Historikerin Annemarie Conradt-Mach referiert über Schicksale von Schwenninger Fabrikarbeiterinnen

Von Mareike Bloss

VS-Schwenningen. Industriegeschichte in VS – ein Forschungsfeld, auf dem sich Annemarie Conradt-Mach gerne austobt. So hielt sie jüngst einen Vortrag über Schwenninger Industriearbeiterinnen zwischen 1850 und 1933, zu dem Stadtarchiv und VHS eingeladen hatten.

Normalerweise setze sie in ihren Forschungsarbeiten den Fokus gar nicht auf das weibliche Geschlecht, stellt die ehemalige Rektorin der Feintechnikschule klar. Doch da die Frau im Zeitalter der Industrialisierung eine ganz spezifische Rolle eingenommen habe, hat Conradt-Mach dieses Thema besonders gereizt.

Und so soll am Beispiel der Industriestadt Schwenningen stets unterstrichen werden, dass die Frauen unter "barbarischen Bedingungen" leben mussten – obwohl oder gerade weil die Anzahl der weiblichen Fabrikarbeitskräfte stetig nach oben schnellte. "Alle wollen in die Fabrik – so lautete stets das Motto. Die Frauen hofften auf einen höheren Verdienst und die goldene Freiheit", erzählt die promotivierte Historikerin.

Und macht gleichzeitig das Ausmaß der Frauen-Zuwächse deutlich: Für die Schwenninger Bauern habe es keine billigen Mägde mehr gegeben, und auch die Anzahl der Dienstmädchen hätte sich drastisch gesenkt. Wie mehrere authentische Pfarrer-Berichte demonstrieren sollen, reagierte besonders die württembergische Kirche auf die aufkommende Fabrikarbeit negativ und sah darin den Niedergang der Tugend sowie die gleichzeitige Förderung von unmoralischen Werten. Als "Trend in der Uhrenindustrie" bezeichnet die Referentin die stetige Entwicklung weg von der Facharbeit hin zu billigen Arbeitskräften, die durch die weiblichen Fabrikarbeiter hervorgerufen wurden. Nur etwa 60 Prozent des Männer-Lohns hätten die Frauen trotz elfstündigen Einsatzes und der Gefahren einer Fabrikarbeit verdient.

Die Emanzipation von elterlichen und gesellschaftlichen Zwängen auf der einen, die Entfremdung von der Familie und der Verlust des familiären Schutzes auf der anderen Seite: Conradt-Mach resümiert, dass die arbeitenden Frauen letztendlich zum Opfer der Industrialisierung wurden. "Die Industrialisierung zerstörte alle familiären Sicherungssysteme und löste die religiösen Zusammenhänge auf." Folglich spricht die Forscherin von einer "Trennung der Lebenswelten" innerhalb der Schwenninger Familie: Während der Ehemann in sozialistisch und politisch geprägten Vereinen seinen Interessen und Idealen nachging, fand die Ehefrau in katholischen Vereinen den Einfluss, der ihr bei ihrer Arbeit nicht zugetan war.

Schwenningen als Hochburg der Uhrenindustrie: Anhand einer Vielzahl von selbst aufgestellten Tabellen und Auswertungen zeigt "Statistikfreak" Conradt-Mach anschaulich die Entwicklung der Neckarstadt während der Industrialisierungsphase bis hin zur Zeit des Nationalsozialismus auf. Schwenninger Frauen- und Familienschicksale ergänzen ihren Vortrag, der leider nur wenige Zuhörer fand.