Zu Hause breitet Rana ein Tischtuch auf dem Boden aus. Darauf liegen syrische Spezialitäten. "Komm. Essen" – sie duldet keinen Widerspruch. Und dann erzählt die syrische Familie von ihrem Weihnachten in Deutschland. Foto: Schmidtke Foto: Schwarzwälder-Bote

Integration: Weihnachten in Villingen aus Sicht einer syrischen Familie / Doch der Krieg tobt innerlich weiter

Sonnig und kalt erleben wir die Adventszeit. Die Menschen dekorieren ihre Häuser mit Lichtern, genießen die Zeit. Weihnachten, das Fest der Liebe, steht bevor. Wie empfinden syrische Flüchtlinge diese Zeit?

VS-Villingen. Seit gut zwei Jahren leben Maher (55) und seine Frau Rana (50) in Deutschland. "Wir haben zehn Kinder. Fünf Jungs und fünf Mädchen. Und 15 Enkel", strahlt Maher. "Zwei Enkel sind noch auf der Straße", erklärt die Jüngste, die zwölfjährige Amera. Auf der Straße? Damit meint das Mädchen sinngemäß, dass zwei Schwestern oder Schwägerinnen schwanger sind. Der jüngste Enkel ist vier Wochen alt und heißt Omar. "Omar wurde hier in Deutschland in Hurria (Freiheit) geboren", sagt Maher zufrieden und nippt an der winzigen Tasse einen Schluck arabischen Kaffee, verfeinert mit Kardamon. Die Familie stammt aus Daraa. Dort begann der syrische Krieg 2011. Es war die Zeit, als Präsident Bashar al-Alssad Berichten zufolge Kindern die Fingernägel mit Zangen herausreißen ließ. Das Volk begehrte daraufhin auf, al-Assad antwortete mit Bomben.

"Er sät Hass zwischen den Religionen. Er lügt"

"Wir sind Moslems. Wir feiern kein Weihnachten", meint Amera – die gleich danach vom Weihnachtsmarkt in Villingen schwärmt. Deutsch verstand das Mädchen noch nicht so gut. Aber Spaß hatte die Familie auf dem Markt und viele Fotos schossen sie von der Attraktion. Was war das Beste? "Die Pommes schmeckten mir super. Und Cola. Das ist mein Lieblingssaft", sagt der Teenager. Ärztin will Amera werden. Immerhin besucht sie bereits die Realschule. Mit ihren Freundinnen redet sie konsequent Deutsch.

In Deutschland überwiegen die Christen. Aber in Daraa lebten Moslems mit Christen und Menschen aus weiteren Religionen, wie etwa die Alawiten oder Drusen, friedlich zusammen. "Wir lebten mit Menschen aller Religionen zusammen", sagt Bruder Ali offen. Maher runzelt die Stirn und fügt an: "Aber Baschar (al-Assasd) säte Hass zwischen den Religionen. Er lügt. Wir hatten viele Asadiqa (Freunde), die Christen waren". Manche glaubten al-Assad. Unfrieden war geschaffen. Amera erklärt, dass damals viele Menschen getötet und Mädchen verschleppt worden seien.

Nach und nach brachte sich die Familie in Sicherheit. Zuerst in Libyen, später wagten sie die gefährliche Fahrt mit dem Boot nach Italien und weiter nach Europa. Amera hockte 24 Stunden zusammengekauert und seekrank im Boot. Heute leben Mahers und Ranas Kinder auch teils in Schweden und England. Verstreut. Nicht anders als in Europa wurde um die Weihnachtszeit in Daraa in Friedenzeiten viel eingekauft. "Die Menschen jeden Glaubens sollten einander tolerieren", sagt Mohammad sinngemäß. Die Aussage ist umständlich und in gebrochenem Deutsch. Stark aber der Inhalt.

"Weihnachten wirkt ansteckend"

Die Männer waren in der Moschee, zum Gebet. Isa (Jesus) ist im Koran ein geachteter Prophet. Zu Hause breitet Rana ein Tischtuch auf dem Boden aus. Darauf finden sich syrische Spezialitäten wie Oliven, Makdous (mit Walnüssen gefüllte Auberginen), Tomaten, Joghurt, Hummus und Khubz (Fladenbrot) und eine Nascherei aus Sesam. "Komm. Essen", fordert Rana entschieden auf und duldet keinen Widerspruch. Der Duft von frischem Cay steigt in die Nase.

"In unserer Schule gibt es eine Kirche. Dort war ich schon. Und vergangene Weihnachten waren wir in einer Kirche in Villingen. Frauen und Männer haben gesungen. Sehr schön. Aber zu lang. Ich bin irgendwann eingeschlafen", gesteht Amera. Alle lachen. Um Weihnachten war die Familie in der Stadt unterwegs. Total schön empfanden die Syrer die Atmosphäre, die durch die vielen Lichter in den Fenstern entstand.

Der 22-jährige Bruder Ali absolviert gerade ein Praktikum. Seine Sprachkenntnisse sind erstaunlich gut: "Es ist schön, wenn die Menschen an Weihnachten lachen und friedlich gestimmt sind. Das Gefühl empfinde ich dann auch. Weihnachten wirkt ansteckend." In dieser Zeit versucht Ali ein bisschen, die Gedanken an Syrien zu verdrängen. Den Moment auszublenden, als sein Freund direkt neben ihm durch einen Kopfschuss getötet worden sei. Bombardements. Blut. Schreie. Traumatisierte Kinder. "Der Krieg geht innerlich weiter. Man kann ihn nicht vergessen", flüstert Ali fast. Nach Frieden in seinem "Suria" sehnt er sich. "Wenn ich andere Menschen glücklich feiern sehe, möchte ich das auch", sagt Ali. Mit Freunden aus Syrien, Pakistan und Eritrea feierte er deshalb ein kleines Fest. Am Ufer der Brigach tranken sie Cay, erzählten sich Geschichten. Den Villinger Weihnachtsmarkt konnten die gastfreundlichen Syrer kaum erwarten. Ali beschreibt sein Gefühl mit einer poetischen Metapher: "Die Stadt sieht an Weihnachten wie ein schöner Garten aus. Die Lichter sind die Blumen".

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