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Geplatzte Träume für Beteiligte. Kreispolitiker schieben sich gegenseitig Verantwortung zu. Klinge: Merkel "zu passiv"

Villingen-Schwenningen - Zurück auf Los: Das ist das niederschmetternde Ergebnis zwei Monate nach der Bundestagswahl. Kreispolitiker schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Jamaika-Pleite zu. Und Neuwahlen? Das ist für fast alle ein politischer Albtraum.

Das 61-Seiten-Papier der Jamaika-Sondierungsrunde ist für den Papierkorb. Eine mögliche Jamaika-Koalition ist in der Nacht zu Montag zerplatzt. Während sich Nutzer sozialer Netzwerke und Kollegen über die "Schuldigen" und die Optionen heiß reden, halten sich am Montag zumindest die Kreispolitiker und Kreisabgeordneten mit drastischen Schuldzuweisungen zurück.

Thorsten Frei (CDU-Bundestagesabgeordneter für den Schwarzwald-Baar-Kreis) ist die Enttäuschung über das Jamaika-Aus anzuhören. "Bis zuletzt war ich optimistisch, dass eine solche Koalition zu schaffen ist." Schon aus der gebotenen staatspolitischen Verantwortung heraus, ergänte er. Die Schuld-Frage, so Frei, lasse sich sicher nicht eindeutig klären. Dennoch sieht er Grüne und Liberale im Sucher: Die Grünen mit ihren "Maximalforderungen" mit Blick auf Klimaschutz und Migrantionspolitik, die FDP, die vorzeitig den Sondierungstisch verlassen habe. "Am Ende müssen eben alle wollen." Enttäuschung auch bei dem Europaangeordneten der CDU, Andreas Schwab: "Wir waren auf einem guten Weg." Und: "Wer es sich hier zu einfach macht, wird vom Wähler bestraft werden."

Martina Braun, Kreisvorsitzende der Bündnisgrünen, weist jede Schuldzuweisung gegen ihre Partei von sich: "Wir sind teils bis an unsere Schmerzgrenze und darüber hinaus gegangen." Die Liberalen sind für sie ein stückweit verantwortlich für das Scheitern.

Während der (in die Kritik geratene) SPD-Bundestagskandidat und Kreisvorsitzende Jens Löw am Montag nicht erreichbar war und sich deshalb zu einer möglichen weiteren Kandidatur bei Neuwahlen auch nicht äußern konnte, redete der Stadtverbandspolitiker aus Villingen-Schwenningen Nicola Schurr Tacheles. Für ihn liegt die Schuld für das politische Erdbeben eindeutig bei Liberalen und CSU.

Wie sieht Marcel Klinge die Angriffe an die Adresse seiner Partei? "Wir haben durchaus Kompromissbereitschaft gezeigt", kontert der Liberale. "Aber keine Einigung beim Soli, keine angemessene und längst überfälligen Einwanderungsregeln – das tragen wir nicht mit", äußert er sich. Statt Aufbruch habe man Grabenkämpfe zwischen Grünen und CSU erlebt. "Wir sind es unseren Wählern schuldig, bei unseren Inhalten standhaft zu bleiben."

Mit welcher Option könnten unsere Kreispolitiker am ehesten leben: Minderheitenregierung, eine Neuauflage der großen Koalition oder Neuwahlen? Fast alle befragten Kreispolitiker sehen Neuwahlen als die schlechteste aller Lösungen an. Hier sind sich alle ausnahmsweise einig: Von Neuwahlen könnte die AfD profitieren, "wenn die anderen Parteien das mit der Regierungsbildung nicht hinbekommen". Marcel Klinge sieht diese Alternative entspannt: In einer Demokratie "gibt es wirklich Schlimmeres". Für Thorsten Frei schält sich eher die Neuauflage einer großen Koalition heraus. Andere Politiker wie Martina Braun oder Nicola Schurr sehen als kleineres Übel eine Minderheitenregierung von CDU und Bündnisgrünen an, wenn auch mit freundlicher Unterstützung der SPD (Martina Braun). "Alle Parteien müssen nun Verantwortung dafür tragen dass es nicht zu Neuwahlen kommt", so der Appell an Berlins Politiker.

Schaden für die Politik

Welche Rolle spielt die Kanzlerin beim misslungenen Jamaika-Poker? "Es war ein Schaden für alle Beteiligten", relativiert Frei. Für Nicola Schurr ist es eine klare Sache: "Das ist ein weiterer Imageverlust für Angela Merkel." Ähnlich sieht es auch Marcel Klinge: "Die Kanzlerin war zu passiv und hat es nicht geschafft, den Sondierungen eine klare Richtung nach vorn zu geben."