Parvez Ahmad Warrich hofft, dass seine Peiniger zu gerechten Strafen verurteilt werden. Foto: Bloss Foto: Schwarzwälder-Bote

Asylbewerber: Parvez Ahmad Warrich aus Schwenningen ist Opfer eines Übergriffs seiner eigenen Landsleute

Von Mareike Bloss

"Die meisten Gewalttaten in Flüchtlingsheimen bleiben aufgrund der Ängste der Flüchtlinge im Dunkeln", sagt Polizeisprecher Thomas Sebold. Das Gegenteil beweist Parvez Ahmad Warrich, der Opfer eines Anschlags im Asylbewerberheim Obereschacher Straße wurde.

VS-Schwenningen. Es ist der Abend des 3. Oktober 2013, als der Pakistani Parvez Ahmad Warrich in seinem Zimmer der Gemeinschaftsunterkunft in der Obereschacher Straße zusammen mit einigen Bewohnern Karten spielt. Plötzlich stürmen andere pakistanische Flüchtlinge hinein, bedrohen und schlagen die Landsmänner mit Cricketschlägern. Sie drängen Warrich zum Fenster. So erzählt es der 38-Jährige und so steht es in seiner Ermittlungsakte.

War es ein Rettungssprung aus dem Fenster des zweiten Stocks oder wurde er – wie Warrich behauptet – von seinen "Feinden" herausgestoßen? Bis heute ist nicht klar, warum sich der Asylbewerber mit Prellungen und zwei gebrochenen Füßen auf dem Boden vor der Gemeinschaftsunterkunft wiederfindet.

Klar ist aber, dass Warrich in den nächsten zweieinhalb Jahren nicht nur zahlreiche Operationen und Therapien über sich ergehen lassen, sondern auch wiederholt Vorstöße bei der Polizei und Anwaltskanzlei mit Anzeigenerstattung gegen die Täter unternehmen muss. Sein Ziel: Die Täter verurteilen zu lassen, um angstfrei leben zu können. Denn mehrmals schon sei er von seinen Peinigern, die auch in seinem neuen Zuhause, der Anschlussunterkunft in der Metzgergasse, auf der Matte standen, bedroht worden.

Fall bleibt zwei Jahre lang liegen

"Warum haben sie mir das angetan?" "Warum bedrohen sie mich?", "Warum dürfen sie frei herumlaufen und arbeiten gehen?": Fragen, die sich der Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung immer wieder stellt. Und auch, warum Polizei und Justiz nicht früher reagiert haben. Ein Blick in die Akte verrät, dass eine Anklageschrift im Juni 2014 erstellt wurde, zwischenzeitlich aber auf Eis lag. Demnächst ist der Prozess angesetzt, in dem Warrich als Nebenkläger mit zwei Zeugen auftritt und zwei Pakistani angeklagt werden.

Doch warum blieb der Fall so lange liegen? Die Komplexität der Zeugen, die zum Teil keinen festen Wohnsitz hätten oder sich an unbekannten Orten aufhielten, sowie die Sprachbarrieren, die oft auch trotz Einsatz von Dolmetschern unüberwindbar seien, seien mögliche Paramter, die ein Verfahren verzögerten, führt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, Andreas Mathy, an.

Und warum musste es überhaupt soweit kommen, dass die Pakistani zu gewaltsamen Mitteln griffen? Sabine Mund, DRK-Sozialbetreuerin in der Obereschacher Straße, sieht Gründe für das Gewaltpotenzial unter Flüchtlingen in der Isolation und Unzufriedenheit. Besonders 2013, dem Jahr des Angriffs auf Parvez Ahmad Warrich, habe Gewaltpräventition noch keinen hohen Stellenwert gehabt. "Die Frustation über die Lebensumstände kann schnell in Aggression umschlagen", meint Mund. Unterschiedliche Meinungen und Wertevorstellungen, auch innerhalb der Pakistani, führten zu Konflikten oder Handgreiflichkeiten.

Prävention hat heute höheren Stellenwert

Durch Änderung der Rechtslage und dem Aufbau der Flüchtlingsarbeit durch Ehrenamtliche oder Einrichtungen wie Refugio habe sich mittlerweile aber viel getan: Die Flüchtlinge lernten durch das Sprachkursangebot schnell Deutsch, könnten arbeiten und bei Anerkennung des Asylbewerberverfahrens aus den Unterkünften ausziehen. "Durch die Ehrenamtlichen bekommen sie starke Zuwendung, sie werden als Mensch akzeptiert", fügt Mund hinzu. Das verhindere schließlich, dass sie negative Energien abbauen müssten.

Auch Parvez Ahmad Warrich profitiert davon: Täglich nimmt er an Sprachkursen teil und hat im Winkler Bildungszentrum eine Weiterbildung begonnen. Jetzt hofft er, dass der anstehende Gerichtstermin für mehr Klarheit und Gerechtigkeit sorgen wird. Denn sich endlich ein sorgenfreies Leben, fernab von Gewalt, in Schwenningen aufbauen zu können, das ist momentan sein größter Wunsch.

Die Zahl von Gewaltdelikten von Asylbewerbern, die das Polizeipräsidium Tuttlingen im Jahr 2015 mit Tatörtlichkeit Erstaufnahme- oder Asylbewerberunterkunft in VS verzeichnet, bleibt im Rahmen: Zu 26 Einsätzen mit Straftaten, bei denen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, wurde die Polizei im vergangenen Jahr gerufen, davon 19 in Villingen und sieben in Schwenningen. 2014, s o Polizeispressesprecher Thomas Sebold, seien die Zahlen deutlich niedriger gewesen. Die Prognosen für 2016? "Wir müssen abwarten, wie sich die Zahlen entwickeln", meint Sebold, deutet aber eine leichte Entspannung an.

Trotzdem: Dass die Dunkelziffer bei Übergriffen von Flüchtlingen sehr hoch ist, daran sei kein Zweifel. "Die Flüchtlinge wollen in keiner Weise negativ auffallen und mit den Staatsorganen etwas zu tun haben", führt der Pressesprecher als Grund dafür an, dass die Opfer eine Straftat nicht immer anzeigten. "Denn das könnte sich in ihren Augen negativ auf das Asylverfahren auswirken."