Der "Berliner Zigiener" Jörg Weisbrod hält sein Buch über Kindheitserinnerungen in Berlin und vor allem in Schwenningen in der Hand. Foto: Regina Heilig Foto: Schwarzwälder-Bote

Jörg Weisbrod veröffentlicht sein Buch über Kindheit und Jugend / Erlebnisse eines "Berliner Zigieners"

Von Sabine Streck

VS-Schwenningen. Jörg Weisbrod, vielen Schwenningern bekannt aus seiner Zeit als Vorsitzender des Heimatvereins, hat sein zweites Buch veröffentlicht.

2009 hat er seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg niedergeschrieben, jetzt im "Berliner – Zigiener" Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugendzeit. Weisbrod, der schon fast 15 Jahre in Offenburg lebt, hat die Verbindung nach Schwenningen, wo der Berliner Junge aufgewachsen ist, nie abbrechen lassen. Der beste Beweis dafür, dass auch die Schwenninger mit dem Namen Weisbrod noch etwas anfangen können, ist der gute Verkauf seines Buches. Bereits kurz nach Erscheinen war die erste Auflage von 200 Stück vergriffen, eine zweite folgte.

In dem 162 Seiten starken Werk schildert Weisbrod seine Erlebnisse im württembergischen Schwenningen, der Heimatstadt seines Vaters. Ende des Zweiten Weltkrieges kam Jörg Weisbrod mit seiner Mutter und den beiden jüngeren Brüdern von der Reichshauptstadt ins beschauliche Schwenningen. Der Vater war zu dieser Zeit im Krieg.

"Es soll nicht nur meine Geschichte sein, sondern ein Zeitdokument von 1943 bis 1956", beschreibt Weisbrod seine Intention. Es ist ein sehr persönliches Werk, das die Geschichte eines kleinen Jungen in einer schweren Zeit erzählt, die Schrecken des Krieges ganz plastisch macht und andererseits von der Unbeschwertheit der Kinder- und Jugendzeit berichtet. Die vielen Fotos aus dem Familienalbum und Bilder vom alten Schwenningen geben lebendige Eindrücke in eine vergangene Zeit.

"Unsere erste Unterkunft war im Elternhaus meines Vaters, in der Wohnung seiner Schwester, im zweiten Stock einer Doppelhaushälfte. Es war eine Katastrophe, weil die Wohnung ohnehin schon klein war. Ich war in einer Großstadt aufgewachsen, und so kam mir am Anfang alles wie ein großes Abenteuer vor. Als Erstes fiel mir die komische Toilette auf, ein kleiner Raum, der sogenannte Abort...In unserer Berliner Wohnung hatten wir ein schönes helles Klosett mit dem Spülkasten an der Decke und einem Waschbecken daneben", schreibt Weisbrod.

Aber nicht nur die veränderten Lebensumstände, auch die Sprache und das ungewohnte Essen machten dem Jungen mit der Berliner Schnauze anfangs zu schaffen. Mit Schaudern habe er das ungewürzte Essen bei den Großeltern zu sich genommen. "Da gab es Rotkohl, der ebenso wie das Bayrischkraut mit Apfelmost abgelöscht wurde; außerdem ein fades, lasches Kohlrabigemüse, das ohne Soße und Geschmack mit verkochten Kartoffeln auf den Tisch kam."

Im Frühjahr 1944 wurde Jörg Weisbrod eingeschult – in die Gartenschule. Wegen seines fremden Dialektes wurde der Schulweg für ihn zum Martyrium. "Meine Berliner Schnauze war der Anlass dafür, dass ich beinahe jeden Tag von einigen Schülern Schläge bekam." Noch heute höre er die Rufe der einheimischen Schulkinder: "Berliner – Zigiener, Berliner – Zigiener".

Der Leser erfährt auch etwas über die Lebensmittelrationierung 1945 und den Bombenangriff auf das Schwenninger Bahnhofsgelände. "Am 22. Februar waren wir fünf nach dem Essen durch unerwarteten Fliegeralarm aufgeschreckt worden und schnell in den Luftschutzbunker in der Karlschule gerannt. Kurz darauf krachte es, liiiiieeeeeeeeeewuwumm, wir kannten dieses Geräusch ja schon. Welle um Welle kamen die Angriffe, manchmal waren die Einschläge entfernter, doch oft direkt in der Nähe. Es wollte kein Ende nehmen, selbst die wuchtige Schule erzitterte bei jedem Einschlag."

Nach dem Krieg standen Hungerszeit, requirieren und organisieren im Vordergrund. Doch die Zeiten wurden Anfang der 50er-Jahre auch besser. Für Jörg Weisbrod und seine Freunde standen Seifenkisten-Rennen in der oberen Uhlandstraße hoch im Kurs. Seine Streifzüge mit den Spielkameraden gingen durch die ganze Stadt. Er erzählt vom Café Schlenker in der Alten Herdstraße und dem Kurzlebuur, Ernst Kurz, der in einem stattlichen Haus auf dem Alten Angel 17 gewohnt hatte, einem der ältesten bäuerlichen Viertel Schwenningens. Auch die Erinnerungen an den Tanzkurs und den Abschlussball im feinen Anzug fehlen bei seinen Erinnerungen nicht.