Landrat Sven Hinterseh schließt Unterbringung in Kreissporthalle nicht aus / Land soll Erstaufnahme ausbauen

Schwarzwald-Baar-Kreis.

Der Flüchtlingsstrom wird zu einer großen Herausforderung für den Landkreis. Landrat Sven Hinterseh ist bestrebt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in einer Kreissporthalle vermieden wird.

Immer mehr Asylbewerber kommen in den Kreis. Die Landesregierung will jetzt die Aufnahmekapazität für Flüchtlinge noch erhöhen. Inwiefern wird sich das auf den Kreis auswirken?

Das Thema Asyl beschäftigt uns bereits seit dem vergangenen Jahr intensiv und bindet unsere Arbeitskraft, unter anderem auch meine. Derzeit leben über 2000 Flüchtlinge im Schwarzwald-Baar-Kreis, alleine über 800 in den Gemeinschaftsunterkünften in Villingen-Schwenningen, Unterkirnach, St. Georgen und Donaueschingen. Die Zuständigkeit für die Unterbringung ist dreistufig organisiert. In der ersten Stufe werden die Flüchtlinge in den Erstaufnahmestellen des Landes Baden-Württemberg in Karlsruhe, Meßstetten und Ellwangen aufgenommen. In Planung sind weitere Landeserstaufnahmestellen, sogenannte LEAs in Schwäbisch Hall, Mannheim und Freiburg. Die zweite Stufe sieht die vorläufige Unterbringung der Flüchtlinge durch die 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg in so genannten Gemeinschaftsunterkünften vor. Nach 18 bis 24 Monaten kommen die Flüchtlinge in die Anschlussunterbringung in eine Unterkunft der Kreisgemeinden. Die Kapazitäten der Landeserstaufnahmestellen liegen derzeit bei 9000 Plätzen. Das Land Baden-Württemberg beabsichtigt, die Landeserstaufnahmestellen auf eine Kapazität in Höhe von 20 000 Plätzen zu erhöhen. Die Plätze in den Landeseerstaufnahmestellen waren bereits in der Vergangenheit nicht ausreichend. Aus diesem Grund wurde in Villingen-Schwenningen die Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) durch das Land Baden-Württemberg kurz vor Fasnacht bis Ende April eingerichtet. Kurzfristig musste diese jetzt wieder reaktiviert werden. Über 300 Flüchtlinge sind dort untergebracht. Mitten in einem Wohngebiet ist das natürlich alles andere als optimal. Dann hat das Land nun auch noch auf Bundesimmobilien in Donaueschingen zugegriffen, auch dies ist eine enorme Belastung für die Bürger. Ich fordere das Land auf, dass es schnellstmöglich die regulären Landeserstaufnahmestellen ausbaut, um die Bedarfsorientierten Erstaufnahmestellen in Villingen-Schwenningen und Donaueschingen rasch wieder schließen zu können. Der Landkreis leistet im Bereich der Flüchtlingsunterbringung Enormes und die Bedarfsorientierte Erstaufnahmestellen können daher keine Dauereinrichtung im Schwarzwald-Baar-Kreis werden. Im Übrigen berechnet sich die Aufnahmequote der Bundesländer nach dem Königssteiner Schlüssel. Nach diesem Berechnungsschlüssel muss das Land Baden-Württemberg 12,93 Prozent der Asylbewerber aufnehmen, die nach Deutschland kommen. Für dieses Jahr geht der Bundesinnenminister von 450 000 Flüchtlingen in Deutschland aus, im nächsten Jahr seien sogar über 600 000 zu erwarten. Die Aufnahmequote des Schwarzwald-Baar-Kreises liegt bei 2,11 Prozent derjenigen Flüchtlinge, die Baden-Württemberg aufzunehmen hat. 2,11 Prozent entsprachen bisher 80 bis 90 Personen im Monat, die durch den Landkreis untergebracht werden mussten. Im Monat Juli waren es erstmals 150 Personen, im August werden uns über 160 Flüchtlinge zugewiesen. Das ist fast das Doppelte der ursprünglichen Anzahl. Für uns ist eine menschenwürdige Unterbringung fast nicht mehr zu realisieren.

Wie viele Personen muss der Kreis denn wie lange aufnehmen?

Die Flüchtlinge sind längstens 24 Monate in unseren Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, danach erfolgt die Anschlussunterbringung in den Städten und Gemeinden des Landkreises.

Für die Städte und Gemeinden ist es sicher auch nicht einfach, Anschlussunterkünfte zu finden?

Ja, so ist es absolut. Ich weiß von vielen Oberbürgermeistern und Bürgermeistern, dass sie auch große Anstrengungen unternehmen, um Wohnraum zu finden.

Wie viele Asylbewerber leben momentan im Kreis?

Wie gesagt, derzeit über 2000 Flüchtlinge, um die 500 in den beiden Bedarfsorientierten Erstaufnahmestellen in VS und Donaueschingen, über 800 in unseren Gemeinschaftsunterkünften und 700 in den Anschlussunterkünften der Städte und Gemeinden des Kreises. Die Gemeinschaftsunterkünfte des Landkreises sind derzeit wie folgt belegt: die Obereschacher Straße beherbergt 133 und die Gebäude in der Erbsenlachen 207 Asylbewerber (beides VS-Villingen). In Maria Tann leben 87 Flüchtlinge, die Alleenstraße in Schwenningen ist mit 95, in St. Georgen sind 55 Personen und im Sternensaal Donaueschingen 62 Asylbewerber untergebracht. 173 Flüchtlinge wohnen im Gebäudekomplex am Donaueschinger Hindenburgring.

Welche weiteren Unterkünfte sind geplant?

Derzeit im Aufbau sind Gemeinschaftsunterkünfte, unter anderem in der Freiburger Straße in VS-Villingen. Diese Unterkunft soll schon bald bezogen werden. Außerdem wird im Herbst die Unterkunft Schubertstraße/Gewerbestraße bezugsfertig, ebenso wie die Unterkunft Villinger Straße, beide in VS-Schwenningen.

Reichen die Unterkünfte?

Nein, wir können nicht ausschließen, dass wir – sollten wir keine weiteren Unterkünfte finden - über den Winter eine Kreissporthalle für die Unterbringung von Asylbewerbern nutzen müssen. Im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald war dies schon der Fall, der Landkreis Tuttlingen plant wohl ähnliches. Wir suchen allerdings in allen Städten und Gemeinden im Kreis nach geeigneten Objekten. Immobilienbesitzer, die Gebäude anzubieten haben, dürfen sich gerne bei der Kreisverwaltung melden.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Ich bin dankbar, dass wir bislang eine sehr engagierte Bürgerschaft haben, die sich ehrenamtlich vielfältig einbringt. Allerdings darf dieses Engagement nicht überstrapaziert werden. Derzeit befinden wir uns in einer wirklich angespannten Situation. Die Herausforderungen sind noch größer geworden. Die Willkommenskultur in unserem Landkreis ist zwar herausragend, das Land darf uns aber auch nicht überfordern.

Woher kommen die Asylbewerber?

Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus Syrien. Die Westbalkan-Staaten kommen danach. Die Anerkennungsquote bei den Westbalkan-Staaten ist relativ gering. Zwei Drittel bekommen kein Bleiberecht in Deutschland. Und daher muss die Politik nun endlich reagieren und diese Menschen schneller wieder in ihre Herkunftsländer abschieben.

Brauchen wir nicht trotzdem Zuwanderung, obwohl viele aus wirtschaftlichen Gründen kommen

Wir sollten diese beiden Dinge Asyl und Zuwanderung nicht vermengen. Asyl ist keine geordnete Zuwanderung, sondern ein Grundrecht nach Artikel 16a des Grundgesetzes. Beim Asyl geht es darum, verfolgten Menschen Schutz zu gewähren. Bei einer geordneten Zuwanderung sollte es dagegen darum gehen, dass unser Land für sich definiert, wer die Möglichkeiten bekommen soll, hier zu arbeiten und zu leben. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um die aktuelle Situation in den Griff zu bekommen? Es müsste sofort eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas geben. Das Grundrecht für Asyl ist meines Erachtens nicht das Problem. Schauen Sie sich doch die Anerkennungsquoten an: Bei der Bevölkerungsgruppe aus den Westbalkan-Staaten sind diese schwindend gering. Beim Kosovo liegt die Anerkennung für Asyl bei 0,3 Prozent. Hier muss man unbedingt gegensteuern. Wir sollten diese Bevölkerungsgruppe gar nicht erst auf die Stadt- und Landkreise verteilen müssen. Das würde eine Entspannung bringen.

Wie viel Platz haben die einzelnen Asylbewerber in den Unterkünften. Es gab ja eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben?

Die Vorgabe lautete: statt viereinhalb Quadratmeter sieben Quadratmeter Wohnraum. Diese Vorgabe wurde nun für zwei Jahre ausgesetzt und es bleibt also bei den viereinhalb Quadratmetern Wohnraum. Das führt dazu, dass wir nun wieder etwas mehr Asylbewerber in unseren Einrichtungen unterbringen können. Wir bewegen uns im Bereich zwischen viereinhalb und sieben Quadratmeter pro Asylbewerber. Beispielsweise könnten in der Obereschacher Straße statt 104 Personen (bei sieben Quadratmetern) 150 untergebracht werden (viereinhalb Quadratmeter). Diese Unterkunft ist mit 133 Personen belegt.

Es gab schon einmal eine Flüchtlingswelle in den 1990-er Jahren. Was ist der Unterschied?

Dort hatten wir eine dreifache Herausforderung. Es gab eine Vielzahl an Asylbewerber, viele Aussiedler aus osteuropäischen Staaten kamen zu uns und es gab in Folge der deutschen Wiedervereinigung innerdeutsche Wanderbewegungen. Derzeit bewegen wir uns bald wieder auf diesem mengenmäßigen Niveau. Im Asylbereich gab es damals aber im Jahr 1993 den großen Asylkompromiss und eine Verschärfung der grundgesetzlichen Regelung und in der Folge dann ein starker Rückgang der Zahlen. Leider ist eine solche Reduzierung der Zahlen derzeit nicht in Sicht. u Die Fragen stellte Felicitas Schück.