Interview: Nadine Löw, Vorsitzende der Jusos im Schwarzwald-Baar-Kreis, über Hypes, Jungwähler und mögliche Koalitionen

Im zweiten Teil unserer Interview-Serie mit jungen Politikern aus der Region sprechen wir mit Nadine Löw, Kreisvorsitzende der Jusos, unter anderem über Wahlbeteiligung, den "Schulz-Effekt" und geplante Aktionen der Jusos im Wahlkampf.

Frau Löw, warum engagieren sie sich politisch?

Bei uns in der Familie war Politik schon immer ein Thema. Mein Onkel war für die CDU im Ortschaftsrat in Obereschach und im Gemienderat in Villingen-Schwenningen. Mein Vater ist schon lange Ortsvereinsvorsitzender bei der SPD, Gemeinderat und bei der diesjährigen Bundestagswahl zum zweiten Mal Bundestagskanditat für den Schwarzwald-Baar-Kreis. Wenn man in einer politischen Familie aufwächst, ist es ganz normal, dass man sich schon früh mit Politik beschäftigt. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich nicht mehr nur zuschauen und wählen gehen, sondern auch aktiv mitgestalten und beteiligen will.

Weshalb sind sie dem Vater in die SPD gefolgt und nicht in die CDU eingetreten?

Als ich das erste Mal wählen durfte, habe ich tatsächlich beide Parteiprogramme nebeneinander gelegt. Aber als Erzieherin war mir einfach die SPD näher. Bildungsthemen und soziale Themen wurden von der SPD einfach mehr bespielt als in der CDU, zumindest bis vor kurzem.

Der Wähleranteil bei den Jungen bewegt sich schon länger auf einem sehr niedrigen Niveau. Wo liegen ihrer Meinung nach die Gründe für diese Entwicklung?

Ich denke, dass mehrere Faktoren hierbei eine Rolle spielen. In vielen Familien spielt Politik keine große Rolle mehr. So sind die 30- bis 45-Jährigen, also die potenziellen Eltern derer, die hätten wählen können, auch nicht besonders zahlreich zur Wahl gegangen. Ich glaube schon, dass Politik etwas ist, dass man von der Pike auf lernen muss. Auch in der Schule kommt Politik zu Kurz. Man lernt zwar, wer vor 70 Jahren Bundespräsident oder der erste Kanzler war, aber die politischen Inhalte, um die es jetzt geht, oder welche Auswirkungen es hat, wenn ich wählen gehe oder eben nicht, wird im Unterricht eben nicht behandelt. Wenn von zuhause aus kein Anstoß dazu kommt, dann wird oft nicht klar warum man überhaupt wählen gehen sollte.

Es fehlt in den Schulen also der aktuelle Bezug?

Wenn man sich die Wahl zum Jugendgemeinderat in Villingen-Schwenningen anschaut, dann wurde zum Beispiel an meiner Berufsschule im Sozialkundeunterricht kein Wort darüber verloren, dass die Wahl überhaupt stattfindet, wer überhaupt gewählt werden kann oder dass man sich selbst hätte aufstellen lassen können. Ich glaube, vielen ist einfach nicht klar, was sie mit ihrer Stimme bewegen können oder was mit der Stimme passiert, wenn sie nicht zur Wahl gehen.

Haben sie bei den Jusos Mittel und Wege gefunden, wie man auf junge Menschen zugehen kann und sie vielleicht wieder vermehrt zum Wählen bewegen kann?

Wir versuchen ganz aktiv junge Wähler anzusprechen, zum Beispiel in den Fußgängerzonen. Außerdem hatten wir bei den letzten Wahlen auch immer so genannte "Erstwählerpartys", mit Bands, die für uns auf ihre Gage verzichtet haben. Diese Partys waren für uns eine Möglichkeit auf die Jugendlichen zuzugehen und sie dazu zu bewegen, vielleicht selbst bei uns einzutreten und selbst mitzugestalten. Wir wollen den Erstwählern damit zeigen, dass Politik nicht immer eingestaubt und trocken sein muss, sondern auch Spaß machen kann.

Der Hype um Martin Schulz fußt zu einem großen Teil auch auf Aktionen junger Menschen in diversen Foren und sozialen Netzwerken. Hat der Hype um den Kanzlerkandidaten auch dabei geholfen, wieder mehr Jugendliche anzusprechen?

Tatsächlich ist der "Schulzzug" auch im Schwarzwald-Baar-Kreis angekommen. Wir haben seit Januar acht Neueintritte bei den Jusos zu verzeichnen. Das sind genauso viel wie im gesamten letzten Jahr. Gemessen am Schwarzwald-Baar-Kreis ist das schon sehr deutlich. Als ich vor zwei Jahren als Kreisvorsitzende der Jusos angefangen habe, saßen wir noch zu dritt in den Sitzungen, was gerade für Wahlen ausgereicht hatte. Mittlerweile sind wir wieder eine Truppe von 18 Leuten, die wirklich Lust haben und etwas bewegen wollen.

Ist dieser viel zitierte "Schulz-Effekt", ähnlich anderen Hypes, nicht nur eine kurzlebige Modeerscheinung?

Ich glaube, dass nicht nur Martin Schulz Menschen bewegen kann, einfach wegen seiner glaubwürdigen Art, sondern dass Entwicklungen wie die Pegida-Bewegung oder die AfD auch dazu führen, dass viele Leute, auch junge, sagen: Ich will mich für die Demokratie engagieren und damit der Hetze von rechts ein Stück weit entgegentreten. Das machen die Menschen nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen Parteien. Bei den Jusos sehen wir, dass dieses Engagement auch wirklich nachhaltig ist. Viele, die erst im Januar eingetreten sind, haben bereits jetzt Funktionen in der SPD-Ortsgruppe übernommen. Wenn junge Leute merken, dass sie ernst genommen werden und dass sie etwas bewegen können, auch wenn sie erst 19 oder 20 Jahre alt sind, dann sind sie auch motiviert längerfristig sich zu engagieren. Wenn man aber nur im Hintergrund steht und gesagt bekommt: Du bist ja nur der Junge, warte mal bis du älter wirst, dann verliert man natürlich auch die Lust daran.

Der Wahlkampf nimmt langsam aber sicher an Fahrt auf. Welche Pläne hat man bei den Jusos, speziell im Schwarzwald-Baar-Kreis?

Konkrete Pläne haben wir noch nicht. Auch weil bislang noch keine Wahlkampfthemen feststehen – und das aus gutem Grund. Bei der letzten Bundestagswahl haben wir gemerkt, wenn wir relativ früh unsere Themen kundtun, haben, ohne Namen zu nennen, andere Parteien plötzlich ähnliche Ideen. Deshalb warten wir erst einmal ab. Sicherlich wird ein Thema die kostenfreie Bildung von der Kita bis ins Rentenalter sein. So müssten unserer Meinung nach etwa Fortbildungen kostenfrei sein. Außerdem kann es nicht sein, dass eine Mutter arbeiten geht, damit sie die Kita bezahlen kann, sondern die Kita sollte der Mutter ermöglichen, arbeiten zu gehen. Ein weiteres großes Thema wird die soziale Gerechtigkeit sein. Außerdem muss meiner Meinung nach die Rente für Menschen in meinem Alter ein ganz großes Thema sein.

Ein Vorschlag, wie man junge Wähler wieder an die Wahlurne bekommt, ist das Wahlalter herunter zu setzen. Jüngst hatte Ihr Bundesverband sogar die Idee, die Altersgrenze zum Wählen komplett abzuschaffen. Was halten Sie von solchen Vorstößen das Wahlalter betreffend?

Ich halte solche Ideen eher für wenig zielführend. Natürlich gibt es 16-Jährige, die sich für Politik interessieren und dann auch abstimmen können, weil sie über ein fundiertes Wissen verfügen. Ich glaube, dass es schon für Erwachsene schwierig ist, zu durchblicken, welche Ziele welche Partei verfolgt. Was erreiche ich wenn ich den oder den anderen wähle. Außerdem kann es für so junge Menschen zu einer gewissen Überforderung führen, wenn man ihnen sagt: Du hast jetzt diese Verantwortung. Zu erst müssen wir uns an unsere Wähler halten und schauen, dass wir die wieder an die Wahlurne bekommen und dann kann man auch eine hohe Wahlbeteiligung erreichen. Zu sagen, man setzt das Wahlalter herunter und die Wahlbeteiligung steigt automatisch, das ist einfach zu kurz gedacht.

Ihre ganz persönliche Prognose: Wie glauben Sie geht die Bundestagswahl aus?

Ich glaube fest daran, dass es einen Wechsel geben wird und ich bin überzeugt, dass wir einen Kanzler Schulz nach dieser Wahl haben werden. Außerdem, da ist vielleicht der Wunsch der Vater des Gedankens, glaube ich auch, dass wir einen zweiten Abgeordneten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis haben werden, der Jens Löw heißt. Ich glaube aber nicht nur, dass der Wechsel kommt, sondern, dass dieser auch unbedingt notwendig ist. Ich finde, zwölf Jahre Merkel mit ihren Aussagen, die keine sind, und mit ihren Abwarte- und Hinhaltetaktiken, sind wirklich genug.

Heißt dieser Wechsel unter Umständen nicht auch, dass man zusammen mit der Linkspartei regieren würde, der oft vorgeworfen wird, sie sei nicht regierungsfähig?

Martin Schulz hat ja bereits gesagt, dass er nichts von "Ausschließeritis" hält. Davon halte ich auch grundsätzlich nichts, weil man nichts von vornherein ausschließen kann. Man muss einfach den Wählerwillen abwarten und dann muss man sehen, welche Koalitionen möglich wären. Bei der Linkspartei muss man dann einfach sehen, wie sie auf mögliche Koalitionsverhandlungen reagieren, welche Inhalte mit wem machbar sind. Ich denke, keine Partei kann ihre Inhalte nach einer Wahl in einer Koalition zu 100 Prozent umsetzen. Koalition heißt immer Kompromisse eingehen. Das ist auch etwas, was für Wähler oft schwer zu akzeptieren ist. Bei der Bildung einer Koalition heißt es immer: Wo hat man die größte gemeinsame Schnittmenge und mit wem kann man sich vorstellen zu koalieren. Deshalb würde ich auch keine Partei, außer der AfD, als Koalitionspartner ausschließen. ■ Die Fragen stellte Christian Marull

Zur Person: Nadine Löw ist 30 Jahre alt und Juso-Kreisvorsitzende im Schwarzwald-Baar-Kreis. Derzeit macht sie eine Umschulung von der Erzieherin zur Kauffrau für Büromanagement.