Theater: Alzheimer-Erkrankung im Mittelpunkt des Stücks "Vater"

VS-Villingen. Wie empfindet ein an Alzheimer erkrankter alter Mann seine Umwelt? Das Publikum im Theater am Ring erlebte es im Stück "Vater" aus seiner Perspektive mit, und das gab Anlass zu Trauer und Mitleid, manchmal auch zu Belustigung über komische Verwechslungen.

Immer wieder vermisst Vater André seine Armbranduhr, verdächtigt seine Umgebung des Diebstahls. Lebt er nun in der Wohnung seiner Tochter Anne und ihres Mannes Pierre, oder ist es seine eigene? Ist Anne nun seit fünf Jahren geschieden und will von Paris nach London zu einem neuen Freund ziehen, oder bildet er sich das nur ein? Warum besucht ihn seine jüngere Tochter Elise nicht, die doch, wie Anne sagt, tödlich verunglückte?

Charmant kann er noch mit der neuen Pflegerin Laura flirten – und wie brutal spricht er in Anwesenheit von Laura darüber, dass er Anne nicht mag, ganz im Gegensatz zu Elise (mit der er sich zerstritt)? Bekommt er es mit, wenn Anne und Pierre nur noch darüber sprechen können, dass sie den alten Vater eigentlich in ein Pflegeheim geben müssen?

Schließlich tun sie es – aber dem alten Mann wird nicht klar, dass die Pflegerin dort nicht Laura ist, die ihn an Elise erinnerte. Aber vielleicht sieht er zuletzt doch ein, dass Anne jetzt in London lebt, ihn nur noch selten besucht und eine andere Pflegerin ihn im Rollstuhl in den Park fährt.

Florian Zeller schrieb das Stück aufgrund eigener Erfahrungen mit Demenz-Kranken. Mit starkem Mitgefühl versetzt er das Publikum in den Kopf des alten Mannes – für den ist zunächst alles normal, er versteht nur nicht, warum andere die Welt anders sehen als er.

Bewundernswert ist die Leistung des Schauspielers Ernst Wilhelm Jenik, der wegen der Erkrankung von Peter Striebeck nur zwei Wochen vor der Premiere die Hauptrolle übernahm und sie überzeugend spielt. Und wie sehr wird Irene Christ zur Tochter Anne – sie möchte für ihren Vater sorgen und wird doch immer wieder frustriert, weil er sie und ihre Not nicht versteht. Auch die anderen Akteure spielen überzeugend.

Halb durchsichtige Wände einer modernen Pariser Wohnung deuten auf die Grauzone zwischen Klarheit und Verschwommenheit. Verschiedenfarbige Lichteffekte untermalen diesen Übergang. Die Szene wandelt sich vom Wohnraum zum Zimmer im Pflegeheim. Hatte der alte Mann anfangs wenigstens noch die Illusion einer persönlichen Vergangenheit als Steptänzer, ist er am Ende nur noch willenloses Objekt.

Die Regie von Rüdiger Hentzschel für die Schaubühne Stuttgart und das Eurostudio Landgraf vermittelte dem Publikum intensives Mitgefühl für die Notlage der zahlreichen Demenz-Kranken und ihren Angehörigen. Bewegt und traurig denkt man an vergleichbare Fälle im eigenen Umfeld. Der reiche Beifall galt der überzeugenden Darstellung des Problems.