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Porträt / Jörg Iwer verabschiedet sich mit letztem Konzert am 3. Oktober / Viele schöne Erinnerungen mit den Musikern des Sinfonieorchesters

"Die Bedingungen sind in all den Jahren nicht besser geworden". Jörg Iwer leitet mit achtjähriger Unterbrechung seit 20 Jahren das Sinfonieorchester der Stadt. Am 3. Oktober verabschiedet er sich mit einem von ihm zum Reformationsjubiläum komponierten Oratorium im Franziskaner.

Villingen-Schwenningen. Gerade ist er 60 Jahre alt geworden. Für den laut Wikipedia in Essen geborenen "deutschen Dirigenten, Komponisten und Arrangeur" offensichtlich eine Zäsur. Nach den Gründen seines Abschieds gefragt, nennt er zwei Gründe. Zum einen wolle er nicht mehr so viel arbeiten, "weil es mir auch nicht mehr so leicht fällt", zum anderen habe er "keine Lust mehr, um jeden Euro zu feilschen".

Honorare der Musiker nicht erhöht worden

Auch Villingen-Schwenningen ist für Iwer eine der Städte, "die nicht bereit sind anzuerkennen, dass kulturelle Leistungen einfach zu einem Gemeinwesen gehören". Und die kosten Geld. Seit Jahrzehnten seien die Honorare, auch der Musiker, nicht erhöht worden, bedauert Iwer. "Woanders bekomme ich das Drei- und Vierfache", macht er seinen Marktwert deutlich.

Der "hohe Stellenwert", den das Sinfonieorchester in seinem Leben stets eingenommen habe, sei der Grund, warum er dennoch insgesamt zwei Dekaden lang alle zwei Monate den weiten Weg von der zwischen Berlin und Leipzig liegenden Lutherstadt Wittenberg bis in den Schwarzwald-Baar-Kreis mit dem Zug überwand. "Das ist mir inzwischen zu anstrengend", gibt er im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten unumwunden zu, außerdem sei ihm die für eine Strecke fast achtstündige Fahrzeit zu unproduktiv.

Er will sein Leben umstrukturieren. Das große Haus in Wittenberg wird er verkaufen und in eine kleinere Wohnung nach Fürstenberg an der Havel ziehen. "Ich liebe die Natur, wandere, paddle und segle gerne".

Von 1977 bis 1984 studierte Jörg Iwer Chorleitung, Dirigieren und Komposition an der Folkwang-Hochschule für Musik in Essen und belegte 1983 einen Meisterkurs bei Kurt Masur. Es folgten Engagements an Theatern in Pforzheim, Detmold, Trier und Wittenberg. 1991 trat er in Villingen-Schwenningen die Nachfolge von Claus Oberle als Dirigent des Sinfonieorchesters an. 1998 wurde er zum Generalmusikdirektor ernannt.

Die Zusammenarbeit mit Villingen-Schwenningen beendete er 2001 zum ersten Mal, da er sich seinerzeit verstärkt um andere Projekte kümmern wollte. Nationale und internationale Gastspiele führten ihn zu zahlreichen deutschen Orchestern, auch in fast alle südeuropäischen Länder sowie nach Taiwan, USA, Singapur und Indien.

2009 kehrt er auf den Ruf von Christoph Hess als musikalischer und künstlerischer Leiter zum Sinfonieorchester zurück. Die Musiker wählten ihn damals mit großer Mehrheit, und auch das Publikum war erfreut, Iwer wieder am Dirigentenpult stehen zu sehen.

Jörg Iwer erarbeitete mit dem Orchester sechs Abokonzerte pro Jahr, inklusive zuvor je zwei Probenwochenenden. Dazu kamen etliche Engagements in der Region. Egal ob Kreuzgang-, Neujahrs-, Werkskonzerte, Opernbälle oder die Open-Air-Veranstaltungen im Spitalgarten – stets ausverkaufte Konzerte und ein begeistertes Publikum bestätigen jedes Mal die große Leistungsfähigkeit Iwers und der Musiker des Sinfonieorchesters.

Aufgeführt wird sein Oratorium Wittenberg

Doch jetzt soll endgültig Schluss sein. Mit dem von ihm komponierten Oratorium "Wittenberg 1517 – und hätte der Liebe nicht, so wäre nichts", das das Sinfonieorchester am 3. Oktober zusammen mit der Villinger Kantorei aufführt, setzt Jörg Iwer einen fulminanten Schlusspunkt unter sein Wirken in der Doppelstadt.

"Viele schöne Erlebnisse" mit den hiesigen Musikern werde ihm in Erinnerung bleiben, sagt er. Sein Publikum wird die Uraufführungen im Franziskaner-Konzerthaus nicht vergessen, unter etlichen anderen 1995 "Le Semenze", 2010 die Hymne zur Landesgartenschau und in diesem Jahr anlässlich der 1200-Jahrfeier der Stadt eine Festfanfare und eine Festouvertüre.

Er dirigiert das Filmorchester Babelsberg

Auch wenn Iwer der Doppelstadt nun den Rücken kehrt – langweilig wird es ihm sicherlich nicht. Er dirigiert das Filmorchester Babelsberg, ist in Europa und Asien auf Konzertreise. Er unterrichtet an der Filmuniversität "Konrad Wolff" und ist als Dirigent auch mit Gruppen und Einzelkünstlern aus den Bereichen Pop, Jazz und Rock im Rahmen von Filmmusikprojekten tätig. Er wolle künftig allerdings "Masse durch Klasse" ersetzen und sich seine Projekte gründlich aussuchen. Schon gebucht sei er für 2018 in China und Shanghai, verrät der Künstler.