Der Mann, der Hitler herausforderte, hieß Clemens Müller, der für seine Tat teuer bezahlen musste, als sein Kontrahent an der Macht war. Repros: Zimmermann Foto: Schwarzwälder-Bote

Historie: Im Jahre 1932 ist "Führertag" im roten Schwenningen / Viele Bürger sehen dies als Provokation – einer handelt

VS-Schwenningen (mz). Im Frühjahr 1932 streifte "ein Hauch der Weltgeschichte" die "größte Uhrenstadt der Welt": Vor 85 Jahren trat der Wahlkämpfer Adolf Hitler in einer riesigen Zeltstadt an der Rottweiler Straße vor zehntausenden Anhängern und Interessierten auf.

Er kam in eine Stadt, die sich des "Führertages" im "linken" Schwenningen, das als "rot" verschrieen und linksliberal geprägt war, als einer gezielten Provokation erinnert. Schon früh rückten die ersten auswärtigen Besucher an, heißt es damals in der Presse. Mit Autobussen, Lastkraftwagen, Personenwagen, Motorrädern und Fahrrädern stellten sie sich ein. Dazu kamen die Sonderzüge. Viele Straßen und die freien Plätze glichen wahren Heerlagern aller Art. Mit Ausnahme der Kommunisten, die zahlreiche Plakatträger, vielfach unter Gesang durch die stark belebten Straßen ziehen ließen, waren die übrigen Parteien nicht zu beobachten. Das Flugzeug, das Hitler von Essen nach Böblingen brachte, kreiste wiederholt über der Stadt.

Unvergessen sei die mutige Tat des Hitler gekonnt erzürnenden Clemens Müller, der sich während der Endphase des Ersten Weltkrieges politisiert hatte, zum Anhänger der Sozialdemokratie geworden war, sich aber in den unruhigen Jahren der Weimarer Republik radikalisierte – wie nicht wenige, die zu USPD und KPD wechselten. Als Adolf Hitler bei der Großkundgebung der NSDAP am 9. April 1932 zu sprechen begann, war er anfangs nicht zu hören; durchschnitten waren die Kabel zu den Lautsprechern. Statt dessen ertönte über sie die alte Hymne der Arbeiterbewegung mit ihrem Refrain: "Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!" Der Mann, der Hitler herausforderte, blieb seiner Gesinnung treu, überlebte die Konzentrationslagerhaft, als Hitler längst zum Schwenninger Ehrenbürger ernannt war, fand Verwendung bei der französischen Militärregierung, dann im Polizeidienst – bis Kommunisten und ihre Sympathisanten die Stelle verloren.

Die Ansicht, dass Hitler Krieg bedeute, war in Schwenningen bis weit ins linksliberal-(groß) bürgerliche Lager verbreitet. Nicht ohne Grund stand der Fabrikant Fritz Mauthe bei den Nazis als "Drachenhaupt des Liberalismus, dem das Genick gebrochen werden muss", auf der Abschussliste. Die Historikerin Annemarie Conradt-Mach vermerkt: "Obwohl die Besucher der Hitler-Kundgebung bis zu drei Mark Eintritt bezahlen mussten, waren solche Veranstaltungen mit ihrem Propagandaaufwand teure Unternehmungen, hinter denen ›reiche Gönner‘ stecken mussten. Die Veranstaltungen bewiesen eindeutig, wo die gesellschaftliche Macht lag." In Schwenningen waren solche "Gönner" freilich nicht zu finden. Allein dem erklärten Feind Mauthes, dem Papierfabrikanten Fritz Kiehn, der Trossingen zum Agitationszentrum der Nationalsozialisten in Württemberg gemacht hatte, ist der Auftritt des NSDAP-Führers in Schwenningen zu danken: Fritz Kiehn leitete die Versammlung, die er organisiert und zum Großteil finanziert hatte; von seiner SA-Kapelle ließ er sie musikalisch umrahmen.