Debattieren über die Praxis der Insolvenzverfahren (von links): Bundesrechtsausschussvorsitzender Siegfried Kauder, die Rechtsanwälte Volker Grub und Thorsten Schleich sowie Achim Müller, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Rechtspfleger. Foto: Bäckermann

Anwälte, Richter und Rechtspfleger zweifeln an Sinn der anstehenden Gesetzesreform.

Villingen-Schwenningen - Die Bundesregierung plant eine Reform der Insolvenzverfahren: Die Sanierung von Unternehmen soll erleichtert und Gläubiger gestärkt werden. Praktiker sehen weder Bedarf noch Chancen in dem Gesetzesentwurf, der 2012 in Kraft treten soll.

Verbraucherinsolvenzen haben zugenommen

17.151 Insolvenzverfahren wurden 2010 in Baden-Württemberg dokumentiert, darunter die von 2490 Unternehmen – 12,6 Prozent weniger als 2009. Die Verbraucherinsolvenzen hingegen haben deutlich zugenommen auf mehr als 10.000 (plus 7,9 Prozent). Während der Wirtschaftskrise seien selbst gesunde Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten geraten, berichtet Thorsten Schleich, Fachanwalt für Insolvenzrecht aus Villingen ( Schwarzwald-Baar-Kreis). Viele der Betriebe habe man aber restrukturieren können. Inzwischen gehe die Statistik deutlich zurück.

Läuft der Geschäftsbetrieb bei Eröffnung des Insolvenzverfahren noch, können 80 Prozent der Unternehmen saniert werden, schätzt Schleich. Leider werde der Insolvenzantrag aber in vielen Fällen zu spät gestellt. »Viele Unternehmer glauben, ihren Betrieb noch aus eigener Kraft retten zu können«, erläutert der Experte für Insolvenzrecht die Beweggründe. Zudem hätten sie Angst, im Verfahren »ausgeliefert« zu sein.

Die Hemmschwelle soll durch die Gesetzesreform gesenkt werden. »ESUG« heißt der Entwurf für das Gesetz »zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen«, das am 1. Januar 2012 in Kraft treten soll.
 

Möglickeiten der Eigenverwaltung sollen erweitert werden

Die Möglichkeiten zur Eigenverwaltung eines insolvenzgefährdeten Unternehmens sollen erweitert werden. Im Kern steht zudem eine Konzentration der Insolvenzgerichte auf je einen Standort pro Landgerichtsbezirk. Die zuständigen Richter bekämen dadurch mehr Routine, argumentiert die Regierung.

Kritiker hingegen fürchten, dass regionale Unterschiede auf die Entfernung nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden. Fünf Standorte sollen in Baden-Württemberg aufgelöst werden, unter anderem Villingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) und Lörrach. Damit würden auch die Anlaufstellen für zahlungsunfähige Privatpersonen zentralisiert.

Zudem sollen Richter künftig für das Planverfahren zur Entschuldung eines Unternehmens zuständig sein, das bislang – ebenso wie die gesamte Abwicklung ab Verfahrenseröffnung – von Rechtspflegern übernommen wird.

Gläubiger könnten von Neuerung profitieren

Ein weiteres Ziel: Die Rolle der Gläubiger soll gestärkt werden. Bei Verfahren von Unternehmen ab zwei Millionen Euro Bilanzsumme, zwei Millionen Umsatz und zehn Mitarbeitern soll ein Gläubigerausschuss gebildet werden, der einen Insolvenzverwalter benennen oder zumindest sein Profil definieren kann. »Nicht praktikabel«, urteilen Anwälte, Rechtspfleger und Richter. Das Verfahren verzögere die Abwicklung nur und sollte auf Großunternehmen beschränkt werden.

»ESUG – Unwort des Jahres oder der große Wurf?«, fragte Achim Müller, Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Rechtspfleger (BDA) gestern bei einer Podiumsdiskussion von Vertretern aus der Praxis mit Bundesrechtsausschussvorsitzendem Siegfried Kauder (CDU) im Villinger Amtsgericht.

Gläubiger haben kaum Interesse an der Abwicklung

90 Anwälte, Richter und Rechtspfleger verdeutlichten Kauder ihre Bedenken und Änderungswünsche für den Gesetzesentwurf, der im September im Ausschuss beraten und im Bundestag vorgestellt wird und im November in den Bundesrat geht.

In 70 Prozent der Insolvenzverfahren gingen die Gläubiger leer aus, berichtete Kauder. Entsprechend gering sei ihr Interesse an der Abwicklung. Die Praktiker bezweifeln, dass die Reform dem entgegen wirken könnte. Lediglich Großbanken könnten davon profitieren.

Kauder will sich für Nachbesserungen am Gesetzesentwurf und gegen die Konzentration der Insolvenzgerichte einsetzen. Er werde versuchen, ein praktikables, verständliches Gesetz auf den Weg zu bringen, frei von »lästigen Lindwurmsätzen«.