Im Neuhaus in Oberwachingen ist es am Freitagnachmittag noch ruhig genug zum Gaigeln Foto: Faltin

Viele Wirtshäuser auf dem Land kämpfen ums Überleben. Doch es gibt durchaus Gaststätten, die sich mit pfiffigen Konzepten erfolgreich gegen die Schließung stemmen. Das Tübinger Regierungspräsidium hat jetzt drei von ihnen ausgezeichnet.

Uttenweiler-Oberwachingen - Frank Heinzelmann kann alles. Er hat Koch in der renommierten Kleber-Post in Bad Saulgau gelernt, er fährt die größten Bagger und legt gerade das Fundament für eine Gerätehalle. Er betreibt ein wenig Landwirtschaft, züchtet Rothirsche und schlachtet sie selbst – und er verziert den Stadel seiner Wirtschaft namens Neuhaus in Oberwachingen im Schatten des heiligen Bergs Bussen persönlich mit bäuerlichen Motiven. Letzteres aber doch eher aus der Not: „Einen Innenarchitekten kann ich mir schlicht nicht leisten“, sagt der 39-Jährige, dessen Gastwirtschaft im Kreis Biberach das Tübinger Regierungspräsidium (RP) jetzt als „vorbildliches Gasthaus“ ausgezeichnet hat.

Vorbildlich – das ist die Art, wie Frank Heinzelmann sich gegen das allgemeine Wirtshaussterben auf den Dörfern stemmt. Doch die Entwicklung ist nicht so eindeutig wie man denkt. Vieles ist für Baden-Württemberg gar nicht erforscht; das räumt Jürgen Kirchherr, der Hauptgeschäftsführer des Gaststättenverbandes Dehoga, ein. So stieg die Zahl der Gaststätten im Land sogar um 25 Prozent seit 2006 auf zuletzt 25 000. Das liegt allerdings auch an den vielen Imbissen, die aus dem Boden schießen. Auch der Umsatz zeigt nach oben.

Studie: Die Rede vom Wirtshaussterben ist übertrieben

Eine Studie der Katholischen Universität Eichstätt kommt für Bayern zu dem Ergebnis, dass trotz vieler Probleme der reißerische Slogan vom Wirtshaussterben übertrieben sei – der Untergang der Wirtshauskultur finde in dem Maße nicht statt. In Bayern gebe es in sieben Prozent der Gemeinden keine Wirtschaft mehr. Kirchherr ist der Meinung, die Zahlen ließen sich wohl auf Baden-Württemberg übertragen.

Dennoch, auf dem Land, abseits der Städte und touristischen Zentren, kämpfen sehr viele Gaststätten ums Überleben. Alarmierend ist eine brandneue Umfrage des Dehoga. 37 Prozent der befragten Betriebe gaben an, die Zahl der Ruhetage erhöht zu haben; 40 Prozent haben ihre tägliche Öffnungszeit verkürzt, sperren zum Beispiel erst am Abend auf. „Das ist für uns ein Riesenthema“, so Kirchherr.

Die Gründe sind vielfältig. Als Kind, erinnert sich Frank Heinzelmann, habe er mit seinem Spielzeugbagger gegen 17 Uhr schnell vom Hof flüchten müssen, weil alle Bauern Oberwachingens zum Spätschoppen mit dem Traktor vorgefahren seien. Am Sonntag gingen alle in die Kirche – und netzten danach ihre vom Singen trockenen Kehlen im Wirtshaus. Und der Musikverein probte eigentlich immer im Nebenraum. Heute dagegen hat jeder kleine Club sein eigenes Vereinsheim, oft mit Küche.

Auch das Rauchverbot fordert seinen Tribut

Neben diesem gesellschaftlichen Wandel habe das Rauchverbot den Schankwirtschaften geschadet, sagen viele Gastronomen. Zudem hat heute jeder ein Auto – die Jungen fahren lieber in die Disco in die nächste Stadt. Und viele Wirte klagen über die Vorschriften, auch Frank Heinzelmann: „Wie soll ich einer Bedienung nach 4,5 Stunden eine Pause gönnen, wenn der Stadel mit 150 Leuten besetzt ist?“

Die bayerische Studie zieht ein ambivalentes Fazit. Einerseits habe die Entwicklung „einen Rattenschwanz negativer Wirkungen“ – mit den Wirtshäusern stürben auch die kleinen Brauereien und regionalen Lieferanten. Andererseits seien die Wirtsleute selbst gefordert, „mit Kreativität und Innovationsgeist eine adäquate Antwort auf die zahlreichen Schwierigkeiten zu finden.“ Und solche Antworten gibt es. Zum zweiten Mal hat das Tübinger (RP) dafür jetzt drei Gasthäuser ausgezeichnet. Im Hirschen in Tübingen-Kilchberg haben zwei junge Leute Leben in ein 400 Jahre altes Gemäuer gebracht – sie wollen Studenten und Alteingesessene im gemütlichen Ambiente und bei saisonalen Speisen zusammenbringen. Im Rössle in Rangendingen (Zollernalbkreis) wirbelt Erika Heck – sie veranstaltet Kunstausstellungen, hat einen guten Draht zu den Vereinen, und oft wird es bei Klavier und Akkordeon zünftig.

Ganz entscheidend ist neben einem besonderen Flair der Gaststube natürlich das Essen. Frank Heinzelmann setzt ganz auf regionale Produkte. Er benutzt auch keine künstlichen Zusatzstoffe, stattdessen ist das Gewürzregal anderthalb Meter lang. Die Gäste honorieren das, am Wochenende sei es „rammelvoll“. An diesem Freitagnachmittag ist bisher nur die vierköpfige Gaigelgruppe da, aber alle vier sagen: „Moisch, der Frank ka kocha.“

Überlebenskampf: viele unterschiedliche Konzepte

Wie ein Wirt es schafft, die allerletzte Runde zu verhindern, ist sehr unterschiedlich: „Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern ganz viele unterschiedliche Konzepte“, so Dehoga-Hauptgeschäftsführer Jürgen Kirchherr. Zwei Trends sind aber auffällig. So bieten viele eine Art Hüttenerlebnis – auch die Traufganghütte Brunnental in Albstadt-Laufen gehört dazu; sie hat vom RP einen Sonderpreis erhalten. Der alte Gasthof mit dem verblichenen Charme der 50er Jahre wurde in eine Alpenhütte umgewandelt, deren Schönheit sich niemand entziehen kann, auch wenn man darüber streiten kann, wie authentisch sie ist.

Der zweite Trend ist das Event; man muss dem Gast mehr bieten als nur ein gutes Essen. In der neu erbauten Geroldsauer Mühle bei Baden-Baden etwa kann man auch eine Schwarzwald-Ausstellung besuchen und im Tante-Emma-Laden geräucherten Schinken kaufen.

Mit solchen Ideen gelingt es immer öfter, das Wirtshaus als soziale Institution im Dorf zu erhalten. Dazu gehört Mut und die Bereitschaft, viel Geld in die Hand zu nehmen. Auch für Frank Heinzelmann gab es schwierige Zeiten: „Aber jetzt bin ich zufrieden – mit dem Gasthaus und mit meinem Leben“, sagt er.