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Strategiespiel auf Zeit vor Landgericht Konstanz. Bemerkenswertes Versäumnis.

Villingen-Schwenningen/Konstanz - Zwei CDs machen im Hess-Skandal die Runde – und das nicht etwa, weil sie sich in einem Computerlaufwerk drehen. Nein, weil sich um die Datenträger ein bemerkenswertes Versäumnis dreht, das Beobachter der juristischen Aufarbeitung des Falls Hess AG als waschechten Skandal bewerten.

Es ist dieser verregnete Donnerstagnachmittag, an dem im Saal 200 des Landgerichts Konstanz wieder einmal in einem Zivilverfahren gegen die geschassten Hess-Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler verhandelt wird. Der Blarrersaal, ein reichhaltig verzierter Gerichtssaal mit üppiger Bemalung und Stuck an den Decken, wird an diesem Nachmittag die Kulisse für ein ganz bemerkenswertes, in Sachen Hess AG vielleicht sogar symptomatisches Ereignis sein. Ist die juristische Aufarbeitung des Bilanzskandals um den Villinger Leuchtenhersteller ein Spiel auf Zeit?

Ein Eindruck, den Prozessbeobachter bekommen können. Man stelle sich vor: Der Anwalt von Christoph Hess, Hans Schaefer, erhält im Rahmen des seit November 2013 laufenden Zivilverfahrens am 19. Januar 2015 zwei angeforderte Datenträger mit angeblich maßgeblichen Informationen und wichtigem Mailverkehr, mehrere tausend Pdf-Seiten in der Sache Hess AG. Die Scheiben kommen mit der Post. Der Absender: die Gegenseite – Anwaltskanzlei Grub-Brugger des Insolvenzverwalters Volker Grub, die gegen Hess und Ziegler klagt und das Mandat von ihrem Anwalt Thilo Schultze ausüben lässt.

Nur Zahlensalat?

Doch erst an diesem Donnerstag, also mehr als zwei Jahre nach Erhalt der CD, erwähnt der Hess-Anwalt Schaefer, dass er diese CDs zwar erhalten habe, sie aber nur "Zahlensalat" enthalten würden – sie seien nicht lesbar. Mit einem Achselzucken, einer gleichgültige Miene, fast schon Desinteresse begegnet Schaefer den Fragen und Vorhaltungen, warum ihm das erst jetzt auffällt, zwei Jahre nach Erhalt der Datenträger. Er ringt nicht einmal um Erklärungen.

Und so gerät plötzlich wieder der komplette Zeitplan für den ohnehin langwierigen Zivilprozess, eine Teilklage über drei Millionen Euro, gegen Hess und Ziegler, ins Wanken. Erst jüngst hatte es wegen einer Pensionierung einen Richterwechsel gegeben. Und nun das.

Dem Gericht unter dem Vorsitz von Richter Peter Jochem bleibt nichts anderes übrig, als zähneknirschend die Terminkalender zu wälzen, den Kläger-Anwalt Schultze aufzufordern, die CDs erneut – dieses Mal aber mit einem Umweg über das Gericht zur Feststellung der Funktionalität der Datenträger – auf die Reise zu Hess’ Anwalt zu schicken und neue, erneut mehrere Wochen lange Fristen für jeden Schritt festzulegen.

Mitten in diesem frustrierenden Prozess aber entdeckt der Kläger-Anwalt Schultze in seinen Unterlagen eine Notiz, wonach Kopien der angeblich unlesbaren CDs seinerzeit auch das Gericht erhalten hat. Im laufenden Prozess lässt Richter Jochem die Datenträger suchen – und Richterin Unseld wird fündig: "Sollen wir schauen, ob was drauf ist?", die Frage von Jochem ist fast schon rhetorischer Natur. Sofort wird die Scheibe in den Computer eingelegt. Kläger-Anwalt Schultze blickt gelassen, als ist ihm von vornherein klar, dass die Datenträger einwandfrei sind. Und wenig später stellt auch der Vorsitzende Richter fest: Sie sind lesbar und enthalten auf ganz normalen Pdf-Seiten den Mailverkehr rund um die Hess AG und weitere wichtige Unterlagen dazu. "Jetzt bin ich, ehrlich gesagt, ein bisschen hilflos, wie wir jetzt weitermachen. Wir müssen uns beraten", sagt Jochem.

Das Gericht zieht sich zurück, während Hess’ Anwalt Schaefer – Christoph Hess selbst ist nicht erschienen – und Peter Ziegler samt seinem Anwalt Christoph Kleiner sich ebenfalls beraten. Schaefer zeigt sich ob der CD-Panne noch immer ungerührt. Die nun doch noch aufgetauchten Kopien der Datenträger lassen ihn offenbar kalt: "Das ist mir egal, ich will das ausgedruckt!", raunt er dem sichtlich konsternierten Anwalt von Peter Ziegler zu. Und in der Tat beharrt er auch nach Fortsetzung des Verfahrens darauf: So viele Dateien in digitaler Form seien schlichtweg "unzumutbar", er verlange alles in ausgedruckter Form.

Mit Geduld fast am Ende

Der Geduldsfaden des Richters wird merklich dünner: "Ich sage, das braucht man nicht, bei solchen Umfängen", Schaefer solle ihm gegebenenfalls das Gegenteil beweisen. Und auch, als sich Zieglers Anwalt hilflos gibt – "ja, aber, wenn das so riesige Datenmengen sind, wie finden wir dann das, was wir suchen? Gibt’s da ne Suchfunktion?" – kennt Richter Jochem kein Pardon. Sein Zeitplan steht – zunächst einmal fest: Bis 3. April erhalten die Anwälte von Hess und Ziegler vom Klägeranwalt, aber zugestellt durch das Landgericht Konstanz, noch einmal Kopien der CDs, bis 24. April bleibt ihnen Zeit, das Material, dass sie schon seit 2015 hätten überprüfen können, zu sichten.

Im Mai will Jochem entweder eine Entscheidung in der Teilklage über drei Millionen Euro Schadenersatz fällen, oder aber den Termin fortsetzen. Bis zur nächsten Panne in einem Strategiespiel auf Zeit?