Vortragsreihe: Kriegstagebücher von "Schleppsack" Herbert Schlenker / Michael Zimmermann referiert im Uhrenindustriemuseum

VS-Schwenningen. Im vierten Vortrag zu den "Nicht erschlossenen Quellen zum Kriegserleben aus Schwenningen am Neckar" ging es nicht um eine literarische Aufarbeitung von Kriegserinnerungen, sondern um das unmittelbare Erleben, wie Referent Michael Zimmermann ausführte.

Grundlage des Vortrags im Uhrenindustriemuseum waren die vier Kriegstagebücher des Schwenningers Herbert Schlenker, der von Beruf Kaufmann war und mehrere Sprachen beherrschte. In seiner Freizeit war er begeisterter Wanderer, und sein stets gut gefüllter Proviant-Rucksack brachte ihm den Spitznamen "Schleppsack" ein. Ab 1940 musste er Kriegsdienst leisten, kam nach Meßstetten zu den Gebirgsjägern. Danach folgten der Balkan- und ab 1941 der Russlandfeldzug. Seine Einheit war vor allem in Südrussland und in der Ukraine eingesetzt. Das erste Tagebuch begann er in der Slowakei, wo er mit seinen Kameraden auf den Marschbefehl nach Russland wartete.

Tagebuchschreiben war nicht unbedingt erlaubt, und wenn jemand seine Aufzeichnungen gelesen hätte, wäre er vermutlich vor das Kriegsgericht gekommen. Schlenker schrieb über alles, was er sah und erlebte, und er schrieb unverblümt, ehrlich, teilweise ironisch, bitter oder empört.

Michael Zimmermann trug etliche Passagen aus den Tagebüchern in chronologischer Reihenfolge vor und erläuterte dem Publikum die historischen Hintergründe. Herbert Schlenker war von Anfang an skeptisch gegenüber der Propaganda gegen die Russen und ihre angeblich unfähige Armee und bezeichnete sie als "billiges Nazigeschwätz". Stattdessen meinte er, "man muss den Russen gerecht werden – was soll der Untermenschenquatsch!" und fragte sich "Was kann das russische Volk dafür, dass wir es umbringen wollen?"

Seine Truppe war nicht an den Gräueln von SS und Wehrmacht beteiligt, aber er wusste offensichtlich genau darüber Bescheid. Als er zum Beispiel mit seiner Einheit nach Rostow am Don kam, notierte er: "Sauber kann es nicht zugegangen sein, so wie es hier aussieht." Dort hatten vorher Erschießungen von Juden und Roma stattgefunden, erfuhr das Publikum von Zimmermann. Seine Truppe nahm mehrfach Quartier in verlassenen, gut ausgestatteten Häusern, die er mit "vermutlich ein Judenhaus" bezeichnete – auch da dürfte er über das Schicksal der Bewohner Bescheid gewusst haben. In seinem Tagebuch wunderte Schlenker sich auch mehrfach über die Freundlichkeit der russischen Bevölkerung gegenüber den deutschen Soldaten. An anderer Stelle schrieb er: "Nachdem, was wir schon alles angestellt haben, müssen wir siegen!"

Doch auch die Verbrechen der sowjetischen Armee an der deutschstämmigen Minderheit in Kaukasus-Dörfern wie Michaelsburg und Neu-Schwenningen finden sich in seinen Aufzeichnungen – die Menschen wurden umgebracht oder verschleppt, damit sie sich nicht den deutschen Truppen anschließen konnten. Der Krieg war kein Abenteuer für ihn, sondern eher eine Katastrophe, und am 31. Dezember 1941 schrieb er: "Selig sind, die Boden nach rückwärts gewinnen, denn sie werden überleben." Er schimpfte auf seine Vorgesetzten und Hitler hatte seiner Meinung nach "Gehirnerweichung". Aber auch sich selbst konnte er reflektieren. Er bemerkte zu seinem Bedauern, dass die Rückverwandlung vom Soldaten zum Menschen während eines Heimaturlaubs nur unvollständig glücken wollte und kam zu dem Fazit "es bleibt nur eines: verdrängen, verdrängen, verdrängen (….) auf Vorrat leben, alles andere vergessen".