Mit VfB-Fans in Stuttgart / Herz für Minderheiten / Prognose: Vor dem Amen folgt ein 3:0 in Paderborn

Von Andreas Pfannes

Villingendorf. Es ist ein inneres Bedürfnis und eine Selbstverständlichkeit, dass der VfB-Fanclub Villingendorf mit einer Busladung voller Fans das letzte Saison-Heimspiel "seines" VfB Stuttgart besucht.

Vor allem, wenn es um mehr als um Leben und Tod geht, wie einst der schottische Fußballweise Bill Shankly seine Einstellung, wenn auch in anderen Worten, wiedergab. Es geht um den Verbleib in der ersten Bundesliga. Und es geht gegen den Hamburger SV, der vor dem vorletzten Spieltag nur unwesentlich besser in der Tabelle platziert ist. Echte Fans: Die Villingendorfer und die Irslinger VfB-Fans im Bus sind echte Fans. Und sie haben ein Herz für Minderheiten. Wie für jene mit der HSV-Raute auf den Trikots. Man kennt sich, man war schon häufiger zusammen im Neckarstadion, aber eine solch zugespitzte Lage wie in dieser Spielzeit hat es nicht einmal vor gut einem Jahr gegeben. Der "Star": Erstes Ehrenmitglied des Fanclubs. Woher sein Spitzname kommt, wissen die Jüngeren nicht. Konnte nicht dabei sein. Hat aber eine bittere Erinnerung an den HSV parat. Das letzte Heimspiel in der Abstiegssaison vor 40 Jahren war gegen die – Hamburger. Damals hielt die Führung nicht über 90 Minuten stand. Die knappe Niederlage brach dem VfB das Genick. Doch soweit soll es dieses Jahr ja nicht kommen. Der ungeduldige Fan: Ist es auch im normalen Leben. Ihm kann es nicht schnell genug gehen. Wartezeit in Irslingen, Stau auf der Autobahn: ein Graus. Die Nervosität steigt, je näher es 15.30 Uhr wird. Zum Glück geht der Gesprächsstoff vom Mittagsläuten bis kurz vor dem Anpfiff, als gerade noch rechtzeitig das Stadiontor passiert wird, nicht aus. Der durstige Fan: Nicht nur Gesprächsstoff, sondern auch Getränke (und Wurstwecken de luxe) scheinen nie zu versiegen. Dank der erfahrenen Truppe um den Fanclub-Vorsitzenden Felix Müller. Auch der Busfahrer ist nicht unglücklich, dass sich seine "Sonderfahrt" immer im Gleichgewicht befindet: vorne und hinten die Schwergewichte, in der Mitte die Bier- und Wasserkästen. Der unerschrockene Fan: Er, in diesem Spezialfall überwiegend Sie, meistert alle Fährnisse einer Busfahrt. Wer durstig ist, muss trinken. Wer trinkt, kommt irgendwann in eine Drucksituation. Was für ihn an einem Parkplatz in der Regel kein Problem darstellt, ist für sie – vor allem wenn bereits eine Schlange vor dem Toilettenhäuschen steht und die Zeit mit Blick auf den Anpfiff knapp wird – eine Frage der Selbstüberwindung. Also, ab ins Gebüsch, und mag das Gras auch noch so hoch stehen. Der gegnerische Fan im Bus: Ist, wie gesagt, weder auf der Hin- noch auf der Rückfahrt ein Problem. Die HSV-ler sind schließlich – pardon – arme Schweine. Selbst mit viel Wohlwollen lässt sich gerade eine Torchance für den selbsternannten Fußball-Dino erkennen. Die Niederlage hätte deutlich höher als "nur" 1:2 ausgehen können. Weil es jedoch noch ein Morgen, in diesem Fall am kommenden Samstag das letzte Saisonspiel, gibt und mit Schalke 04 die aktuell schlechteste Truppe im Volkspark aufkreuzt, lebt die Hoffnung weiter. Was waren das noch für Zeiten, Anfang der 80er-Jahre, als die Happel-Truppe um Kaltz, Magath und Hrubesch Meisterschaften und den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte... Der gegnerische Fan im Stadion: Es soll "normale" Exemplare geben. Zu sehen (Feuerwerk, Rauch) und zu hören (permanente Fangesänge) sind sie jedoch kaum. Es dominieren die anderen. Erfreulich, dass diese leiser und ruhiger werden, je länger das Spiel dauert. Nach dem Abpfiff erfasst manch einem eine seltsame Mutlosigkeit, die dazu führt, dass Bierbecher nicht mehr gehalten werden können und diese Richtung VfB-Fans segeln. Steife Brise von der Waterkant. Der VfB-Fan an sich: Nach einer Saison des Schreckens anno 2013/14 folgt prompt eine noch schlimmere. Leiden ist zur Gewohnheit geworden, gewisser Fatalismus hilfreich. Selbst in der Nachspielzeit und dort überwiegend an der gegnerischen Eckfahne – er ist sich nie sicher. Immer kann noch etwas schief laufen. Trotz des 2:1 und vieler Torchancen – oder besser: gerade wegen der vielen vergebenen Torchancen. Er hat einen natürlichen Hang zum Pessimismus. Die Kirche ist schließlich auch erst mit dem Amen und nicht schon vor dem letzten Gebet aus. Der souveräne VfB-Fan: Hat den ganzen Samstag lang ein gutes Gefühl. Ist im Leben ein Glückskind. Weiß, dass an diesem Tag die Sonne scheint. Und selbst ein frisches Lüftchen verheißt nichts Dramatisches. Kühlt schließlich heiße Wangen. Er hat aber auch schon zu vieles seit 1975 (beim Gang in Liga zwei) und früher mitgemacht. Seine innere Stimme sagt ihm, dass das Abstiegsendspiel in Paderborn am 23. Mai mit 3:0 für den VfB ausgeht. Sein Wort in Gottes Gehörgang. Die Legende: Sein Herz schlägt seit Urzeiten hinter einem roten Brustring. Hat in den 60er- und 70er-Jahre auf den Stehplätzen im Neckarstadion seine zweite Heimat gefunden. Dann kam die Dauerkarte für einen Sitzplatz. Hat einen Wunsch vor dem HSV-Spiel gehabt. Nach fast 40 Jahren wieder einmal in der Cannstatter Kurve stehen. Mitten unter den jungen Hüpfern des Fanclubs. Wobei junge Hüpfer wörtlich zu nehmen ist. Still steht hinter dem Tor keiner. Es wird gehüpft. Dazu geschunkelt, gesungen, gerufen, gepfiffen, Fahnen geschwungen. Mittendrin: die Legende. Ist nach dem Sieg erschöpft, aber glücklich. Der Sprung hat sich gelohnt. Der vernünftige VfB-Fan: Hat eine seltsame Serie dieses Jahr hingelegt. Immer wenn er nicht dabei war, hat sein VfB daheim gewonnen. Kaum war er jedoch wieder in der Cannstatter Kurve, ging es schief. Letztes, besonders dramatisches Beispiel: das Spiel gegen den SC Freiburg. Die 2:0-Führung reichte nicht zum Sieg. Nach dem Spiel gegen Mainz 05 und dem 2:0-Erfolg, als er aus privaten Gründen nicht nach Stuttgart fahren konnte, war klar: Gegen den HSV darf er auf keinen Fall mit. Und so geschieht es auch. Übrigens: Er weiß nicht, wo Paderborn liegt...