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Mobbing: Wenn der Alltag zur Qual wird / "In jeder Klasse sitzt ein Betroffener"

Von Eva-Maria Huber

Max und Marie kennen sich nicht, sie gehen auf unterschiedliche Schulen. Doch eines haben die beiden Schüler gemeinsam: Nicht nur der Gang zur Schule, sondern das ganze Leben ist zu einer einzigen Quälerei geworden.

Villingen-Schwenningen. Nennen wir sie einfach Marie und Max. Marie, die auf die Realschule geht, und Max, der in VS ein Gymnasium besucht. Marie, gerade mal 16 Jahre alt, hat den Fehler ihres Lebens gemacht und ihrem Freund ein Foto von sich gepostet, auf dem sie nur einen Slip anhat. Max dagegen kann es anstellen wie er es will, er wird zur täglichen Zielscheibe seiner Klassenkameraden.

Der Alptraum: Die Liebesbeziehung ist zu Ende, doch mit dem Aus fing die Geschichte um schlaflose Nächte und unendliche Scham erst an: Das pikante Foto von Marie kursierte nicht nur auf whatsapp, auch auf Facebook wurde es verbreitet. Wer das Mädchen so gesehen hat, wie viele sie so sahen? Sie weiß es nicht.

Was sie vielleicht auch nicht weiß: Sie ist keine Ausnahme. Jeder vierte Jugendliche kann bestätigen, dass solche intimen Bilder im Freundes- oder Bekanntenkreis verschickt wurden, laut der JM-Studie 2015 (Jugend, Information Multimedia).

Die Rolle der Schulen: Rainer Beha, geschäftsführender Rektor der Grund-, Haupt- und Realschulen, weiß um die Problematik: "Mobbing ist ein Thema an allen Schulen, wer anderes behauptet, ist nicht ganz ehrlich", bekräftigt der Leiter der Karl-Brachat-Realschule in Villingen. Schulen, so Beha, verfügen über diverse Möglichkeiten im Umgang mit Mobbing. "Doch gerade Cybermobbing ist schwer in Griff zu bekommen. Das spielt sich hauptsächlich im Privaten ab, wirkt aber bis in die Schule hinein."

Um so mehr begrüßt es der Rektor, dass der Gesamtelternbeirat VS erneut eine Veranstaltung zum Thema Mobbing anbietet (heute, Donnerstag, 19 Uhr, Gymnasium am Deutenberg (Nebengebäude Hallerhöhe, Anmeldung an grieshaber@kb-grieshaber.de, Stichwort: Mobbing. Michael Grieshaber, Gesamtelternbeiratsvorsitzender in VS, bekräftigt: "In fast jeder Klasse haben wir doch einen sitzen, der gemobbt wird."

Das Netz ohne Boden: Das Konfrontiertwerden mit kompromittierenden Bildern, die Scham, die seelischen Höllenqualen für die betroffenen Kinder, all das kann Michael Ilg sehr gut nachvollzehen. Ilg ist stellvertretender Leiter der Präventionsstelle im Polizeipräsidium Tuttlingen und kennt sich mit den Vorkommnissen Sexting, permanenten Beleidigungen oder Veletzungen über die sozialen Medien bestens aus. "Die Bühne ist unendlich groß", berichtet Ilg. Und ein Spielfeld für Gemeinheiten aller Art.

Der Außenseiter: Max, gerade mal 14 Jahre, steckt mitten in der Pubertät und würde sich am liebsten nur noch unter der Bettdecke verstecken. Egal, was er anhat, egal, welche Frisur er trägt, egal, welches Handy er aus der Hosentasche zieht: Es vergeht kein Tag, an dem ihm seine Schulkameraden nicht das Gefühl geben, dass er "so was von uncool ist". Er ist zum Außenseiter in der Klasse geworden, auf dem nach Belieben herumgehackt wird.

Die Folgen: Das Gefühl der Ohnmacht und der Ausgegrenztheit begleiten die Mobbing-Opfer jeden Tag. Die Folgen sind gravierend. Ein geringes Selbstwertgefühl, Isolation und Einsamkeit, Angst und Traurigkeit, Depression, Schlafstörungen, Ess-Störungen, psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen treten auf. Die Palette der Reaktionen ist groß. Die seelische Belastung kann schlimmstenfalls dazu führen, dass die Betroffenen in den Suizid getrieben werden

Das Opferprofil: Gibt es das "klassische", sich ständig wiederholende Piesacken und Beleidigungen denn noch, das sich auf Schulhöfen, in Klassenzimmern oder auf dem Nachhauseweg abspielt? Die "klassische Form des Mobbings" habe zwar etwas abgenommen, gehöre aber noch zum Alltag, beobachten Lehrer. Dagegen nehme Cybermobbing immer stärker zu, beobachtet Michael Ilg. Anders als beim Mobbing früherer Tage trifft es nicht verstärkt Schüler, die moppelig sind oder "uncoole Klamotten tragen". "Auch der coole Typ kann plötzlich zum Opfer werden", beobachtet Ilg. Mädchen wie Jungen, Werkrealschüler wie Gymnasiast.

Die Eltern: Wichtig ist es in den Augen von Michael Ilg, über Vorträge an Schulen Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren: "Bevor ich enter drücke, sollte jeder erst überlegen, was das für denjenigen bedeutet, den es trifft."

Die Eltern spielen bei der "Vorsorge" eine große Rolle. Statt zu sagen, "mein Kind macht doch so etwas nicht", sollten Väter und Mütter vor allem die Auswirkungen von Mobbing mit ihren Söhnen und Töchtern besprechen: "Das kann einiges bewirken."