Der Weg in die Abhängigkeit dauert oft Jahre. Klaus R. aus Schwenningen weiß das nur allzu gut. Symbolfoto: Büttner Foto: Schwarzwälder-Bote

Klaus R. aus Schwenningen ist seit Jahren alkoholkrank / Heute hilft er anderen Betroffenen beim täglichen Kampf gegen die Abhängigkeit

Von Alicja Bienger

VS-Schwenningen. Ein Glas Sekt zum Anstoßen, ein Schnaps für die Verdauung: Alkohol gehört zum gesellschaftlichen Leben dazu. Für den Schwenninger Klaus R. bedeutet er Gefahr – die Gefahr eines Rückfalls. Denn der 61-Jährige ist seit Jahren alkoholkrank.

Die Wohnung von Klaus R. (Name von der Redaktion geändert) ist ein Musterbeispiel für Sauberkeit und Ordnung. Jeder Gegenstand hier hat seinen Platz, nichts liegt herum, es ist blitzsauber. Klaus R. nennt es das "Kontrollsyndrom". "Ich brauche ein gutes Umfeld, um mit der Krankheit fertig zu werden", erklärt er.

Mit "der Krankheit" meint R. seine Alkoholsucht. Seit vielen Jahren ist der gebürtige Schwenninger abhängig, seit 2007 ist er "trocken". Der Weg in die Abhängigkeit war ein schleichender Prozess.

Geboren wird Klaus R. 1953 als Sohn einer Schwenninger Unternehmerfamilie. Der Preis, den er und sein vier Jahre jüngerer Bruder für den vergleichsweise hohen Wohlstand zahlen müssen, in dem sie aufwachsen, ist hoch: Die Mutter verkehrt unentwegt auf gesellschaftlichen Empfängen, der Vater ist "mit der Firma verheiratet", erinnert sich der 61-Jährige. "Wir wurden überwiegend von auswärts betreut und bekamen die Eltern nur selten zu Gesicht." R. lernt früh, Verantwortung zu übernehmen, vertritt Vaterstelle an seinem Bruder, und zieht mit 19, direkt nach dem Abitur, von Zuhause aus.

Es folgen Bundeswehr, mehrere Berufsausbildungen – teils mit Auszeichnung –, dann ein BWL-Studium. Klaus R. wird Mitglied in einer Studentenverbindung; seine "wilde Zeit", wie er sagt: "Damals wurde es schon mehr mit dem Alkohol, aber es nahm noch nicht überhand", erinnert er sich.

Das ändert sich, als R. nach abgebrochenem Studium in seine Heimatstadt Schwenningen zurückkehrt. Er wird einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der elterlichen Firma. Die Arbeitsbelastung nimmt zu, und mit ihr auch der Alkoholkonsum. "Der Alkoholismus verläuft bei jedem gleich, ähnlich einem Algorithmus", erläutert R. "Jeder Betroffene hat eine individuelle Geschichte, aber die Auslöser haben dieselben Wurzeln: mangelnde Anerkennung, Unterforderung, Überforderung."

Bei R. ist es vor allem Letzteres. Als die Firma unaufhörlich auf die Insolvenz zusteuert, arbeitet er Tag und Nacht, um die Pleite abzuwenden – vergeblich. Der Alkohol ist inzwischen zum täglichen Begleiter geworden. Klaus R. trinkt, um zu funktionieren. Tut er es nicht, ist er unkonzentriert, zittert, schwitzt. Der Mann, dem das Lernen immer leicht fiel, der sich früh von den Eltern emanzipierte und unter Bekannten vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich als hochintelligent gilt, verliert die Kontrolle über sich selbst.

Von außen bekommt der 61-Jährige "schleppende Signale" auf sein Problem, das er zu dem Zeitpunkt noch gar nicht als solches wahrnimmt. Freunde und Bekannte sagen: "Dein Trinkverhalten ist abnormal." R. reagiert trotzig, blockt ab, wechselt sogar den Freundeskreis. Nur sein Bruder und seine langjährige Lebensgefährtin, mit der er bis heute liiert ist, halten zu ihm, versuchen zu helfen.

Es macht "klick", als der Führerschein weg ist

Doch erst ein Schlüsselerlebnis führt ihm vor Augen, dass es so nicht mehr weitergehen kann: Als R., der früher viel Sport trieb und auch ausgebildeter Skilehrer ist, eines Tages im Jahr 1990 auf der Skipiste ohne Vorwarnung aus dem Stand heraus stürzt und sich eine schwere Knieverletzung zuzieht, merkt er, dass etwas nicht in Ordnung ist. Doch es dauert weitere acht Jahre, bis es "klick" macht: R. wird betrunken am Steuer erwischt und verliert den Führerschein. Erst dann macht er die erste Entgiftung.

"Die Suchttherapie ist mit einer Staumauer vergleichbar", erläutert der 61-Jährige, der inzwischen eine Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke in Schwenningen leitet. "Die Konstruktion ist fragil, denn die Sucht, also der Fluss, muss umgeleitet werden, während die Staumauer sich im Bau befindet. Der kleinste Riss genügt, um sie zum Einsturz zu bringen – und dann kommt es zur Sturzflut." Der Riss, das kann schon eine Kleinigkeit sein: eine Zurückweisung, ein Misserfolg, ein falsches Wort.

Klaus R. erlebt viele solcher Einstürze. Neun Jahre, drei Langzeittherapien und 26 Entgiftungen dauert es, bis er stabilisiert ist. "Ich galt lange Zeit als unheilbarer Fall", gibt er zu. Heute hat er keine Angst mehr vor einem Rückfall, meidet den Alkohol jedoch konsequent. Das bedeutet: keine Weißweinsoße, keine Schnapspralinen, kein Christstollen mit im Alkohol eingelegten Rosinen.

In der Selbsthilfegruppe, die Klaus R. leitet, wird nur selten über die Krankheit an sich gesprochen. "Wir versuchen, uns gegenseitig Hilfestellung, vor allem im Alltag, zu geben", sagt er. Denn da, wo der Tagesablauf noch bis vor Kurzem vom Trinkrhythmus bestimmt wurde, gilt es, Regeln aufzustellen für ein normales Leben. "Es gibt zwei Arten von Trockenheit: die normale und die zufriedene", erläutert R. Zufrieden bedeutet: Man hat eine Alternative zum Trinken gefunden. Bei Klaus R. ist es die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, der er fast seine gesamte Zeit widmet – Tag für Tag, Woche für Woche. Darüber hinaus, sagt er, sei die Regelmäßigkeit der Zusammenkünfte wichtig. Denn: "Man muss immer wieder daran erinnert werden, dass man krank ist."

Weitere Informationen: Alkoholkranke finden Hilfe bei der Suchtberatung des Baden-Württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation (bwlv). Dieser betreibt auch eine Fachstelle Sucht im Schwarzwald-Baar-Kreis und hat Außenstellen sowohl in Villingen als auch in Schwenningen. Infos und Hilfe unter www.bw-lv.de, per Mail an fs-sbk@bw-lv.de und unter Telefon 07721/878 64 60.