Damals noch siegessicher: Peter Ziegler (links) und Christoph Hess beim Börsengang im Oktober 2012. Foto: Hess AG

Bilanzskandal: Landgericht Konstanz fällt Entscheidung mit Signalwirkung. Großaktionär gelingt Millionenklage.

Villingen-Schwenningen/Konstanz - Eine strafrechtliche Aufarbeitung des Bilanzskandals bei dem Leuchtenhersteller Hess AG aus Villingen-Schwenningen steht noch aus. Zivilrechtlich aber fiel nun ein beachtliches Urteil: Die geschassten Vorstände wurden zu Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe verurteilt.

Den großen Knall gab es im Januar 2013. Das Unternehmen, ein mittelständisches Aushängeschild der Lichtbranche, war seit Oktober 2012 börsennotiert. 35 Millionen Euro spülte der Gang an die Börse in die Kassen des Unternehmens, doch dort sollte es nicht lange bleiben. Wegen des Verdachts der Bilanzmanipulation wurden die Vorstände Christoph Hess und Peter Ziegler fristlos rausgeworfen – von Scheinrechnungen und geschönten Bilanzen war später die Rede. Am Tag X im Januar 2013 folgte eine Ad-hoc-Mitteilung der Aktiengesellschaft und schließlich der freie Fall der Hess-Aktie an der Börse und die Insolvenz der AG.

Der Schock saß tief zwischen Schwarzwald und Baar – man war stolz gewesen auf das mittelständische Vorzeigeunternehmen, das es bis an die Börse geschafft hatte. Die Gründerfamilie Hess, zu der auch der nun geschasste Vorstand Christoph Hess zählt, bewegte sich ganz oben auf dem gesellschaftlichen Parkett in der Baden-Württemberg-Stadt. Mit Hess zeigte man sich gern. Und nun das...

Es stapeln sich Forderungen von über 100 Millionen Euro

Anleger hatten ihren Invest verloren – bei Insolvenzverwalter Volker Grub stapelten sich Forderungen vieler Gläubiger in Höhe von insgesamt über 100 Millionen Euro. Ein Aktionär sah sich besonders betroffen: die niederländische Holland Private Equity (HPE), deren Chef Tim Van Delden Aufsichtsratsvorsitzender der Hess AG war. Mit 20,54 Prozent Anteil neben der Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG (39,9 Prozent) war das niederländische Unternehmen einer der größten Anteilseigner, der Rest der Aktien war in Streubesitz. In drei Tranchen kaufte HPE Aktien, bezüglich der zweiten und dritten Tranche gab das Gericht der Klage von HPE, getäuscht worden zu sein, nun Recht.

Rückblickend sieht sich HPE unter falschen Voraussetzungen zum Kauf der Aktien verleitet. HPE zog gegen die Ex-Chefs bei Hess – den Spross der Unternehmerfamilie Hess, Christoph Hess, und den ehemaligen Finanzvorstand Peter Ziegler – vor Gericht. Mit Erfolg: Die zweite Zivilkammer des Landgerichts Konstanz unter dem Vorsitzenden Richter Hans Störzbach folgte dieser Ansicht: "Hätte die Klägerin die Manipulationen der Bilanzen durch die Beklagten gekannt, hätte diese keine weiteren Aktien erworben", heißt es in der Begründung zum Urteil.

Dieses erging am 3. Juni und liegt unserer Zeitung vor. Zwei Millionen Euro Schadensersatz müssen die der Bilanzmanipulation beschuldigten Christoph Hess und Peter Ziegler nun an HPE bezahlen – zuzüglich fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20. Mai 2014.

Von Unwissenheit oder gar einem Versehen der Hess-Chefs geht das Gericht nicht aus: "Die Beklagten handelten auch vorsätzlich. Ihnen war bewusst, dass sie, indem sie Rechnungen lediglich zum Schein erstellten beziehungsweise erstellen ließen, was zu einer erheblichen Erhöhung der Umsatzzahlen der Hess AG führte, einen Irrtum bei der Klägerin hervorgerufen haben", ist im Urteil zu lesen. Einem "Rechtsirrtum" seien sie auch nicht aufgesessen, ihnen sei "zweifellos" bekannt gewesen, "dass es nicht zulässig ist, Rechnungen nur zum Schein zu erstellen". Und dass genau das unter anderem passiert sein soll, davon ist das Landgericht Konstanz inzwischen offenbar überzeugt.

E-Mail-Korrespondenz der Chefs liefert wichtige Informationen

Ausführlich nimmt in der Niederschrift zum Urteil der mutmaßliche Tathergang Formen an. Immer wieder ist zu lesen, wie in dem unübersichtlichen Konstrukt der Hess AG aus mehreren kleineren Firmen Rechnungen hin und hergeschoben wurden. Im Zuge der Ermittlungen waren auch Computer der Chefs beschlagnahmt worden. Man gelangte an E-Mail-Korrespondenzen, unter anderem zwischen Hess und Ziegler. Am 26. Januar 2012 beispielsweise soll Peter Ziegler seinem Vorstandskollegen geschrieben haben: "Wir haben dieses Jahr im Moment ein Ergebnis von 1,3 brutto nach Eingriffen" – das Wort "Eingriffen" ist in der Akte gefettet. An anderer Stelle wird "der fiktive Charakter der in den Scheinrechnungen dargestellten Vorgänge" für das Gericht deutlich, indem Ziegler im Dezember 2011 in einer Mail an einen ehemaligen Controller Umsätze als "technische Umsätze" bezeichnet. Und im November und Dezember 2011, also in der Vorbereitung des Börsengangs, soll Ziegler von einem Vertriebsmitarbeiter verlangt haben, quasi in einem Zug einen Auftrag einzubuchen und eine dazugehörige Rechnung zu stellen – wobei normalerweise zwischen beiden Vorgängen doch üblicherweise einige Zeit gelegen habe.

Immer wieder werfen solche Zeugenaussagen ebenso Fragen auf wie angeblich verkaufte Entwicklungsleistungen, für die bis heute keine Unterlagen gefunden wurden.

Das Urteil hat Signalwirkung. Trotz Anklage durch die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim im Oktober gegen die Ex-Vorstände sowie fünf weitere mutmaßlich Beteiligte, steht die Eröffnung eines Strafverfahrens noch aus. Für Hess und Ziegler lautet die Anklage auf Untreue in besonders schwerem Fall sowie auf Verdacht der unrichtigen Darstellung nach dem Handelsgesetzbuch beziehungsweise Aktiengesetz nebst Verletzung der Buchführungspflicht, des Kapitalanlagebetruges mit vorsätzlicher Marktmanipulation und des Kreditbetruges. Dem Gericht in Mannheim kamen zwei Haftsachen dazwischen, die vorrangig zu verhandeln sind. Hess muss warten.

Einer von mehreren Nebenschauplätzen in Sachen Hess ist das Landgericht Konstanz. Doch dort war der Großaktionär HPE bislang nicht sonderlich erfolgreich. Vielfach waren es formale Gründe, teilweise aber auch Einlassungen, wonach Hess und Ziegler kein schuldhaftes Handeln nachgewiesen werden könnte. Rechtsanwalt Christoph Kleiner, dessen Kanzlei Peter Ziegler vertritt, will das Urteil vom 3. Juni nicht hinnehmen: "Wir prüfen ernsthaft, in Berufung zu gehen", sagte er unserer Zeitung.

Mit der jüngsten Entscheidung kam zum ersten Mal ein Gericht zu dem Urteil, dass die beiden Vorstände einen Betrug zum Nachteil von HPE begangen haben, indem sie den Jahresabschluss der Hess AG zum 31. Dezember 2011 manipuliert und hierdurch einen Irrtum bei HPE erzeugt haben. Ein Irrtum, der den Großaktionär einer mittelständischen "Licht-Gestalt" am Ende teuer zu stehen kam.