Wence Kadlec und Sigrid Stratmann. Foto: Spitz

Behörden trennen 88-jährige Sigrid Stratmann und ihren 75-jährigen kanadischen Partner.

Villingen-Schwenningen - Hängt die Liebe zweier Senioren von ein paar Paragraphen ab? Oder hapert es am guten Willen von Behörden? Die Liebesgeschichte der 88-jährigen Villingerin Sigrid Stratmann und ihres 75-jährigen kanadischen Lebensgefährten Wence Kadlec jedenfalls wird von Paragrafenreiterei überschattet.

Sie sitzen auf dem Sofa in Sigrid Stratmanns Wohnung in der Villinger Martin-Luther-Straße und lächeln sich warm an. Vor allem an der Stelle, an der ihre Geschichte ihren Anfang nahm: Vor zwölf Jahren, im Urlaub, in Kuba. "Er hat mich immer angesehen", erinnert sich Sigrid Stratmann. Als Wence Kadlec dann erkannt habe, "dass ich alleine bin", fasste er Mut. Er fragte sie, ob er sie abends zum Abendessen einladen dürfe. Im All-Inclusive-Ferienhotel. "Ich fand das so lustig", sagt Sigrid Stratmann lachend. Die Dolmetscherin sagte zu. Sie verbrachten den Abend und die restlichen sechs Ferientage gemeinsam. Und sie wurden ein Paar. Sie schrieben, telefonierten. Dann kündigte er an: "Ich komme zu Dir."

Und der Kanadier – er ist gebürtiger Tscheche jüdischer Herkunft, dessen Familie während der Nazizeit von Deutschen verfolgt wurde – kam tatsächlich zu Besuch. Der in British Columbia bis zu seiner Pensionierung für Planung und Funktion in einem Bergwerk zuständige Ingenieur tat dies auch die folgenden acht Jahre über. Sigrid Stratmann wurde das seltene Glück zuteil, nach dem viel zu frühen Tod ihres Mannes im Alter von 45 Jahren – er war Oberstudiendirektor am Gymnasium am Hoptbühl in Villingen – eine zweite Liebe gefunden zu haben. An Arbeit und Aufgaben mangelte es der ehemaligen VHS-Lehrerin, Dolmetscherin, Gründerin und ehemaligen Präsidentin der Deutsch-Französischen Gesellschaft nie. Doch nach 28 Jahren Witwendasein fehlte etwas in ihrem Leben: die zweite Hälfte. Wence Kadlec ist diese. Und doch darf die 88-Jährige nun nicht den Rest ihres Lebens vollkommen mit ihm teilen.

Der Schwarze Peter wird munter weitergereicht

Ihr Glück hängt scheinbar von Paragrafen und gutem Willen ab. Wence Kadlec bleibt die längerfristige Besuchserlaubnis verwehrt. Es stehe ihm lediglich frei, sich im Rahmen des Schengener Grenzkodex’ und der EG-Visa Verordnung für 90 Tage innerhalb eines 180-Tage-Zeitraums in Deutschland zu Besuchszwecken aufzuhalten, heißt es in einem der unzähligen Schreiben, die sich in Sigrid Stratmanns Aktenordnern mittlerweile angesammelt haben.

Dabei haben sie alles in die Wege geleitet. Als klar war, dass Sigrid Stratmann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr so weit wird reisen können. "Bei mir steht Blindheit bevor", schildert sie, und das Landratsamt beschied ihr einen Behinderungsgrad von 100 Prozent. Sie beantragten 2013 beim Ausländeramt Villingen eine Aufenthaltserlaubnis für Wence Kadlec. Sie unterschrieb eine Garantieerklärung, für alle Unkosten, etwa bei Abschiebung, Gefängnis oder Rückflug, aufzukommen. Beide legten ihre Konten, Renten, Vermögen, Grundbesitz und Krankenversicherung vor. Trotzdem die bitterböse Überraschung: Die Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt.

2014 unternahm das Paar einen neuen Versuch. "Bei uns dreht es sich doch nur noch um ein paar Jahre", sagt Stratmann und schlägt enttäuscht die Augen nieder. Wence Kadlec schweigt. Nach einem kurzen Räuspern schildert sie ihre Odyssee weiter. Kadlec flog nach Vancouver zum dortigen Generalkonsulat. Dort sei ihm versichert worden, dass es von kanadischer Seite keine Schwierigkeiten gäbe, aber das Ausländeramt in Villingen müsse vorher noch seine Zustimmung erteilen.

Sigrid Stratmann sprach in der Folge bei Oberbürgermeister Rupert Kubon vor. Er versicherte seine Unterstützung, bot sogar schriftlich an, sich telefonisch beim Konsulat in Vancouver einzusetzen. Soweit, so gut. Doch als beide im Frühjahr 2016 beim Ausländeramt in Villingen um Verlängerung baten gibt es erneut eine herbe Enttäuschung. "Diese wurde schroff abgelehnt", erinnert sich Stratmann.

Besondere Härte kein Grund für eine milde Entscheidung

Oxana Brunner, Pressesprecherin der Stadt Villingen-Schwenningen, begründet diese Entscheidung heute damit, dass auch das Konsulat nicht zugestimmt habe. "Wir als Stadt können nicht zustimmen, wenn das Konsulat nicht zustimmt", sagte Brunner gestern unserer Zeitung. Und auch die andere Seite schiebt den Schwarzen Peter von sich: In einem Schreiben des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Toronto heißt es wörtlich, "die innerdeutsche Ausländerbehörde in Villingen-Schwenningen" habe "ihre nach §31 Abs 1 AufenthV erforderliche Zustimmung zur Visumerteilung verweigert. Ihr Visumsantrag musste daher abgelehnt werden". Brunner bringt zudem eine weitere Behörde ins Spiel: Die Stadt Villingen-Schwenningen habe versucht, eine Ausnahmegenehmigung nach dem Paragrafen sieben des Aufenthaltsgesetzes beim Regierungspräsidium in Freiburg zu erwirken. Doch auch dieses habe abgelehnt.

Der Schwarzwälder Bote hakte auch dort gestern nach: "Wenn die beiden verheiratet wären, wäre die Sachlage eine andere", erklärte Pressesprecher Markus Adler. Ein Grund für eine Ausnahmegenehmigung liege in den Augen des Regierungspräsidiums in diesem Fall aber nicht vor. Zwar, so Adler, sehe man auch in Freiburg eine "besondere Härte" in diesem Fall, doch auch bei besonderer Härte sei die Ausnahmegenehmigung auf Familienmitglieder beschränkt, wozu Wence Kadlec nicht zähle.

Warum heiraten Sigrid Stratmann und Wence Kadlec nicht einfach? "Das wäre wunderbar", sagt Stratmann. "Aber das geht leider nicht". Sie verlöre als Witwe ihre Bezüge, und auch ihr 75-jähriger Partner müsste darum bangen, schildern beide. Was können sie nun tun? "Das wüsste ich auch gern", sagt Sigrid Stratmann. Sie wird still, starrt ins Nichts und gesteht: "Nächtelang konnte ich nicht schlafen und habe überlegt, ›was machen wir nur‹?"