“ verstehen, ist in anderen Kulturräumen eine obszöne Geste.
Um mich verständigen zu können, muss ich in der Lage sein, diese zu verstehen?
Richtig. Gerade vor dem Hintergrund der globalisierten Welt ist es umso wichtiger, sich mit den Regeln, Konventionen und Gesetzmäßigkeiten der Zeichen auseinanderzusetzen. Das ist nicht nur als Tourist von großer Bedeutung, sondern zum Beispiel auch im Wirtschaftsleben. Bestimmte Geschäfte könnten nicht gemacht werden, wenn diese kulturellen Regeln nicht bekannt wären und nicht eingehalten werden würden. Mit diesen Regeln kann man aber auch bewusst spielen. Beim Flirten zum Beispiel geht es genau darum, Grenzen auszutesten: Was signalisiere ich mit meinen Zeichen, und wie interpretiert sie ein anderer?

Emojis bieten Konfliktpotenzial

Dass man ein Zeichen richtig interpretiert, kann – etwa in der Kunst und der Kultur – nicht immer vorausgesetzt werden.
Man müsste hierbei vielleicht von Resonanzfähigkeit sprechen. Wenn man zum Beispiel das japanische No-Theater zum ersten Mal sieht, wird man wahrscheinlich gar nichts verstehen, da einem die darin enthaltenen Gesten, die Bewegungen und die Gesänge nur fremd vorkommen werden – obwohl sie hochgradig kodifiziert sind und sogar kleinste Gesten sehr viel ausdrücken und bedeuten. Wie wir mit Zeichen umgehen, hat viel mit persönlicher Erfahrung zu tun oder, besser gesagt, mit kultureller Prägung.
Wie hat sich die Bedeutung der Zeichen im Laufe der Jahrhunderte verändert?
Einige der ältesten Zeichentheorien gehen davon aus, dass die Bedeutung der Zeichen etwas ist, das in den Dingen selbst steckt, oder dass Zeichen der Vorstellung entsprechen, die der Mensch von ihnen hat – einem inneren Bild ähnlich, das wir von Gegenständen oder von der Welt haben. In der Moderne kam man mehr und mehr von dieser Annahme ab. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951, Anm. d. Red.) etwa behauptete, dass wir mit Zeichen umgehen können, unabhängig davon, ob wir eine Vorstellung von ihrer Bedeutung im Kopf haben oder nicht. Solange wir uns an die Regeln und Konventionen halten, genüge das völlig. Ein Beispiel: Wenn jemand in einen Laden geht und einen Apfel bestellt, ist es ganz gleich, ob er eine konkrete Vorstellung von dem Wort „Apfel“ oder dem bezeichnetem Gegenstand hat – Hauptsache, er bekommt ihn. Allerdings sind die Gesetzmäßigkeiten der Zeichen nicht eindeutig festgeschrieben.

Fett: „Fett enthaltend“, „dick“ oder doch eher „super“?

Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Die Bedeutung der Zeichen kann sich sowohl durch ihren Kontext als auch durch ihren Gebrauch verändern. Durch den Gebrauch zum Beispiel in Dialekten können Wörter umgedeutet werden. So bedeutet das Wort „fett“ hochsprachlich entweder „Fett enthaltend“ oder „dick“, im Österreichischen bedeutet es auch „super“, „spitze“. Das zeigt, dass Wörter mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen und in den normalen Sprachgebrauch integriert werden können. Das funktioniert allerdings nur, weil Zeichen deutungsoffen sind. Ein sehr junger Bereich, in dem sich in dieser Hinsicht Probleme ergeben können, sind die Emojis.
Welches Konfliktpotenzial bieten Emojis?
Die Kultur des Nachrichtensendens mit diesen neuen Zeichen befindet sich noch in einer Art Wildwestphase. Man kann quasi direkt zuschauen, wie dort Konventionen ausgehandelt werden. Wenn ich in einer Nachricht kein Emoji zurückschicke, kann das als unhöflich interpretiert werden – es muss aber gar nicht so gemeint sein.
Zur Person: Christian Schön

Geboren 1982 in Memmingen, studiert Christian Schön von Oktober 2003 bis 2010 in Würzburg und Berlin Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, germanistische Linguistik, Mediävistik und Kunstgeschichte.

Nach einem Stipendiat am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung arbeitet Schön von 2013 bis 2015 als freier Lektor. Seit 2014 ist er als freier Autor, Ghostwriter und Blogger tätig.

Christian Schöns Fachbuch „Die Sprache der Zeichen“ ist am 13. September 2016 beim J. B. Metzler Verlag erschienen. Die gebundene Ausgabe umfasst 160 Seiten und kostet 24,95 Euro.