Neulinge sind in der Selbsthilfegruppe für Menschen mit urologischen Krebserkrankungen willkommen: Das versichern Klaus ­Leberecht, Regina Büntjen, Dieter Bammertz, Ottokar Schütz und Thomas Schlenker (von links). Foto: Gesundheitsamt/Landratsamt Foto: Schwarzwälder-Bote

Treffpunkt: Gruppe für Menschen mit urologischen Krebserkrankungen macht Mut / Interdisziplinäres Netzwerk

Die Selbsthilfegruppe für Menschen mit urologischen Krebserkrankungen macht Mut, will den Patienten helfen, die Scham zu überwinden und neuen Lebensmut zu finden. Regelmäßig trifft sie sich im Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen.

VS-Villingen. Es ist ein Tabuthema, über das niemand gerne spricht, schon gar nicht Männer, obwohl es sie häufiger betrifft als Frauen: Eine urologische Krebserkrankung löst nicht nur Ängste aus, sondern auch Scham. Inkontinenz ist häufige Folge, bei Männern zudem der Verlust sexueller Potenz.

"Erfahrungs- und Informationsaustausch in geschütztem Rahmen ist ungemein wertvoll", sagt Ottokar Schütz, Leiter der Selbsthilfegruppe. Sie ermuntert insbesondere jüngere Männer zum zwanglosen Kontakt. "Wir wollen die Vorsorgefreudigkeit bei Männern erhöhen", nennt Thomas Schlenker ein Ziel der Selbsthilfegruppe, deren Gründungsmitglied er 1992 war. Er ist Oberarzt in der Urologie und weiß, wie gut die Therapiemöglichkeiten bei früher Diagnose sind. Und er weiß, dass Männer nach wie vor Vorsorgemuffel sind, während sich Frauen meist regelmäßig gynäkologisch untersuchen lassen.

Der Fachmediziner ist ein erfahrener Operateur, der alle Stadien des gefürchteten Prostata-Karzinoms kennt. Je kleiner es ist, desto leichter lässt es sich entfernen, ohne benachbarte Organe zu beschädigen. Meist sind die Patienten im Senioren-Alter, Prostata-Krebs werde aber immer häufiger auch bei 45-Jährigen diagnostiziert. "Man entdeckt heute vieles, was früher nicht entdeckt wurde." Voraussetzung ist freilich, dass sich die Männer regelmäßig kontrollieren lassen. "In jüngeren Jahren halten sich die meisten für unverletzlich und sind umso schockierter, wenn sich in ihrem Körper bösartige Zellen breit machen." Seltener als Prostata- sind Hoden- und Blasenkrebs; auch diese Erkrankungen seien bei früher Erkennung gut behandelbar.

Vorsorge ist das eine elementare Thema, Nachsorge das andere. "Erst nach der OP und nach der Reha fällst du in ein tiefes Loch", beschreibt Dieter Bammertz, zweiter Vorsitzender der Selbsthilfegruppe, eine gemeinsame Erfahrung, Inkontinenz und erektile Disfunktion sind zwar keine zwingenden, aber häufige Folgen der Krebsbekämpfung. Beide Symptome können wieder verschwinden – oder auch nicht. Die fehlende Potenz sei eine Kränkung der Männlichkeit, aber noch eher erträglich als die Inkontinenz. "Du bist nicht mehr gesellschaftsfähig." Wenn Männer ihren Penis sexuell nicht mehr wie gewohnt einsetzen können und obendrein den Einfluss auf ihre Blase verlieren, gerät das komplette Leben aus den Fugen. Auch ihre Frauen leiden mit, weshalb sie bei den Treffen willkommen sind.

"Allein hätte ich es nicht geschafft", bekennt Klaus Leberecht und skizziert seinen Behandlungsmarathon mit Operation, Bestrahlung und Spritzentherapie mit Hormonblockern. Der 72-Jährige schildert sie als medikamentöse Kastration, die zur Verweiblichung geführt habe. Zum Glück sei seine Partnerin verständnisvoll, andere Ehen zerbrächen. Der offene Austausch in der Gruppe sei ein Segen, was Ottokar Schütz unterstreicht. "Du kannst dir deine Ängste und Verzweiflung von der Seele reden."

Vor allem müssten die Betroffenen lernen, mit unabänderlichen Einschränkungen klar zu kommen und sich nicht von der Erkrankung beherrschen zu lassen. "Das Mechanische funktioniert nicht mehr richtig, das muss man akzeptieren", konstatiert der promovierte Physiker.

Besonders quälend sei die Inkontinenz, die zur sozialen Isolation führen könne. "Die Leute trauen sich nicht mehr aus dem Haus." Dabei gebe es Einlagen als Hilfsmittel, auch regelmäßige Beckenbodengymnastik habe sich bewährt. Die Gruppe trifft sich jeden Dienstag in einem Villinger Fitnessstudio und trainiert unter fachlicher Anleitung Bewegungsabläufe für alle Gelenke. Auch regelmäßige Wanderungen stehen auf dem Programm. Da ergeben sich zwanglose Gespräche, und das Vertrauen untereinander festigt sich.

Großen Wert legt das erweiterte Vorstandsteam bei seiner Jahresplanung auf Fortbildung und interdisziplinäre Vernetzung. Die Mitglieder der Selbsthilfegruppe besuchen Fachvorträge und Patiententage, bei individuellen Problemen stehen Schlenker und weitere Experten vom Klinikum unkompliziert zur Verfügung. Zum Netzwerk gehört selbstverständlich auch das Inkontinenzzentrum mit seinem niederschwelligen Beratungsangebot. "Man muss sich umorientieren und neue Alltagsstrukturen schaffen. Dann stellt sich auch wieder Lebensqualität ein", versichern die Schicksalsgenossen.

Einig sind sie sich darin, dass die Gesellschaft sensibler werden sollte für die Bedürfnisse all jener, die aus verschiedenen Gründen ungewöhnlich oft ein Klo aufsuchen müssen. Es mangele in Villingen-Schwenningen und in vielen weiteren Gemeinden nicht nur an öffentlichen, barrierefreien Toiletten, sondern auch an Behältnissen zur Entsorgung von Einlagen. Schon dieses Manko hindere viele Blasen- und Prostatakranke am Einkaufsbummel oder am Konzertbesuch. "Sie werden unbewusst und unnötigerweise ausgegrenzt."

Die Selbsthilfegruppe für Menschen mit urologischen Krebserkrankungen und deren Angehörige trifft sich in der Regel an jedem vierten Montag im Monat um 19 Uhr im Baden-Württemberg-Saal im Schwarzwald-Baar-Klinikum Villingen-Schwenningen. Die Gruppe ist offen für alle Interessierten, die Teilnahme ist unverbindlich und kostenfrei. Willkommen sind auch Neulinge, die Lust haben, sich mit eigenen Impulsen an der VeranstaItungsplanung zu beteiligen. Im Mai steht eine Wanderung auf dem Programm. Das nächste Gesprächstreffen ist am 27. Juni. Auskünfte erteilen Ottokar Schütz, Telefon 07720/ 6 52 93 und E-Mail info@shg-uro-SBH.de, sowie Regina Büntjen vom Gesundheitsamt im Landratsamt, Telefon 07721/9 13 71 93 und E-Mail R.Buentjen@lrasbk.de).