Radelt in eine ungewisse Zukunft: Sidar Damba. Fotos: Kienzler Foto: Schwarzwälder-Bote

Ungewissheit zermürbt Sidar Damba / Der 18-Jährige berichtet von seiner Flucht aus dem Sudan

Von Michael Kienzler

Villingen-Schwenningen. "Ich bin konfus, mir geht es nicht gut und mein Kopf macht bumm", Sidar Damba senkt den Kopf. Sein Deutsch ist noch nicht perfekt, aber erstaunlich gut. Der 18-Jährige bringt seinen Seelenzustand auf den Punkt.

Sidar macht eine schlimme Zeit durch. Die jüngste Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das seinen Fall an die italienischen Behörden schieben will, zehrt an seinen Nerven (wir berichteten).

Dabei hat der Jugendliche schon wahrlich genug Schlimmes gesehen in seinem Leben. Im Bürgerkrieg verlor der Sudanese seine Eltern, dort musste er auch mit ansehen, wie Rebellen Menschen hinrichteten. Nur ein Onkel ist von der Familie übrig geblieben, und von ihm hat er keinerlei Nachrichten.

Über den Sudan kam er in den Tschad, dort lebte er drei Jahre in einem Flüchtlingslager. "Ich habe dort viele Kranke und Tote gesehen, es wurde jeden Tag schlimmer", berichtet Sidar. So schlimm, dass er es nicht mehr aushielt und mit seinem Freund Abdallah nach Libyen floh. Die beiden fanden Platz auf einem Schiff, das sie zusammen mit 63 anderen Flüchtlingen auf die italienische Insel Lampedusa bringen sollte. Das Unglück nahm seinen Lauf. "Wir waren auf einem Schlauchboot und haben Luft verloren, dabei ist mein Freund ertrunken", berichtet er traurig.

Doch Sidar hatte keine Wahl, für ihn musste es weitergehen. Von Lampedusa führte die abenteuerliche Reise ins kalabrische Rossano. Auf einem verlassenen Bauernhof fand er bei einem somalischen Flüchtling Unterschlupf. Die beiden teilten sich das karge Essen, doch die Zustände waren grauenvoll. "Es regnete in das Haus, meine Kleidung war immer nass."

Gelebt hat er von Brot und einer warmen Mahlzeit täglich von der Kirche. Acht Monate verbrachte er dort, doch für ihn konnte es so nicht weitergehen: "Ich wollte Zukunft und ein neues Leben."

Das war in Italien nicht möglich, so stand sein Entschluss fest: Nach Deutschland sollte die Reise gehen. Vom somalischen Freund bekam er das Geld für ein Zugticket, doch wohin in Deutschland wusste der 18-Jährige nicht. "Ich habe ein Ticket für zwei Tage gekauft und bin einfach in den Zug gesessen." Über Rom, Zürich und Konstanz ging die Fahrt nach Villingen. Um ein Uhr nachts hielt der Zug im Bahnhof. "Endstation", eröffnete ein Zugbegleiter dem entkräfteten Sidar. Ihm blieb nichts anderes übrig, als einen Taxifahrer nach der Aufnahmestelle für Asylbewerber zu fragen.

Doch er landete letztlich bei der Polizei. Nach einer Durchsuchung und Aufnahme der Personalien verbrachte Sidar die Nacht in Polizeiobhut. Am nächsten Morgen dann ging es in Polizeibegleitung zum Jugendamt, an diese Beamten hat Sidar gute Erinnerungen. "Die haben mich gefragt, wie es in Italien so war."

Seit fast exakt einem Jahr ist er nun in Deutschland, aber noch immer kann er die schrecklichen Erlebnisse nicht vergessen. Immer wieder fängt er an zu stottern.

"Das ist Teil der Traumatisierung", erklärt Ulrike Werder, die sich im Edith-Stein-Haus um Sidar kümmert. Auch sie kann die Mitteilung der Bundesbehörde nicht fassen. "Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit jugendlichen Migranten, aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand so zielstrebig an seiner Integration arbeitet wie Sidar", macht die Erzieherin deutlich. Sidar wolle nur ein eigenständiges Leben führen.

Wenn der Sudanese von seiner Zukunft spricht, heitern sich seine Gesichtszüge auf, und die Augen, die viel Leid gesehen haben, beginnen zu strahlen: "Ich möchte hier in Deutschland bleiben, meinen Hauptschulabschluss machen und dann gerne eine Ausbildung als Elektriker."

Sidar sieht Schulbildung als ein Privileg an und in der Integrationsklasse an der Deutenbergschule lernt er schwerpunktmäßig Deutsch, Mathe und Englisch. "Sidar hat ein absolutes Sprachtalent", hat Ulrike Werder festgestellt. Auch kochen kann er gut. Pasta sowieso, aber gerne würde er mal seine Spezialität kochen, Furto, ein afrikanisches Gericht ähnlich dem Couscous. "Leider bekommen wir die nötigen Zutaten nicht", schmunzelt Ulrike Werder.

Ablenkung vom Behördenstress findet der 18-Jährige beim Hören von orientalischer und Reggaemusik. Aber am liebsten macht er selbst Musik auf seiner Djembe, einer afrikanischen Trommel. Sport mag er auch sehr, "ich jogge gerne, spiele Fußball und fahre gerne Rad".

Während er trommelt, liegt auf dem Schreibtisch das entscheidende Dokument. "Aussetzung der Abschiebung (Duldung)" steht drüber. Und weiter: "Erwerbstätigkeit nicht gestattet, Aufenthalt ist beschränkt auf Baden-Württemberg."

Am 5. Dezember endet die Duldung. Bis dahin soll zusammen mit dem Villinger Anwalt Ulrich Hahn vor dem Verwaltungsgericht Freiburg darum gekämpft werden, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuständigkeit für den Asylantrag von Sidar übernimmt.

Solange bleibt Sidar nichts anderes als zu warten. "Ich wünsche mir, dass alles gut wird", sagt er, schnappt sich die Djembe, und mit zielgenauen Schlägen trommelt er sich die Sorgen von der Seele.