Mit Porträts von Villinger Persönlichkeiten aus vielen Jahrhunderten machen Museumsleiterin Anita Auer und der wissenschaftliche Mitarbeiter Peter Graßmann den Bürgerstolz sichtbar (links). Im Endspurt ist jede helfende Hand gefragt, so fertigen Ulrike Buczma und Gunther Volk die Schilder an (oben rechts). Ein Labyrinth aus Kartons führt durch die Stadtgeschichte (unten). Fotos: Zieglwalner Foto: Schwarzwälder-Bote

JubiläumAusstellung "Wie tickt Villingen-Schwenningen" beleuchtet Geschichte aus verschiedenen Perspektiven

Ob die roten Strümpfe der Schwenninger Tracht, eine Rockerjacke der Tannheimer "Steel Wings" oder ein Villinger Narro: Der Identität der Stadtteile, Klischees und deren Entstehung geht die Ausstellung "Wie tickt Villingen-Schwenningen" nach – und wartet mit manchen Überraschungen und neuen Blickwinkeln auf.

Villingen-Schwenningen. Mit ihrem Konzept schlagen Anita Auer, Leiterin der städtischen Museen, und der wissenschaftliche Mitarbeiter Peter Graßmann zur  1200-JahrFeier den Bogen von der Vergangenheit bis in die Zukunft, kombinieren selten gezeigte Funde aus dem achten und neunten Jahrhundert mit Ex ponaten aus der heutigen Zeit.

Das Zentrum bildet eine der fünf noch erhaltenen Abschriften der Schenkungsurkunde von Ludwig dem Frommen aus dem Jahr 817. Es sei gelungen, die meisten der wenigen Objekte aus der karolingischen Zeit aus dem ganzen süddeutschen Raum zusammenzutragen, freut sich Anita Auer. Um sich einen Eindruck von den Menschen damals machen zu können, ergänzen Illustrationen aus der Handschrift Stuttgarter Psalter die ärcheologischen Fundstücke.

Von diesem Herzstück aus können sich die Besucher durch ein Labyrinth aus rund 250 Kartons, die zu einer Mauer geformt sind, auf eine Reise durch die Geschichte der heutigen Doppelstadt begeben. Immer wieder spielen die Ausstellungsmacher mit den verschiedenen Perspektiven, aus denen sich die einzelnen Ereignisse betrachten lassen. Da setzen sie der Eigenwahrnehmung Villingens als stolze Bürgerstadt die Fremdbetrachtung als "Provinzstädtchen" entgegen, um das selbst Goethe einen weiten Bogen gemacht hat. Und das "wehrhafte" Villingen könnte auch eher wehrlos gewesen sein und habe bei Belagerungen einfach Glück gehabt, dass der Feind abzog, stellt Graßmann fest. Ihm ist es wichtig zu zeigen, dass es zu jeder Geschichte auch eine andere Interpretation gibt. So begeben sich die Ausstellungsmacher auf Spurensuche, wie die Klischees über Villingen und Schwenningen entstanden sind und wie sie die Identität heute noch prägen. Aber immer mit einem Augenzwinkern, betont Anita Auer, denn der Spaß stehe im Vordergrund. So seien die Begleittexte auch frech und witzig geschrieben, ebenso wie das Magazin, das anstatt eines umfassenden Katalogs kurz und prägnant Anregungen zur Ausstellung gibt.

Auch die Exponate selbst fordern auf, mitzudenken und Position zu beziehen. "Unter dem Motto ›Spielräume – Wer werden wir sein‹, geht es um die Frage, wer wir sind und wie wir so geworden sind", erläutert die Museumsleiterin. Bei den Nachforschungen in der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass die Gemeinsamkeit der beiden großen Stadtteile schon früh begann, erklärt Graßmann. Eine zunächst eher von Konflikten, zunehmend aber von Zusammenarbeit und Freundschaft geprägte Geschichte, deren logische Konsequenz die Fusion vor 35 Jahren gewesen sei.

Die Gegenwart findet sich unter den Rubriken Helden, Mobilität und Kunst, beispielsweise sind der Helm des Skispringers Martin Schmitt aus Tannheim oder der Regenbogenschal der früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Christa Lörcher zu sehen, den sie bei der Abstimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan getragen hat. Die Ausstellung macht das Ticken der drei Stadtteile tatsächlich hörbar, auch an einer Station mit typischen Geräuschen der Wochenmärkte in den Stadtteilen. "Die klingen wirklich anders", macht Anita Auer neugierig, sich die Aufnahmen anzuhören. Zudem besteht die Möglichkeit, sich mit den verschiedenen Dialekten und der eigenen Sprache zu beschäftigen. Auch ein Quiz rund um literarische Zitate und Reiseliteratur über Villingen-Schwenningen, ein Memory mit Stadtansichten oder eine Fühlstation für Kinder bringen spielerische Elemente in die Ausstellung. Dass der Streifzug durch die Stadtgeschichte so viel Wissen vereint, sei auch dem wissenschaftlichen Beirat zu verdanken, erläutert Grassmann. Sieben Experten hätten sich ehrenamtlich eingebracht, bei wöchentlichen Treffen über ein halbes Jahr hinweg durchaus auch kontroverse Diskussionen geführt, "das war eine tolle Erfahrung". Nun sind er und Anita Auer schon gespannt, wie die Besucher die Sonderausstellung aufnehmen und welch neuen Standpunkte sie rund um das Gedächtnis und die Zukunft der Doppelstadt einbringen.