Erinnerung: Gesprächsrunde zum Abschluss der Ausstellung über NS-Euthanasie im Landratsamt

Bei der letzten Veranstaltung im Begleitprogramm zur Ausstellung "NS-Euthanasie" wurde es im Landratsamt wieder ruhiger. Im Foyer bildete sich diesmal eine Gesprächsrunde, auch etliche jüngere Semester fanden sich in den Zuhörerreihen.

Schwarzwald-Baar-Kreis. Die Runde war interessant zusammengesetzt. Die Fragestellung oblag den doppelstädtischen St. Ursula-Schülerinnen Punita Müller und Hewen Ibrahim, diese hatten sich mit dem Geschichts- und Religionslehrer Heinrich Schidelko auf den Abend vorbereitet und zudem ein Plakat gefertigt.

Die deutsche Euthanasie des 20. Jahrhunderts aus Sicht der das Leben erst in Angriff nehmenden jungen Menschen – da konnten Überraschungen kaum ausbleiben. "Ein Mitschüler sagte: Wir gehören nicht mehr zu Nazi-Deutschland, Schluss jetzt damit! Tun wir uns schwer mit dem Thema Euthanasie?" Diese mit Zusatzinformation versehene Frage von Müller und Ibrahim machte im Foyer noch etwas nachdenklicher und lenkte kurz in eine andere Richtung, auf den einen oder anderen Senior mag das gar befremdend gewirkt haben.

In der facettenreichen Gesprächsrunde sollte auch der wachsende Abstand auf die zurückliegenden Irrwege thematisiert werden und aufgrund der nahezu täglichen Berichterstattung über den Nationalsozialismus durfte man sich durchaus auch einmal fragen, wie viel NS-Vergangenheit 16- oder 18-Jährigen zugemutet werden kann und soll. Viel ist zuzumuten, das ließ Hans Keusen als Mediziner und früherer Vorsitzender des Baarvereins durchblicken, man dürfe nicht aufhören an diese Perversion zu erinnern.

Keusen relativierte zudem den Begriff NS-Euthanasie und erinnerte an eine Sichtweise, mit der er selbst erst lange nach seinem Studium in Freiburg konfrontiert war: "In Medizinerkreisen gab es schon vor Machtergreifung der Nazis vereinzelt Hinwendung zum Sozial-Darwinismus, so gesehen ist die spätere NS-Saat auf fruchtbaren Boden gefallen."

Die Aufarbeitung des Euthanasie-Themas bleibt problematisch, das wurde im Landratsamt einmal mehr deutlich. Als frühere SPD-Abgeordnete und Behindertenbeauftragte in Villingen-Schwenningen erinnerte Christa Lörcher an das erst sehr spät erfolgte Gedenken des Bundestages. Der Geisinger Pfarrer Adolf Buhl etwa tauchte erst tiefer in die Materie ein, als er in den örtlichen Archiven fündig wurde und damit unter anderem eine Verbindung zur damaligen Geisinger Pflegeanstalt herstellen konnte. Laut dem Geschichts- und Religionslehrer Heinrich Schidelko gab es in Villingen-Schwenningen 77 Euthanasie-Opfer, "dieses ganze Denken begann aber nicht 1933 und endete nicht 1945", konstatierte der Pädagoge. "Es gab in Sachen Euthanasie eine schamlose Schamhaftigkeit und man glaubte das Gewissen beim Führer abgeben zu können!" Dieser Satz eines ebenfalls ins Landratsamt gekommenen Neffen eines Euthanasie-Opfers erreichte auch den der Abschlussveranstaltung beiwohnenden Landrat Sven Hinterseh, die genannten jüngeren Semester vernahmen es interessiert aber eben auch nicht mehr irritiert.