Notfallhilfe oder Freiheitsberaubung? Mit diesem acht auf vier Zentimeter großen GPS-Gerät sollen verirrte Demenz-Patienten wiedergefunden werden. Im Schwenninger AWO-Seniorenzentrum sind zwei Bewohner mit dem Sender ausgestattet. Foto: Schreijäg

Gerät soll weggelaufene Patienten ausfindig machen. Ortung von Altenheim-Bewohnern ist aber umstritten.

Villingen-Schwenningen - Wenn Demenz-Patienten unbemerkt Klinik oder Pflegeheim verlassen, zählt jede Minute. Seit einiger Zeit sind spezielle GPS-Geräte auf dem Markt, die es erlauben, die Kranken innerhalb kurzer Zeit zu orten. Doch die Geräte sind nicht unumstritten.

In heller Aufruhr ist am Montag, 9. Juni, das Personal des Schwarzwald-Baar-Klinikums. Hubschrauber kreisen über der Doppelstadt, Suchtrupps mit Polizeihunden durchkämmen das Klinikgelände, sogar das THW ist im Einsatz. Grund: Ein dementer 77-Jähriger wurde nachmittags gegen 13 Uhr als vermisst gemeldet. Erst gegen 18.30 Uhr wird der Mann im Villinger Kurgebiet aufgefunden, glücklicherweise unverletzt und trotz der drückenden Hitze in recht guter Verfassung.

Immer wieder kommt es vor, dass demente Menschen sich bei einem Spaziergang verlaufen und anschließend hilflos umherirren. Um das Risiko eines Unglücks in einem solchen Fall zu minimieren, wurde ein spezielles GPS-Gerät entwickelt, das – entweder in Form einer Armbanduhr oder am Gürtel befestigt – ein Alarmsignal an eine Zentrale sendet, sobald der Patient einen vorher einprogrammierten Sicherheitsradius verlassen hat. Das Klinikpersonal kann dann anhand der Koordinaten ermitteln, wo sich der Patient aufhält.

Das AWO-Seniorenzentrum in Schwenningen setzt seit geraumer Zeit auf ein solches Gerät; seit dem letzten Alarm sind bereits einige Monate vergangen. Laut Heimleiter Martin Hayer tragen derzeit zwei der insgesamt 112 Demenzpatienten ein GPS-Gerät am Gürtel. "Es handelt sich dabei um eine Zusatzleistung für die Angehörigen, die auch dafür aufkommen müssen, wobei zuvor eine kostenlose Probephase angeboten wird", erläutert Hayer. Das Gerät ist knapp 8 Zentimeter hoch und 4 Zentimeter breit. Die Größe werde vor allem durch den Akku bestimmt, der im Notfall mehrere Tage halte, so Hayer. Den Begriff "Freiheitsberaubung", wie einige Kritiker ihn verwenden, weist er entschieden zurück: "Unsere Bewohner können sich frei bewegen, wir haben keine Zäune um das Gebäude herum", stellt er klar, und fügt hinzu: "Das Gerät bringt zusätzliche Sicherheit, wenn auch keine hundertprozentige. Maximale Sicherheit ist immer auch eine Frage der Lebensqualität."

Hubert Kimmig, Direktor der Klinik für Neurologie am Schwarzwald-Baar-Klinikum, wo solche Geräte zumindest derzeit nicht eingesetzt werden, sieht das anders. Zwar könnten elektronische Systeme dabei helfen, den Patienten ausfindig zu machen, das Weglaufen könnten sie jedoch nicht verhindern. "In Einzelfällen könnte ein elektronisches Ortungsgerät die Sicherheit erhöhen, allerdings wird es unserer Meinung nach keinen eindeutigen Kriterienkatalog geben können, wer ein solches Gerät bekommen soll", so Kimmig. Und: "Bei bekannter starker Weglauftendenz muss ein Patient primär in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden." Dies sei die Strategie des Klinikums; dort würde den Kranken größtmögliche Aufmerksamkeit durch Fachpersonal zuteil. Allerdings sei eine ständige Kontrolle nicht möglich, weshalb Notfälle wie jener am 9. Juni leider passierten. Jedoch: "Dass ein Patient tatsächlich das Klinikum verlässt und draußen herumläuft, kommt selten vor, vielleicht ein- bis zweimal im Jahr", so Hubert Kimmig.

Was ist also besser – oder, anders gesehen, schlimmer: ständige Kontrolle, notfalls auch mit elektronischer "Fessel", oder die Unterbringung in geschlossenen Räumen mit beinahe permanenter Überwachung? Regina Büntjen vom Arbeitskreis Demenz beim Gesundheitsamt kann zwar noch nicht aus Erfahrung sprechen, meint aber, dass geschlossene Einrichtungen und permanente Überwachung freiheitsberaubend seien. "Niemand will überwacht werden oder unter ständiger Aufsicht leben müssen", so Büntjen. Man müsse auch die Rechte der Patienten respektieren, sagt Büntjen. "Durch die GPS-Geräte bleibt der Patient freier, wenn er sich verlaufen sollte, kann man ihn jederzeit orten, ohne ihn vorher eingesperrt haben zu müssen." Alternativ, so Büntjen, gebe es die altmodische Variante: Adresse und Wohnort können in die Kleidung eingenäht oder Nachbarn gebeten werden, ein Auge auf betroffene Personen zu werfen.

Info: Demenz

Bei Demenz handelt es sich um eine Erkrankung des Gehirns, die die Funktionen von Gedächtnis, Motorik, Sprache und Denkvermögen beeinflusst. Patienten, bei denen die Krankheit bereits fortgeschritten ist, erkennen häufig nicht einmal eigene Familienmitgliedeer wieder und können einfachste Alltagaufgaben nicht mehr verrichten. Häufig benötigen sie deshalb eine spezielle Betreuung und sind hilflos, sobald sie sich alleine in ungewohnter Umgebung wiederfinden. Deutschlandweit leiden etwa 1,2 Millionen Menschen an Demenz.